Ursula Lindemann an Lotti, 27. August 1944

Köln, den 27.8.44.

Meine liebe Lotti!

Wieder einmal benutze ich die schöne Abendstunde um Dir zu schreiben. Diesmal wird’s aber nur ein kurzer Gruß. – Heute ist es endlich einmal nach den so sehr heißen Wochen angenehm kühl und frisch. Der heutige Abend ist besonders schön. Irgendwo in der Umgebung scheint ein starkes Gewitter heruntergegangen zu sein, denn es hab sich ein tüchtiger Wind erhoben. -

Liebe Lotti, ich mache mir allmählich Sorgen um Dich. Beinahe 4 Wochen habe ich nichts mehr

von Dir gehört. Hoffentlich ist Dir nichts zugestoßen, und Du liegst nun krank zu Bett. Aber wahrscheinlich bist Du so sehr mit der Arbeit für Dein Physikum in Anspruch genommen. -

Vorige Woche wollten Vater und ich eigentlich nach Mannheim fahren, aber da ist uns der Tagesangriff auf Köln und Umgebung dazwischen gekommen. Nun wird aus unserer Fahrt vermutlich nichts mehr werden. Ich hatte heimlich immer noch auf ein Wiedersehen mit Dir gehofft.

Diese Woche bin ich doch noch einige Male als Schaffnerin mit der 11 gefahren. Ich hatte diesmal immer

Glück; kein Alarm ist mir dazwischen gekommen. Nun habe ich bei der Bahn für die Ferien endgültig Schluß gemacht. Wir alle mußten uns aber verpflichten, auch in der Schulzeit weiterhin Einsatz zu machen. Mit der Schule sehen wir alle sehr schwarz. Sehr wahrscheinlich wird sie für 4 Wochen noch einmal anfangen, aber dann werden die 7. und 8. Klassen vermutlich geschlossen, und wir müssen in die Rüstung oder kommen sonst in irgend einen Einsatz. Ich bin mal gespannt was für einen neuen Beruf wir jetzt wohl bekommen werden. Mir ist alles recht und ich bin froh in dieser schweren Zeit nicht untätig zu sein. –

Hier zu Hause haben wir recht viel mit dem Einmachen zu tun. Auf dem Grundstück können wir in diesem Jahr herrlich ernten. Besonders die Bohnen wollen kein Ende nehmen. Nur wird uns leider sehr viel gestohlen. Fast über die Hälfte unserer Kartoffel sind gestohlen worden. Die noch völlig unreifen Äpfel sind von den Bäumen abgeschlagen und die Tomatensträucher sind zertrampelt worden. -

Von den Brüdern bekommen wir kaum noch Post. Von Klaus haben wir schon über 4 Wochen, und von Hans 3 Wochen keine Nachricht mehr. Wir machen uns um beide große Sorgen. – Vater ist immer noch

ständig auf Reisen. Vorgestern ist er wieder nach Schlesien gefahren und morgen will er wieder zurück sein. Nächste Woche muß er nach Berlin, und so hält es sich immerzu dran. Er hat in der letzten Zeit öfters Schwächeanfälle mit Fieber und Herzbeschwerden. Er überanstrengt sich wirklich viel zu sehr, und wir stehen hilflos daneben und können ihn nicht zur Vernunft bringen. Auch Mutti geht es nicht so gut. Sie hat immer noch ihre starken Kopfschmerzen und läßt sich nie überreden, zum Arzt zu gehen. -

Alarm haben wir in den letzten Tagen wieder oft. Des Tags und auch nachts müssen wir mehrmals in

den Keller. Der letzte Störangriff war sehr viel schlimmer als die sonstigen. In der Stadt war der Verkehr fast ganz gestört. Wir hier draußen haben nicht so viel mitbekommen.

Augenblicklich ist Frau Firmenich bei uns für einige Tage zu Besuch. Ich bin richtig froh, daß sie da ist, sie hat so viel Fröhlichkeit mit sich gebracht, und lenkt die Eltern etwas von ihren Sorgen ab. Ich kann das selbst so schlecht, weil ich ja auch immer an die Brüder denke und mich um sie sorge. – Tante Nia will auch versuchen, daß ich in ihre Fabrik in Wiesbaden unterkommen kann, wenn wir in die Rüstung eingesetzt werden. Sie arbeitet in dem chemi-

schen Labor bei Kalle und könnte mich dort vielleicht auch unterbringen. Ich würde dann bei Tante Nia in Wiesbaden wohnen. – Ach, Lotti, da fällt mir gerade ein, daß das ja auch etwas für Dich wäre, wenn Du in die Rüstung mußt. Das wäre ja toll, wenn Du da als Laborantin eingesetzt würdest. Denn nach Wesseling willst Du doch gewiß nicht wieder zurück? -

Nun ist es schon ganz dunkel geworden und ich muß mit meinem Kerzenlicht reingehen, damit die Nachbarn nicht wegen der schlechten Verdunklung schimpfen. -

Hoffentlich geht es Deiner Mutter gut. Grüße sie bitte schön von mir.

Ist Gisela noch bei Marina am Starnberger See? Kann sie noch weiter studieren oder muß sie auch in die Rüstung?

Du kannst doch bevor Du eingesetzt wirst Dein Physikum machen? Ich glaube ja, daß die Medizinstudenten vorläufig noch weiter studieren dürfen. Ich wünschte es für Dich wirklich sehr. -

Nun muß ich aber endlich aufhören. – Schlafe gut, meine liebe Lotti. Ein lieber gute Nacht Kuß

von Deiner Ulla.