Ursula Lindemann an Lotti, 12. April 1944

[29.4.]

Köln, den 12.IV.44.

Meine liebe Lotti,

Gestern bin ich nun von meiner kleinen Osterreise wieder nach Hause gekommen. Allerdings mehr tot als lebendig, denn die Fahrt war entsetzlich. Schon von Krälingen aus den Berg hinunter hatte ich immerzu Schießbegleitung, und so hielt es die ganze Fahrt an. Als ich in Remagen umstieg, war dort Vollalarm und hinter Remagen wurde unser Zug beschossen. Der Zug hielt länger und wir mußten uns alle platt auf den Boden legen. Die amerikanischen Jäger kamen im Tiefflug herunter und schossen auf die

wehrlosen Menschen. Du kannst Dir denken welche Panik ausbrach. Es war schrecklich. In Köln war natürlich auch Alarm. Ziemlich müde schleppte ich mich zum Heumarkt als endlich wenigstens Vorentwarnung kam, und ich mit der Bahn fahren konnte. Aber dann gab es noch einen Zusammenstoß mit einem Lastauto. – Es war eine Fahrt mit vielen Hindernissen. -

Die Ostertage oben in Krälingen waren herrlich. Wir hatten strahlenden Sonnenschein und machten, trotz der vielen Alarme, weite und wunderschöne Wanderungen. Die Zeit war nur zu kurz, um sich einmal richtig ausruhen zu können.

II

Hier in Köln wird man allmählich wirklich sehr unruhig und nervös. Jeden Tag haben wir mindestens 6-7 mal Alarm und dazu des Nachts die vielen Ruhestörungen. Sogar bei Voralarm packt uns alle eine Aufregung, weil ja meistens Vollalarm darauf folgt.

Gestern abend saßen wir wieder bis halb 1 im Keller. Um 4 Uhr war nochmal Alarm und um 6 Uhr begann plötzlich ein wahnsinniges Knattern und Krachen, das von der neuen Brücke herkam. Von 2 verschiedenen Seiten wurde auf die Brücke geschossen. „Sind es die fdl. Fallschirmjäger oder ist es gar die Invasion?“ Dachte ich vollkommen verschlafen und verstört.

Und auch den anderen war nicht all zu wohl zu Mute. Als Klaus aber zum Rhein runter lief und feststellte, daß unsere Pioniere Übungen machten, legten wir uns wieder beruhigt zu Bett und waren nur mit einem ordentlichen Schrecken davongekommen. -

Heute hat nun die Schule wieder begonnen, allerdings unter anderen Verhältnissen als wir dachten. Wir wurden zum Kartoffelschälen in den Grüngürtel hinter Klettenberg kommandiert. Diese Nacht war ja ein Terrorangriff auf Aachen und Köln soll für die Obdachlosen kochen. Den ganzen Tag haben wir draußen in der Sonne gesessen und brav Kartoffel geschält. Dazwischen

kam natürlich immerzu Alarm, der nachher recht unangenehm wurde. Wir hatten nicht den geringsten Schutz, als über Köln viele Geschwader kreisten. Als es gar zu schlimm wurde schlüpften wir unter ein Dach, daß uns wenigstens vor den Splittern schützte. Und das war mein Glück, denn kaum eine Minute drauf kam an der Stelle, wo ich war ein schwerer 19 cm langer Splitter heruntergesaust. Danach hatten wir doch genug und blieben unter dem Dach. – Die nächste Zeit wird dieser Einsatz wohl noch fortdauern, und vielleicht werden wir sogar in Aachen selbst eingesetzt. -

Denk Dir, nun ist es ganz bestimmt daß unsere Klasse nächstes Jahr Ostern das Abitur macht, und die

7. Klasse schon jetzt im Herbst. Mutti ist ganz entsetzt darüber.

Außerdem ist jetzt herausgekommen, daß wir im Sommer über 2/3 unserer Ferien Einsatz machen müssen. Ich habe mich schon bei unserer Post erkundigt, ob ich dann unser Revier übernehmen könnte, da es ja immer noch sehr an Postpersonal fehlt. Hoffentlich glückt es mir diese Stelle zu erhalten. Den von Köln weg möchte ich auf keinen Fall. – Aber bis dahin ist ja noch so viel Zeit, und ich laß mir noch keine graue Haare wachsen. -

Bist Du nun noch bei Gisela Berthold? Am 16. beginnt doch die Uni wieder?

Hoffentlich hast Du für Dein kommendes Semester nur recht viel Ruhe, damit Du Dich gut für das Physikum vorbereiten kannst. -

Geht es Deiner Mutter besser? Und ist Gisela gut nach München gekommen?

Klaus ist immer noch hier bei uns und bringt eine Menge Leben ins Haus. Und das ist nur zu gut, denn die Eltern sind beide so herunter, daß sie beide eine kleine Aufmunterung recht gut brauchen können.

Ich schlafe jetzt schon fast beim Schreiben ein muß doch noch so viele Aufgaben machen. – Hoffentlich haben wir jetzt nur Ruhe und es kommt mal kein Alarm. Grüße bitte Deine Mutter recht herzlich von mir.

Dir ein lieber Gutenachtkuß von

Deiner Ulla