Ursula Lindemann an Lotti, 22. Mai 1943

Köln, am 22.5.43.

Meine liebe Lotti!

Im Radio hörte ich gerade die 5. Sinfonie von L.v.B., und das war der Anlaß Dir einen kleinen Gruß zu senden. Hast Du am Sonntag auch das Violinenkonzert gehört? Es war sehr schön, nur hatten wir hier Alarm dazwischen.

Ich sitze im Garten unter den Akazien, die in voller Blüte stehen. Sie strömen einen wunderschönen, fast betäubenden Duft aus. Ihr habt gewiß auch in den letzten 2 Wochen so herrliches Wetter wie wir hier, und Du bist sicher schon tüchtig braun. Ich konnte leider nicht so viel draußen sein, weil ich sehr viel üben muß, denn Übermorgen, am Sonntag ist Vorspiel.

Brigitte und ich fahren jeden Abend etwas spazieren, und wir beobachten den Sonnenuntergang. Vor einigen Tagen sind unsere Kücken ausgeschlüpft. Sie sind zu niedlich. Eins von ihnen war so schwach, daß wir es im Backofen wärmen mußten um es zu erhalten. Schade, daß Du nicht da bist, Du hättest gewiß viel Freude an unserem Hühnerzuwachs. Gestern habe ich das Kaninchen bekommen, es ist erst 6 Wochen alt und garnicht scheu. Es hoppelt lustig auf dem Rasen herum, und wäre ein rechter Braten für Jeckie! – Jeckie hat Sonntag meine arme Schildkröte totgebissen. Er ist wirklich ein zu dreister

Bursche geworden. Die ganze Familie hat ihn deshalb mit Verachtung gestraft.

Blühen bei Euch auch schon die Rosen, Pfingstrosen und Glockenblumen? Hier sind schon einige Kirchen fast reif. Es fehlt nur überall an Regen.

In der letzten Zeit haben wir ziemlich viel Alarm, in der Nacht und auch am Tage. Einmal konnten wir verschiedene Brände in der Umgebung sehen.

Klaus ist leider am Donnerstag wieder gefahren. Er hat seinen Urlaub so schön wie möglich hier genossen. Am Mittwoch waren wir mit Vater im Zar und Zimmermann. Es war reizend und hat mir sehr gut gefallen.

Die nächsten 2 Wochen werden Mutti und ich ganz alleine im Haus wohnen, denn Vater ist verreist wie üblich, und Helmie hat Urlaub.

Liebe Lotti, es wird wohl schrecklich Dumm von mir sein, aber ich bin immer noch sehr traurig. Ganz besonders wenn ich Eure Wohnung sehe, die so still und einsam ist.

Hoffentlich geht es Dir gut, und Du hast Freude an Deiner neuen Studiererei. Grüße bitte Deine Mutter und Gisela sehr von mir. Dir wünsche ich alles Gute und ein recht lieber Gruß von Deiner Ulla.