Lotti an Ursula Lindemann, 24. Oktober 1944

24.10.44.

[an 20.11.]

Meine liebe Ulla,

ich liege bereits zu Bett, aber dieser Brief soll Dir schnell noch den Deinigen, lieben vom 17.10. bestätigen. Auch den vom 15.10. erhielt u. beantwortete ich bereits.

Wie gern hätte ich Dich hier, liebe kleine Ulla, wo noch einigermaßen Ruhe u. Frieden ist, u. Du vor den Schrecken des furchtbaren Krieges bewahrt bliebst. Du weißt ja, ich schrieb es Dir schon öfter, daß Du ja jederzeit herkommen kannst. – Wie sehr würde ich mich freuen! Wie dankbar bin ich Dir für alle Nachrichten von Dir und ebenso über Deine Mitteilungen über Bartels u. Frl. Monscheuer. So erfahren wir wenigstens doch ziemlich regelmäßig etwas von Köln u. wie ihr die schrecklichen Angriffe überstanden habt. Gottlob sind die

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letzten Tage für Euch ruhiger geworden. Möge es nun so bleiben. Aber da Aachen jetzt gefallen ist, fürchte ich so sehr für Köln u. Euer Bleiben dort. Bitte, ergreift nicht zu spät die Gelegenheit herauszukommen, wenn uns das Schicksal auch dies nicht ersparen sollte! Ursel Ebel wird Ende d. M. wieder zum Studium hierherkommen. Ihr kannst Du ein Schreiben mitgeben, das schneller eintreffen wird. Wenn die Eltern Dich herschicken wollen, könntest Du auch mit ihr fahren. Überleg es noch einmal ernstlich mit den Eltern, liebe Ulla, vielleicht ist es ihnen lieber, Dich aus der Gefahr heraus zu wissen.

Über Frl. Monscheuers Unglück erfuhr ich 1 Stunde nach der Be-

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endigung meines Examens gestern. Die Ärmste, nun ist auch sie soweit.

Der Anatomierof. fragte uns nach dem er uns geprüft hatte, welch eine Note wir uns selber geben würden. Wir entschieden uns teils für 3, teils 2-3. Daraufhin stellte unser Prof. fest, „Sie sind aber bescheiden“ u. unter einem freundlichen Lächeln sagte er: „Ich bin großzügiger, ich habe Ihnen alle eine „Eins“ gegeben.“ – Wir stießen ein paar Worte des Erstaunens heraus, worauf er bekräftigte: „doch, es war sehr gut, Lücken waren zwar da, - aber..“

Das „aber“ ließ er unausgesprochen, reichte uns stattdessen freundschaftlich

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die Hand (was wir sehr erfreut hinnahmen, weil er als einziger der Professoren uns so würdigte) und entließ uns herzlich.

Damit waren wir „cand. med.“ geworden und hatten unser Physikum alle 5 mit dem Gesamtresultat „sehr gut“ bestanden.

Wenn nicht von weitem die Front auch jetzt in der Nacht rummelte u. alles anders wäre, könnte ich mich darüber freuen. Um Hansa haben wir die größten Sorgen. Heute kam ein Brief vom 10.10., das sie aushalten müßen. Es denkt in herzlicher Liebe an Dich

Deine Lotti – bleib mir gesund!