Ursula Lindemann an Lotti, 4. Februar 1944

Köln, den 4.2.44.

[4.3. beantw.]

Meine liebe Lotti,

Heute durfte ich endlich wieder aufstehen, nachdem ich wegen einer leichten Gehirnerschütterung und Quetschung am Arm, die ich mir bei einem sehr unglücklichen Fall auf dem glatten Steinboden in der Küche geholt hatte, 1 Woche im Bett verbringen mußte. So habe ich nun heute morgen das schöne Frühlingswetter so recht genossen und einen weiten Spaziergang gemacht. Im Garten merkt man besonders mit welcher Windeseile der Frühling bei uns einzieht.

Die Schneeglöckchen blühen in dichten Büscheln, dazwischen leuchten, wie bunte Ostereier die Krokusse und Winterlinge. Ich freue mich sehr über die bunten Frühlingsboten und begrüße jedes neue, grüne Spitzchen, welches vorsichtig aus der Erde lugt, mit viel Freude. – Leider wurde meine Frühlingsstimmung durch den auf einmal dunkel bewölkten Himmel und das plötzlich einsetzende Schneegestöber um einiges getrübt. Mit Mühe und Not kam ich triefend vor Nässe zu Hause an. Und gleich darauf ging Großalarm los, und wir alle mußten in den Bunker flüchten. In 6 Wellen flogen die Flieger

über uns hinweg. Ein ewiges Brummen und Krachen beherrschte die Luft. 2 ½ Stunden hielt dieses Getöse an. Mutti, Helmie und ich hockten ziemlich verzweifelt und Zähne klappernd die ganze Zeit über im eisig kalten Bunker. Nun ist glücklich alles wieder vorüber.

Hier in meinem Zimmer ist es ruhig und recht gemütlich, während draußen sich der Sturm austobt und die Schneeflocken wild hin und her peitscht. Alles, was heute morgen in den ersten, warmen Sommerstrahlen leuchtete, ist nun in einen weißen, weichen Mantel eingehüllt. Es ist der erste Schnee in diesem Winter, den wir hier haben.

In der Stadt sind augenblicklich dolle Verhältnisse. Keine Bahn fährt mehr, da da die vielen, vom Sturm umgestürzten Häuser die Drähte mit herunter gerissen haben. Dadurch sind wieder entsetzliche Verwirrungen entstanden, und es passieren viele Unfälle. – Auch in unserer Schule ist der dritte, halb zerstörte Stock nun restlos eingestürzt, und hat uns mit diesem Gepolter einen nicht geringen Schrecken eingejagt.

Von Klaus haben wir nun schon lange keine Nachrichten mehr. Wir sind alle in großer Sorge um ihn, da er sich am Dnjeprbogen zwischen Kriwoi Rog und Nicopol befindet, wo au-

genblicklich die schweren Kämpfe und Einkesselungen im Gange sind. Ich habe solche Angst um ihn. Hoffentlich bekommen wir recht, recht bald Nachricht von ihm.

Wie geht es Dir, und was macht Deine Arbeit für das Examen? Ich denke so oft an Dich und mache immer einen kleinen Sprung zum Bräunig in Euer Häuschen. – Grüße bitte Deine Mutter und Gisela von mir.

Sei Du besonders herzlich gegrüßt und nimm einen lieben Gutenachtkuß

von Deiner Ulla.