Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 16. April 1941

Köln, den 16.4.1941

Lieber Robert!

Nun endlich komme ich dazu, Dir Deinen Brief zu beantworten. Ich habe in der letzten Zeit unendlich viel zu tun gehabt. Erst brachte ich die Kleine zur Bahn. Die Vorbereitungen haben ganze zwei Tage in Anspruch genommen. Dann wurde Günther in derselben Woche eingezogen. Auch das kostete viel Zeit. Und dann zog ich um. Wie viel Arbeit das ist, kannst Du Dir ja lebhaft denken. Dann habe ich in der vorigen Woche noch einen Kindertransport nach Rothenburg ob der Tauber gebracht. Da waren wieder zwei anstrengende Tage zum Deubel. Ich bin kaum zu mir selbst gekommen. Über Ostern bin ich jetzt nach Hannover gefahren um mich einige Tage auszuruhen. Aber huste Kuchen, fehl geschlagen. Ich hatte mich zu früh gefreut. Gearbeitet habe ich wie ein Pferd. In den zwei Tagen bin ich auch nicht zu mir selber gekommen.

Nun habe ich ja wohl einen genügenden Grund dafür angegeben, dass ich mich nicht früher um Dich gekümmert habe. Aber vermisst hast Du mich ja sicher nicht.

Du möchtest nun gerne von mir Näheres über meine persönlichen Angelegenheiten hören. Ja, lieber Bruder, da kann ich Dir leider nicht allzu viel mitteilen. Ich weiß selber noch nichts. Es hat sich in der Zwischenzeit herausgestellt, dass zwischen Günther und mir nicht alles so war, wie es aussah. Da haben wir uns in aller Ruhe darüber unterhalten, was werden sollte. Und wir waren beide zu dem Entschluss gekommen, dass wir uns eine Zeit lang trennen wollten. Aber dass das dann überholt, als er eingezogen wurde. Und nun schreibt er mir wirklich liebevolle Briefe und wer die lesen würde, würde bestimmt denken, dass sind die glücklichsten Menschen unter der Sonne. Da kannst Du aber auch mal sehen, wie der Schein trügt. Na, jetzt muss ich die Sachlage mal abwarten. Bis zur Beendigung des Krieges wird sich bestimmt in meiner Angelegenheit noch viel tun.

So, siehst Du, dass ist alles, was ich Dir davon berichten kann. Du wirst wahrscheinlich von Emmi ganz andere Sachen gehört haben. Aber es ist alles nicht so schlimm, wie es aussieht.

Nun muss ich Dir aber leider eine sehr traurige Mitteilung machen. Als ich gestern nach Hause kam, bekam ich die schreckliche Nachricht, dass Uta in der Zwischenzeit in ein Krankenhaus gekommen ist. Mittelohrentzündung. Ich war entsetzt. Aber was soll ich machen. Wenn ich jetzt da hinfahre, kriegt das Kind nachher so Heimweh, dass sie mir stirbt. Wenn ich sie jetzt holen gehe, dann stirbt sie mir auch, denn das Kind könnte diese Luftveränderung jetzt unter keinen Umständen vertragen. Sie ist ja erst 4 Wochen da, dann Mittelohrentzündung und dann wieder in die Drecksluft von Köln. Das würde das Kind unter gar keinen Umständen aushalten können. Ja, so sieht die Sachlage augenblicklich aus. Du siehst mir geht so viel im Kopf herum und augenblicklich stürmt so sehr viel Schreckliches auf mich ein. Ich finde mich bald selber gar nicht mehr zurecht. Hinzu kommt noch, dass mir der Arzt gestern ernsthafte Vorstellungen machte und mir sagte, dass ich mich ganz

wahnsinnig in Acht nehmen müsste, denn sonst könnte mir unter Umständen mal ganz plötzlich was passieren. Ich habe heute schon dasselbe, was Vater mit 60 Jahren hatte. Also kannst Du Dir ja meinen Zustand wohl vorstellen. Ich habe Frau Schmidt in Hannover aufgesucht, auch die sagte mir, „Nehmen Sie sich und das Kind in Acht, Ihnen beiden droht große Gefahr.“

Ich habe gerade von Mutter telefonisch Nachricht bekommen, dass die Kleine wieder gesund ist, dass sie sie aber noch im Krankenhaus hat, bis sie ohne jede Gefahr wieder raus kann.

Nun will ich schließen, lieber Bruder. Sei mir nicht böse, dass ich Dir nicht zu Ostern geschrieben habe. Aber Du siehst ja wohl, wie mir zu Mute ist und dass es mir beim besten Willen nicht möglich war, zu schreiben.

Nun alles Gute. Und viele herzliche Grüße sendet Dir Deine Schwester
Christa

 

Lieber Bruder!

Der Brief ist wieder zurückgekommen, wegen falscher Nummer. Sei bitte so gut, und schicke mir umgehend den Schlüssel für Deinen Schrankkoffer. Ich kann ihn Dir ja so nicht nach Graz schicken. Die Bahn übernimmt ja so keine Verantwortung. Sofort nach Erhalt, sende ich Dir den Koffer ab.

Herzliche Sonntagsgrüße Deine beiden Schwestern
Irmgard und Christa