Ursula Lindemann an Lotti, 25. Dezember 1944

Köln, am 1. Weihnachtstag.

Meine liebste Lotti!

Schnell sollst Du einen kurzen Gruß bekommen, damit Du weißt, daß bei uns bis jetzt noch alles in Ordnung ist. Gestern abend, am Heiligabend war Köln wiederum das Ziel eines fdl. Angriffes. Auch heute morgen um 6 Uhr u. am Mittag sind Bomben gefallen. In der letzten Zeit haben wir wieder fast jeden Tag einen Angriff. Noch geht es uns gut.

Den gestrigen Weihnachtsabend werde ich nie vergessen können. Wir haben fast den ganzen Abend im Keller gesessen. Ebenso ging es am Tag und auch heute.

Im Augenblick ist Vollalarm. Die Tiefflieger treiben wieder ihr Unwesen. Drüben auf der anderen Rheinseite brennt es in vielen Stellen. -

Trotz allem war gestern über allem ein lichter Schein, weil Hansel da ist. Es ist die größte Freude für uns alle. – Lotti, ich hab gestern abend viel an Dich gedacht und war immer bei Dir. Hast Du auch unserem Max Bruch im Radio gehört? Ich hörte ihn ganz zufällig als ich einmal aus dem Keller kam um draußen nachzusehen ob alles in Ordnung sei. In dem Augenblick flackerte das Licht einmal für 20 Minuten auf u. ich hörte im Radio mein geliebtes Violinenkonzert. Wie sehr es mich bewegt hat, kann ich Dir garnicht sagen. Draußen schoß es, die Flieger waren zu hören u. der Brandgeruch drang in’s Haus u. im Radio erklang so ruhig u. friedlich die schöne Musik. Alle anderen außer Hans u. mir waren unten

im Keller u. so konnte ich ganz ungestört bei Dir, meine Lotti, sein. Hoffentlich hast Du es auch gehört, so waren wir uns ganz nahe. Nach dem Violinenkonzert erklang Stille Nacht heilige Nacht! – Stille Nacht – und draußen streuten d. Amerikaner den Tod aus! – Es war mir unfaßlich. -

In den letzten Tagen hat es sehr stark gefroren. Im Haus ist es eisig kalt, denn unsere Pappfenster halten d. Kälte nicht ab. In d. Zimmern haben wir teilweise eine Temperatur von 7° oder noch weniger. Unser Wasser ist eingefroren und so müssen wir mit dem bischen Wasser aus den Wannen auskommen.

Aber alles ist nicht so schlimm, weil Hans da ist. – Es rumst draußen wieder stark.

Liebe Lotti, wie habt Ihr nun Weihnachten verbracht? Ein Glück, daß wenigstens Deine Mutter, Du und Gisela zusammen sein konntet. – Habt Ihr wegen Hansa an die Adresse vom O.K.W. geschrieben?

Es ist draußen sehr ungemütlich.

Ich kann nicht mehr schreiben.

Euch allen viele, viele Grüße u. Dir, liebste Lotti, einen innigen Kuß von

Deiner Ulla.

Vorhin, als ich aufhörte, kamen viele Jagdverbände, die die Brücken angriffen. Vorgestern am Samstag wurde unten am Rhein ein Schiff abends mit Bomben u. Bordwaffen angegriffen. Außerdem wurde auch ein Gefangenenlager schwer getroffen. Meistens fallen d. Bomben nach der Entwarnung oder v. d. Alarm. – Seit einer halben Stunde haben wir wieder Strom.

D. Ulla.