Ursula Lindemann an Lotti, 12. Dezember 1944

Nr. 9

Köln, den 12.12.44.

Meine liebe Lotti!

Gerade höre ich im Radio die 7. von Beethv. was garnicht recht zu meiner Stimmung passen will. Draußen tost die Front und sendet ihr furchtbares Lied zu uns herüber und die fdl. Verbände überfliegen unseren Gau in Richtung auf das Ruhrgebiet. Andere Verbände, die zuerst Kurs auf Köln hatten, sind im Frontgebiet Jülich-Düren geblieben und laden dort ihre Bombenlasten ab, deren schweren Erschütterungen wir hier spüren. Und doch ist es etwas Beruhigendes und Wohltuendes diese so schöne Musik in sich aufzuneh-

men. Nachdem wir beinahe 9 Wochen keinen Strom und so auch keine Möglichkeit hatten Musik zu hören, empfinde ich diese Musik besonders tief und sie bewegt mich sehr. Es kommt mir beinahe unwirklich vor so ruhig hier sitzen und genießen zu dürfen, nach all den schrecklichen Wochen, die hinter uns liegen. -

Die 4. Schlacht westlich Köln ist nun entbrandet. Hoffentlich gelingt es uns die Amerikaner an der Rur bei Düren aufzuhalten. Vor Düren ist der Westwall zu Ende, dann ist es ja ein Leichtes weiter durchzubrechen. Es darf nicht sein! Ein Glück, daß wir den Amerikanern den Versuch bei Jülich einen Brückenkopf über die Rur zu halten, abschlagen konnten. Wir hören

das Schlachtgetöse sehr stark. Kurz vor Köln stehen Ferngeschütze, die fast ständig in Tätigkeit sind. Da die Erfolge der Amerikaner an den Fronten sehr gering sind, haben sie um so stärker mit der Luftoffensive begonnen. Täglich werden wir von starken Verbänden überflogen, die nach Süd-, Mittel- und Norddeutschland fliegen. Daneben sind die sogenannten Jabos (Jagdbomber) auch sehr rege. Sie richten fast tägl. Angriffe gegen unsere Brücken und Ausfahrtsstraßen. Außerdem werden Schlachtflieger in die Kämpfe eingesetzt. Wir erleben hier den Krieg jetzt aus nächster Nähe mit und kommen uns oft in all unserem

Schlamassel und Dreck wie im Schützengraben vor. -

Nun schreibe ich Dir nur vom Krieg und dabei soll Dich dieser Brief (wenn alles gut geht) zu Weihnachten erreichen. Aber mir steht augenblicklich einfach der Sinn nicht danach. Wir leben alle zu sehr in der Sorge um die Zukunft. Vater ist heute morgen nach Haltern und von da aus nach Berlin gefahren. Es ist ihm sehr schwer gefallen jetzt in dieser Zeit fort zu fahren, da er ja vielleicht nicht wieder zurückkommen kann.

Von Klaus haben wir nichts mehr gehört, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Ich kann nicht daran denken und will es auch nicht.

Von Hansel haben wir immer noch viele und beruhigende Nachrichten. Er steht am Duklapaß. Habt Ihr irgend etwas über Hansa erfahren? Ich hoffe es sehr! – Von meinem Vetter Günter haben wir auch noch einigermaßen beruhigende Nachrichten. Er steht bei den Kämpfen bei Aachen. Hoffentlich übersteht er sie gut. Herr Firmenich ist in amerikanischer Gefangenschaft. Tante Nia ist sehr glücklich, ihn aus aller Gefahr zu wissen. -

Liebe Lotti, wie geht es nun Dir und Euch allen? Ich habe so lange keine Post mehr von Dir bekommen, daß ich mir allmählich Sorge um Euch mache. Dein Brief vom 19.11. ist der letzte. Hoffentlich geht es Euch noch gut. Wie ergeht es Dir als Hilfs-

ärztin im Polizeilazarett? Ist der Dienst sehr anstrengend? Stecke Dich nur ja nicht an und bleib gesund. Ein Glück, daß Du nicht in einem Heidelberger Krankenhaus arbeiten mußt, ich habe nähmlich große Sorge, daß vielleicht auch einmal Heidelberg angegriffen wird, nachdem so viele kleinere Städte schon zerstört sind. Sei bitte vorsichtig. Man ist ja allmählich nirgends mehr sicher. – Wie geht es Deiner Mutter? Grüße sie und Gisela bitte recht herzlich von mir. – Gestern brachte mir Herr Hirtz 3 kleine Päckchen mit Vogelfutter aus Heilbronn. Leider kam es zu spät. Ich bin ganz traurig deshalb. Ich hatte ja schon nach den schweren Angriffen kein Futter

mehr, und nachdem ich nirgends mehr die Möglichkeit hatte Futter zu bekommen, gab ich den beiden Vögelchen geriebene Gerste, die sie anscheinend auch ganz gerne pickten. Aber eines Tages lag mein kleiner zugeflogener Kanarienvogel tot im Käfig. Und vor 4 Tagen wurde auch Euer Hänschen ganz krank. Ich hätte ihm gerne mit Äther geholfen, aber wir hatten keinen. So sind mir beide Vögel eingegangen und ich bin sehr betrübt. Und ausgerechnet gestern, 2 Tage zu spät bekam ich das Futter. Ich danke Dir sehr für Deine Bemühungen, die nun ja leider nichts mehr genutzt haben. -

Der Drahtfunk meldet fortgesetzt starke Anflüge auf unseren Gau. Will das denn gar kein Ende nehmen. Es ist zu schrecklich. Die

armen, armen Soldaten müssen unmenschliches durchmachen. Ich weiß ja nun, wie es ist, während eines Angriffes nur in einem notdürftigen Graben oder Loch liegen zu müssen. Es ist kaum auszuhalten. Ich denke mit Grauen an jene Stunden zurück, in der ich dieses erlebte. -

Es ist inzwischen sehr spät geworden. Draußen ist es jetzt auch ruhiger und wir wollen es wagen rauf zu gehen.

Sei für heute innig gegrüßt.

Schlafe gut. Deine Ulla!

Ich muß immer noch liegen, daher die furchtbare Schrift.