Lotti an Ursula Lindemann, 1. Juli 1943

Auf dem Bräunig
den 1.7.43

Meine liebe Ulla,

wie magst Du diesen entsetzlichen Angriff überstanden haben. Ich hatte große Sorge, wie es mit Euch stände, und zum Glück ging das Telephongespräch durch. Du arme Ulla hast sicher viel Angst ausgestanden, und ich sitze hier so wohl geborgen. Sonst haben wir noch keinerlei Nachricht aus Köln und Wisen[?] nicht, was aus unserem Betrieb geworden ist. Am erbittertsten bin ich über die Zerstörung des Kölner Doms, des Rathauses u. Gürzenichs, und ich

hoffe nur, daß die Strafe für die Engländer entsprechend ausfällt, damit sie endlich am eigenen Leibe spüren, was sie uns antun. Wie hoch sind die Verlustziffern? Wenn Du Deinen Kriegseinsatz beendet hast, möchten wir Dich gerne hier haben. (Gerade höre das Violinkonzert v. Beethoven, auf das Du mich dankenswerterweise so rührend aufmerksam gemacht hast. Die Geige schwingt sich leidenschaftlich in wunderbare, reine Höhen und sinkt wieder ab, um in eine weiche, sehnsuchtsvolle Melodie überzugehen, u. Leidenschaft und Sehnsucht wechseln mit Schmerz und Freude ab.

Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl, wenn diese Musik in die sorgenvolle u. bekümmerte Grundstimmung meines Gemütes eindringt. Es ist eine Erquickung und Befreiung von dem lastenden Druck, u. Du, liebe Ulla, hörst u. spürst sie sicher jetzt mit mir gemeinsam.)

Montag wirst Du bei Finken angefangen haben. Hoffentlich ist auch wirklich was zu helfen, sonst täte es mir leid, um die verlorene Ferienzeit, die Du zur Erholung nach allem Durchgemachten so dringend brauchst. – Aber Du kommst ja noch auf jeden Fall zu uns u. kannst dann Dich ungestört ausschlafen. Ich bekomme am 24.7. Ferien. Deshalb wäre es schön, wenn Du

dann hierwärst, aber ich selbst will dann nach Köln kommen mit meiner Mutter u. Gisela, um im Garten zu ernten. Deshalb haben wir es jetzt so beschlossen: Wir erwarten Dich am Do. d. 15.7. bei uns, u. Du bleibst bis zum 25.7., wo wir dann alle 3 mit Dir wieder nach Köln fahren. Hoffentlich läßt die Mutter Dich los, und bist Du mit der Zeit einverstanden. Dann müßte nur noch das Wetter besser werden, damit wir auch schwimmen u. draußen sein können. Heute haben wir draußen im Liegestuhl den Schirm aufgespannt u. uns eisern naßregnen lassen. Hast Du Dich vom Schrecken des Zeugnisses wieder erholt? Das Spießrutenlaufen durch den

Splitterregen bitte ich aber nicht zu wiederholen und beim nächsten Mal sofort das nächstbeste Haus aufzusuchen. Ich möchte nicht, daß die Flieger Dir etwas antun, hörst Du? -

Was macht der arme Klaus? Ich begreife garnicht, wie seine Erfrierungen sich im warmen Sommer wieder entzündet haben. – Mit großem Kummer hörte ich vom zerstörten Büro des Vaters und befürchte, daß unser Betrieb dasselbe Schicksal erlitten hat.

Dir, liebe Ulla, für heute herzlichen Gruß. Ich freue mich sehr auf Dein Kommen und rechne fest damit. Verschiedene Pläne habe ich schon geschmiedet.

Deine Lotti.