Lotti an Ursula Lindemann, 29. Oktober 1944

Schriesheim d. 29.10.44.

[an 22.11.]

Meine liebe Ulla,

nun meldet der Wehrmachtsbericht heute schon wieder, daß Köln gestern am Tage u. auch in der Nacht das Ziel eines feindlichen Angriffs gewesen ist und ich bin in großer Sorge. Hoffentlich erreicht mich bald eine Nachricht, daß Ihr auch diesmal wohlbehalten geblieben seid, wie bisher. Aber wann wird eine solche eintreffen, nachdem Du mir heute in Deinem Brief vom 21.10. schreibst, daß keine Post mehr aus K. herausgeht! Nutze nun bitte jedwede Gelegenheit aus, meine liebste Ulla, mir ein paar Zeilen zukommen zu lassen! Auch ich schrieb Dir zuletzt häufiger, (am 19., 22. u. 24.10.) ob Du wohl

alle meine Briefe erhieltest? Du bestätigst so selten einen, daß ich daran zweifeln muß. Aber ich werde Dir trotzdem recht oft jetzt schreiben. Ich glaube nach allem, was Du mir zuletzt aus Köln mitteilst, daß Du jetzt nicht mehr arbeiten wirst, da die Voraussetzungen dazu fehlen. Nun hat wenigstens dieser anstrengende Dienst für Dich aufgehört, denn er wäre bei den übrigen Lasten Eures Lebens u. der dauernden Unruhe u. Gefahr auf die Dauer untragbar für Dich. Mußt Du das Wasser nun täglich von weither schleppen u. wo kocht Ihr, wenn Gas und Strom fehlen? Ach, könnte ich Dich, liebe Ulla, u. Euch alle diesen furchtbaren Lasten entheben u. aus dieser Not herausholen, hier

in unsere immer noch recht friedliche Einsamkeit. – Aber alles wird einmal ein Ende nehmen und eines Tages werden wir ganz gewiß ein schönes u. glückliches Wiedersehen feiern und uns des neuen so schmerzhaft erkämpften Lebens freuen [?] freuen können, nicht wahr, meine liebe, kleine Ulla? Bleib mir nur gesund bis dahin!

Nun da ich das Physikum hinter mir habe, helfe ich meiner Mutter bei ihren Hausarbeiten u. morgen wartet die Wäsche auf mich. Es ist morgen nun schon 1 Woche her, daß ich zur Prüfung in die Anatomie fuhr. Aber lange werde ich nicht hier oben herumfaulenzen können u. auch nicht wollen. Ich habe nun erfahren, daß wir zum Facheinsatz herangezogen werden. Und

nun will ich mich erkundigen, ob ich mich selbst irgendwohin melden kann. Ich will es dann zuerst einmal in Schriesheim versuchen, wo 2 Lazarette sind. Du schreibst so dringend von weiterstudieren, aber das geht doch gar nicht, liebes Ullakind, da die Uni doch geschlossen worden ist, bezw. nur noch 9. u. 10. Sem. zu Ende u. Kriegsversehrte und Kriegerwitwen weiter studieren dürfen.

Welche großen Sorgen Ihr um Klaus u. Hans haben müßt, kann ich recht begreifen, seitdem wir uns um Hansa solche Sorgen machen. Von Klaus nehme ich nun auch an, daß er wohl in Gefangenschaft geraten ist, da noch keine weitere Nachricht eingetroffen ist. Hoffentlich geht es ihm dort einigermaßen gut. Versucht Ihr vielleicht auf dem Wege übers Rote Kreuz etwas über ihn zu erfahren?

Kürzlich fand ich einen Zeitungsartikel der über derartige Nachforschungen handelt u. ich schicke ihn mit zur Orientierung. Nur wäre ich Dir dankbar, wenn Du ihn mir einmal gelegentlich wieder zurückschicken kannst. – Auch wir hören eigentlich jetzt täglich ein fernes Rummeln von den Vogesen, wie muß es da erst bei Euch seien? – Ich hoffe, daß inzwischen wieder Zeitungen erscheinen, damit ihr wenigstens über die Ereignisse auf dem laufenden bleibt.

Vom Maria habe ich gute Nachrichten, auch ihren kleinen Rabauken geht es sehr gut, u. sie glaubt weiter an ein gutes Ende u. an ein glücklicheres Wiedersehen. Das tun wir auch weiterhin, liebe Ulla, nicht wahr? Inzwischen begleiten Dich meine Gedanken in

herzlicher Liebe. Grüße auch die Eltern vielmals.

In treuem Gedenken grüßt Dich

Deine Lotti.