Ursula Lindemann an Lotti, 28. zum 29. Juni 1943

Köln, den 28. zum 29.6.43.

Meine liebe Lotti!

Vor einer Stunde kam ich mit den Eltern von einem Rundgang durch Marienburg zurück. Diese Nacht hat es wieder schrecklich hier gehaust. Bei Welkers am Bayentalgürtel haben wir geholfen Möbel aus dem brennenden Hause zu retten. Es ist wahnsinnig stürmisch und so greift das Feuer mit Gewalt um sich, dazu fehlt es an Wasser, Strom und Gas und das Telephon tuts auch nicht. In der Ulmenallee, Lindenallee, Marienburgerstraße und am Rhein brennt es lichterloh. Unser Kirchlein läutete zum letzten Male und dann brach der Turm zusammen. Der verflixte Phosphor liegt auf den Straßen verschüttet, so daß unsere Füße plötzlich hell losbrannten und nur mit Mühe zu löschen waren. Wir kamen an vielen Blindgängern vorbei, die zum Glück noch nicht losgingen.

Es ist jetzt noch mitten in der Nacht, aber andauernd kracht es ganz in der Nähe, so,

daß man nicht einschlafen kann.

Wir sind alle sehr sehr dankbar, daß uns nichts geschehen ist. Arme Tante Friedel. Sie schläft hier bei uns, ist aber vollkommen ab, so daß sie des Nachts keine Ruhe kriegt und sehr viel Schlaf verliert.

Wie es in der Stadt aussieht weiß ich nicht, aber nach den vielen Bränden, die wir unten vom Rhein aus beobachten, zu urteilen. – Morgen werden wir unser Haus bis auf das Notwendigste ausräumen und wegbringen.

Nun liebe Lotti möchte ich noch ein wenig schlafen, wenn blos dieser Qualm nicht in meinem Zimmer wäre.

den 29.6.43.

Jetzt will ich Dir noch einige Einzelheiten schreiben, die ich weiß. Vorhin als ich wach wurde war es sehr dunkel. Eine unheimliche, schwefelgelbe Finsternis umhüllte uns alle. Vater und ich gingen gleich zum Büro im Haus Bannes. Der Weg war einfach entsetzlich. Die heilen Häuser am Rhein sind jetzt alle restlos vernichtet. Am Neumarkt

das Gürzenich, das Rathaus, das Stapelhaus und der Bahnhof sind alle vollkommen kaputt. Der Dom hat gebrannt und ist an der nördlichen Seite sehr ruiniert. Das Haus Baum fanden wir brennend vor. Erb ist weg. Vater und ich bestiegen die brennenden Treppen und kamen bis zum 4. Stock, in dem unser Büro ist. Es war nichts mehr da, keine Schreibmaschinen, keine Akten, nichts garnichts. Es glühend heiß und wir bangten um unser Leben. Wir retteten uns auf den Balkon um frische Luft zu schnappen. Unter Erstickungsnöten kamen wir endlich wieder unten an. Ach Lotti, es ist erschütternd die unendlich vielen Obdachlosen mit ihren bischen Habe an den brennenden Häusern sitzen zu sehen. Wir haben 10 Fliegergeschädigte bei uns. Helenes Verwandten mit Kindern, die nur ihr Leben gerettet haben, Elfriede und Tante Friedel, die auch nichts mehr ihr eigen nennen können. Auch Brigitte ist ganz ausgebrannt. Das Schlimme

ist, daß so viele Zeitzünder liegen, die jetzt alle nachträglich krepieren.

Die Eltern wollen mich unbedingt wegschicken, aber ich mag nicht. Es ist zu schrecklich in der Fremde zu sitzen und dann von all diesem Grauenhaften zu hören. Lieber will ich wenn es sein muß mit umkommen, als dann alleine sein.

Am Rhein ist auch ein Bootshaus verbrannt und abgesackt. Es schwimmen viele Schiffe, die alle allmählich sinken.

Liebe Lotti, nun habe ich Dir lauter Trauriges und Grausames geschrieben und dazu sehr konfus durcheinander, aber Du wirst das wohl verstehen. Es grüßt Dich

Deine Ulla.

Leider gehen die Sirenen nicht und wir wissen nicht ob Alarm oder Entwarnung ist.