Ursula Lindemann an Lotti, 31. August 1943

Köln, den 31.8.43.

Meine liebe, gute Lotti,

Als ich vorhin nach Hause kam, fand ich Deinen lieben Brief vor. Liebe Lotti, ich danke Dir sehr für all das Liebe u. Gute was Du schreibst, und vor allem, daß Du mich verstanden hast. Ich bin ja so froh, daß ich Dich habe, Du gibst mir so viel, u. ich habe Dich sehr, sehr lieb. – Mit Mutti darüber zu reden, wie Du vorschlägst, bringe ich einfach nicht fertig. Ich kann es nicht, und vielleicht fühle ich mich daher so einsam.

Es ist nun schon sehr spät, der Kölner Sender hat vorhin leider ausgesetzt. Hoffentlich gibt es keinen Alarm. Wir werden in der letzten Zeit wieder jede Nacht gestört, und meistens fallen die Bomben schon vor der Warnung. Zum Glück ist diese Woche bei uns mit der Arbeit am Bunker begonnen worden. Ich glaube, ich schrieb Dir schon, daß Vaters Büro auch wieder getroffen ist durch eine Mine, die auf den Hof gefallen ist. Es ist gut, daß die Eltern bald fort fahren, sie haben die Erholung wirklich dringend nötig. Um hierzubleiben habe ich noch eine Menge Kämpfe auszufechten gehabt, aber schließlich hat Vater eingesehen, daß ich die Schule nicht versäumen darf. Seid Donnerstag genieße ich wieder das gewohnte Schulleben. Meine Klasse, aus 11 Mädel, haust hoch oben im 2. Stock in einem halbausgebrannten Raum, in dem die Türen und Fenster fehlen. Beides haben wir heute mit viel Mühe eingesetzt, was

uns auch ganz gut gelang. Nun haben wir die Rahmen ohne Scheiben, und wir alle frieren ziemlich sehr. Hier hat die Witterung plötzlich sehr umgeschlagen, es ist feucht kalt und regnerisch. Ich habe mich schon so stark erkältet, daß ich kaum noch einen Ton sagen kann. – Wir leben in der Schule wirklich in dollen Verhältnissen. Wir haben weder Physik noch Chemie Räume und an Material um Versuche zu machen ist überhaupt nicht zu denken. Ebenso fehlen Musiksaal und Turnhalle. Die Pausen verbringen wir in unseren Klassen, da der Schulhof völlig verschüttet ist. Eine Kuhglocke kündigt den Anfang und das Ende der Stunden an, und Unterricht haben wir dreimal in der Woche. Aber lernen tun wir trotz allem noch tüchtig und bekommen entsetzlich viel Hausaufgaben auf, so daß ich die ganzen freien Tage viel zu tun habe. -

Ich glaube in der Ferne schon die ganze Zeit ein rollendes Schießen zu hören, daß immer näher kommt. – Sonntag sind Deine Mutter und Gisela gekommen um die Möbel auszuräumen. Wie wird es wohl werden wenn die fremden Leute da oben wohnen, ich freue mich kein bischen darauf, dann ist alles aus. –

Es schießt und brummt nun ganz in der Nähe, und Helmie geht schon runter in den Keller. Aber ich bleibe noch oben, bis Alarm kommt. – Dies ist nur ein kurzer Gruß, aber ich komme in der letzten Zeit kaum noch zum Schreiben. Von Deiner Mutter hörte ich, wie Du Dich in Dresden so schnell eingearbeitet hast, und besonders froh bin ich, daß Du Dich dort so glücklich fühlst. – Gerade ist Alarm. – 1.9. Viermal hatten wir diese Nacht Alarm, und jetzt sind wir alle noch sehr müde.

Dir wünsche ich alles Gute und ein lieber Gruß u. Kuß von

Deiner Ulla.