Ursula Lindemann an Lotti, 16. Juni 1943

Köln, am 16.6.43.

Meine liebe Lotti!

Für Deinen lieben Brief heute habe herzlichsten Dank, ich bekam ihn gerade noch vor der Schule, und hatte durch ihn fast die Bahn verpaßt. Vorhin war ich bei Fenken und habe dort abgemacht wann und wie lange ich dort arbeiten muß. Ich freue mich sehr auf diese Zeit. Wir werden gewiß viel zu arbeiten bekommen, aber das ist mir gerade recht. Es blühen so viele und schöne Blumen dort, daß man fast benommen davon wird. Ich denke mir Deinen Einsatz in Deinen Ferien auch sehr schön. Es ist doch so schön den armen Soldaten etwas helfen zu können. Ich wollte mich zuerst auch in einem Lazarett melden, doch wurde ich von allen Seiten abgeraten. In 12 Tagen fange ich nun an.

In der Schule lassen sie uns noch manche Tage tüchtig arbeiten. Jeden Tag gibt es eine Arbeit manchmal auch zwei. Am Samstag gab es eine sehr schwere Mathe-Arbeit. Vorher war 2 Stunden lang Alarm mit ganz gehöriger Schießerei. Und danach ging es mit der Arbeit los. Ich glaube wenn wir sie zurückbekommen müssen wir sofort eine neue schreiben so schlecht ist sie ausgefallen. Pfingsten haben wir ordentlich genossen und gefaulenzt. Es wäre ganz ungetrübt schön gewesen, wenn Klaus nicht so krank wär. Seine Erfrierungen haben sich neu entzündet und er kann sich nicht mehr bewegen, denn auch die Leisten tun ihm weh. Nun muß er feste sein Bett hüten und kann seinen Urlaub garnicht genießen. Er tut uns allen sehr leid. Ich klettere täglich im Grundstück auf die Kirschbäume und pflücke für

Mit Brigitte kann ich leider nicht mehr losradeln, denn wir haben zu viel Aufgaben auf, daß wir garnicht mehr dazu kommen. Wir beiden haben uns jetzt große Mappen angelegt mit gepreßten Pflanzen, dazu schreiben wir ihre deutschen u. lateinischen Namen, Vorkommen, Blütezeit und Anwendung.

Ich schicke Dir heute ein Buch von mir, daß Du gewiß gut brauchen kannst. Es ist doch nicht das gleiche, welches Du Dir gekauft hast?

Vorige Woche war ich in einem wunderschönen Kulturfilm von Japan, der einem so genau die Eigenart dieses Landes zeigte. Es ist so reizvoll und anziehend im Frühling in der Kirschblüte. Später werde ich gewiß einmal dorthin fahren. -

Leider haben wir des Nachts nicht viel Ruhe, immer werden wir so um 1.15 Uhr bis 3 oder 3.30 Uhr gestört. Vorletzte Nacht sind auch in Köln Bomben gefallen. Vater und ich waren hoch oben und konnten gut die Flieger beobachten. Sie haben viele Flugblätter abgeworfen, in denen wie immer nur Mist steht. Hier in Köln wird überall behauptet bald kämen wir dran. Ich ärgere mich jedes mal darüber, die sollen sich nicht solch einen Unsinn zusammen unken. Das einzig Dumme ist, daß wir alle so sehr müde sind, es kommt schon vor daß wir in der Schule alle halbwegs einschlafen. Selbst die Lehrer können nichts daran ändern, denn sie schlafen ja auch fast. Vater war vorige Woche in Düsseldorf und hat nach unserer Fabrik in Neuß gesehen. Er kam ganz erschüttert von diesem Eindruck nach Hause.

Die Eltern und Klaus lassen alle recht herzlich grüßen. Und auch ich grüße Deine Mutter und Gisela sehr. Sei Du ganz besonders gegrüßt von Deiner Ulla.