Ursula Lindemann an Lotti, 2. Juli 1943

Köln, den 2.7.43.

Meine liebe Lotti!

Endlich habe ich ein wenig Zeit Dir vernünftig schreiben zu können. Mein Einsatz hat sich nun ganz anders gestaltet. Ich fahre des morgens um 8 Uhr zum Vor 8 und schmiere oder schneide bis abends 7 Uhr Butterbrote, oder koche Suppen für die vielen Obdachlosen. Leider haben sich nicht all zu viele dazu gemeldet, so daß es recht viel Arbeit ist am Tage 17600 Doppelschnitten fertig zu machen.

Jetzt habe ich meinen Dienst hinter mir. Gleich muß ich noch ein-

mal los und die Umgegend zum Einsatz alarmieren. Dieser Einsatz gefällt mir sehr gut. Es ist schön und befriedigend den armen Obdachlosen ein wenig helfen zu können. Wenn wir unsere Brote fertig haben, fahren wir mit Lastautos in die Stadt und verteilen aus den Gulatschkanonen das Essen. Wir haben oft Alarm dazwischen, aber die Engländer können und dürfen uns auf keinen Fall dadurch verwirren. Denn, wie sollten die Geschädigten etwas Essen bekommen, wo doch in der Stadt keine Bäckereien, Metzgereien oder Gemüseläden

mehr stehen. Überhaupt ist alles sehr knapp geworden. Wir müssen stundenlang für Brot und Gemüse anstehen. Nur wir in unserem Lager haben alles bereit und können herrlich aus dem Vollen wirtschaften. Es ist ein seltsames Gefühl im Keller die riesigen, vielen Tonnen mit Butter, Broten, Käse und Würsten zu sehen. Wenn wir hungrig sind, dürfen wir losfuttern, da wir ja kein Mittagessen haben, aber meistens bin ich schon durch das Sehen des vielen Essens vollkommen satt. Das neue Alarm- und Endwarnungszeichen ist sehr verwirrend

und wird fast nie gehört. Als Alarm wird 2 mal kurz hintereinander geschossen, und als Endwarnung stehen die Scheinwerfer 3 Minuten lang senkrecht am Himmel.

Leider haben wir noch immer kein Gas und Wasser, und so ist das Arbeiten im Haushalt sehr erschwert.

Montag, an dem Tag vor dem Angriff war ich das 1. Mal bei Finken. Es war sehr schön, nur die Arbeit war nicht so lang und anstrengend wie jetzt.

Mittwoch nachmittag bin ich mit dem Rad einmal in die Stadt, die eigentlich garnicht mehr eine Stadt ist, gefahren. – Es war erschütternd. –

Noch immer hingen schwere Rauchwolken am Himmel und überall brannte es. Ich kam nirgends durch und verirrte mich fast in den Trümmern. Vom Heumarkt bis zum Neumarkt steht kein Haus, - auch Euer Geschäft ist zerstört. – In den Überresten suchten mit entzündeten Augen und vollkommen erschlagen die Obdachlosen etwas von ihrem Eigentum, - aber meistens war’s hoffnungslos. – Viele Gassen und Straßen waren zusammengestürzt und verschüttet. Am Bürgerhausspital, das auch vernichtet ist liegen alle Leichen mit Erkennungsmarken um den Hals, damit sie von ihren Angehörigen ge-

funden werden können. Ach Lotti, ich könnte heulen wenn ich daran denke. Die meisten Toten sind ja durch die ungeheure Hitze umgekommen, denn fast die ganze Stadt brannte, und wo sollten sie dagegen hinflüchten? – Als ich zum Rathaus kam – unser schönes Rathaus ist nun auch nicht mehr da – wurde gerade ein Zeitzünder entdeckt und alles flüchtete zurück. Noch heute krepieren die ganze Zeit Blindgänger. Auch unsere Schule stand in Flammen, ebenso die am Georgsplatz, in der Kreuzgasse und die Humboldschule. Was soll mit uns Schülern werden? Ich mochte all

dies Elend und Leid garnicht mehr mit ansehen, aber ich mußte für Tante Friedel Besorgungen machen – so wie es eben ging – und kam daher fast durch die ganze Stadt. (Ob Du meine Schrift noch entziffern kannst?) Hier in Marienburg kommen wir uns wie auf einer Insel vor. Köln selbst steht nicht mehr, nur noch der Rahmen, und paar besonders schlaue Pessimisten behaupten der käme auch noch dran. Unsinn!

Das Geschrei um unseren Dom ist lauter Propaganda – er ist nicht vernichtet, wie es so oft im Radio heißt. Seine Türme

stehen noch, und von außen sieht man ihm die Beschädigungen kaum an. Er hat 2 Volltreffer abbekommen, die Orgel ist stumm, der Chor ist zerstört und innen hat es gebrannt.

Ich muß nun schließen, denn mir ist schon wieder schwindelig im Kopf, wie in den ganzen letzten Tagen. Hoffentlich geht es Dir, liebe Lotti, Deiner Mutter und Gisela gut. Grüße sie bitte sehr von mir. Aber sei Du ganz besonders lieb von Deiner Ulla gegrüßt.

Die Eltern lassen ebenfalls herzlichst grüßen.