Ursula Lindemann an Lotti, 27. Februar 1945

Nr. 26

Auf d. Landstraße den ?

27.2.45

Lotti, liebe liebe Lotti,

Wir sitzen hinter Heppenheim auf d. Landstraße und haben einen Plattfuß. Das fängt gut an. Stecher sucht verzweifelt einen Schraubenschlüssel – ohne Erfolg. Nun kann ich Dir wenigstens noch in Ruhe auf Wiedersehen sagen. Die Amsel singt auf einer Kiefer neben uns. Ich balanziere hoch oben auf dem Wagen u. schreibe Dir. Es ist gleich 7 Uhr. Liebe Lotti, der Abschied kam wirklich etwas zu plötzlich und hat mich ganz dem Gleise gebracht. Den Bräunig bin ich sehr, sehr unglücklich runter gestiegen. Wenn wir uns nur irgendwann glücklich wiedersehen. Kannst Du das schöne Gedicht von Rilke?

Wie hab ich gefühlt, was Abschied heißt.
Wie weiß ich’s noch. Ein dunkles, unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt, und hinhält u. zerreißt.
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2

Ich liebe es sehr. -

Jetzt wirst Du aufstehen und gleich allein zum Lazarett runter gehen. Fühlst Du nicht, wie ich noch bei Dir bin? Wie lieb hab ich Dich doch. – Eben hab ich von Fr. Schenzler gehört, daß die neue Brücke auch im Wasser liegt. Ich bin nun doch sehr in Sorge um zu Hause. Wie werde ich alles vorfinden?

Köln wird vermutlich schon beschossen. Vielleicht ist keiner mehr da. Ich fahre in eine sehr trübe Ungewißheit hinein. – Es ist heute sehr bewölkt, ich glaube, wir haben einen günstigen Reisetag erwischt. -

Meine große Hoffnung ist nun, daß ich wieder kommen kann und das tröstet mich etwas. – Wie schön waren diese 4 Wochen bei Euch oben. So friedlich u. ruhig u. gut. Sie werden immer wie ein schöner, lieber Traum[?] in mir nachklingen. -

Nun freue ich mich besonders, daß wir gestern noch gebacken haben. Nun hast Du zu Deinem Geburtstag doch einen kleinen Gruß von mir.

3

Verlebe ihn so schön es noch geht, liebste Lotti. Es wird bestimmt ein schöner Abend sein, wenn Ihr 3 zusammen feiert. Hans-Albert wird bei Euch sein und den Tag mit Euch erleben. Und auch ich werde mit vielen innigen Gedanken bei Dir sein und Dir alles, alles Gute wünschen. – Wenn Ihr Hansa schreiben könnt, bestelle ihm dann auch bitte viele liebe Grüße von mir. Ich wünschte ja so sehr, daß bald ein Brief von ihm ankommt. – Von Köln aus werde ich Dir schreiben, auch wenn es keinen Zweck hat, aber ich kann wirklich nicht anders – ich muß Dir halt schreiben. Und Du schreib mit bitte wenn Du was von Köln hören solltest, daß es besetzt ist usw. schreib mir dann bitte nach Haltern.

Die Adresse ist übrigens anders.

Haltern i. Westfalen.
Sythen b/ Dülmen/Hausdülmen
Rheinische Landwerke.

Und wenn das nicht mehr gehen sollte an d. Adresse v. Herrn Hirtz. -

Gerade stellen Herr Stecher u. Fr. Schenzler fest, daß d. 2 Reifen auch platt ist. Der Schlüssel ist auch noch nicht gefunden. Das ist wirklich heiter. Wir haben 2 Reserve Reifen, nun dürfen wir nicht noch einen Platten bekommen. Wie u. wann werden wir bei solchem Pech in Köln ankommen? -

Lotti, liebe Lotti, nun lebe wohl. Laß Dich innig umarmen und von ganzem Herzen lieb haben. -

Grüße bitte Deine Mutter u. Gisela u. sage Ihr noch einmal vielen, vielen Dank für die schöne Zeit bei Euch u. all die Liebe.

Es ist 7.35 Uhr. Du gehst nun runter – allein.

Ach Lotti, sagen wir Aufwiedersehen, irgendwann, aber bestimmt auf dieser sich umstürzenden Welt.

Immer Deine Ulla.