Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 4. November 1941

Köln, den 4. November 1941

Lieber Bruder!

Deinen Brief haben wir erhalten. Vielen Dank. Und nun will ich ihn Dir, wie Du Dir immer wünschst, „punktweise“ beantworten.

1.) Mutter und Uta in Graz.
Es hat weiter gar keinen Zweck, mit Dir über die näheren Einzelheiten zu diskutieren, da Du uns ja doch nie verstehen kannst. Wenn Du, wie wir das leider immer müssen, Abends todmüde von einem verdammt anstrengenden Dienst nach Hause kommst, findest dann aber nicht die Gemütlichkeit vor, die Du immer gewohnt warst, sondern bist gezwungen, erst einmal die Betten zumachen, dann einzukaufen und was sonst noch alles an der Hausfrau hängt, angefangen von putzen, bis zum Einmachen, dann kannst Du auch aus der Haut fahren. Aber, darüber wollte ich ja gar nicht mehr mit Dir reden. Ich möchte Dir nur begreiflich machen, dass das von uns keinerlei Egoismus ist, was Du gerne behaupten möchtest, sondern da es lediglich eine Lebensnotwendigkeit ist, das wir uns Abends ein bischen ausruhen können. Das ist uns nun natürlich nicht möglich. Trotzdem aber haben wir uns entschlossen, Mutter in Graz zu lassen. 1. weil dort unten die Lebensmittel noch lange nicht so beschränkt sind, wie hier bei uns, und zweitens, weil Mutter sonst wieder restlos Geld verschwenden würde, das wir augenblicklich alle sehr nötig haben. Wir haben uns damit einverstanden erklärt, dass vorläufig alles so bleiben soll, wie es augenblicklich ist. Es ist für Irmgard und mich eine sehr schwere Belastung, zumal wir beide nicht gesund sind und wir beide sehr viele und sehr starke Schmerzen haben. Irmgard macht mir ganz besonders viel Sorge. Jedoch habe ich ihr versprochen, über die Ursachen zu schweigen und werde das ja auch halten. Nur eines möchte ich Dir gegenüber betonen: wir handeln nicht aus Egoismus, wenn wir Mutter um eine Rückkehr baten. Die Folgen unserer jetzigen notwendig gewordenen Lebensgewohnheiten werden sich erst später, vielleicht aber auch in kurzer Zeit auswirken. Wie die dann sind, das weiss heute noch keine Menschenseele, selbst wir nicht. – Damit wäre ja nun wohl über diesen Punkt genug diskutiert worden und Du kannst Dich ganz beruhigt auf Deinen erworbenen Lorbeeren ausruhen. Im übrigen find ich, dass Du auch Deinen eigenen Egoismus spielen lässt, denn Du müsstest ja dann um zwei Menschen Sorge haben. Um uns ist das auch nicht nötig, denn wir kommen ja so durch.

2.) Das wir Köln verlassen, ist ja ganz ausgeschlossen. Ich habe hier

eine Stelle angenommen, damit Irmgard nicht alleine ist. Ich glaube nicht, dass Irmgard so unkameradschaftlich ist, dass sie anders handelt.

3. Weihnachten in Graz.
Hast Du Dir eigentlich schon einmal klar gemacht, wieviel uns diese Reise kosten könnte? Bei allerbilligsten Berechnung kommt der Spass auf RM 250,--. Ich glaube, dass ist für 8 Tage ein bischen arg viel. Und Mutters „Sparen“ dürftest Du ja allmählich kennen gelernt haben. Aber auch darüber können wir vorläufig noch gar nichts sagen. Wir müssen erst mal sehen, wie sich die Sache hier weiter entwickelt und dann, ob wir uns so viel Geldausgaben leisten können und dürfen.

4. Ich danke Dir für Deine Feststellung, dass Du Dir vorstellen könntest, dass ich Sehnsucht nach Uta gehabt habe. Ich muss schon sagen, es ist rührend, dass Du wenigstens das einsiehst. Du bist Dir aber anscheinend noch nicht klar darüber, dass ich mein Kind jetzt ¾ Jahr nicht mehr bei mir habe. Also brauchst Du mir den Wink mit dem Zaunpfahl, bezüglich Opfer bringen, gar nicht erst beizubringen. Letzten Endes meine ich, habe ich doch bewiesen, dass ich um meines Kindes willen manches Opfer bringen kann. --

So, das wäre die Beantwortung Deines Briefes. Ich habe nunmehr die angenehme Pflicht, Dir mal wieder zur Abwechslung einen Kirchensteuerbescheid zuzusenden. Dich haben sie ja ganz besonders auf den Kieker genommen. Na, mach Du ihnen jetzt mal die Hölle heiss.

Was Deine Sachen anbelangt, so haben wir z. Z. nichts mehr hier, als
1. Deine Waffen,
2. Dein Zeichenmaterial, soweit es aus Leister u. ä. besteht,
3. die Sachen, die in der einen (oder beiden) Schubladen sind, zu der wir aber immer noch
   keinen Schlüssel haben. Also besorg uns den bitte, dann werden wir auch Deine restlichen
   Sachen nach Graz schicken. Leider sind wir dazu so nicht in der Lage.

Hoffentlich sind die Bilder bald fertig. Ich bin ja doch sehr neugierig. Uebrigens finde ich es nicht sehr nett, dass Du die ersten Abzüge zuerst nach Graz geschickt hast.

So, nun will ich für heute schliessen. Ich hoffe, dass Du jetzt über unseren Egoismus und über die Sorge, die Du um Deine Mutter und mein Kind hast, beruhigt bist. -- Wir mussten nur beide feststellen, dass es doch nicht so leicht ist, wenn man merkt, dass die Entfremdung zwischen seinen nächsten Angehörigen und uns selbst täglich zunimmt. Wir sind uns darüber klar, dass wir bald ganz alleine dastehen werden. Aber das gehört nicht zur Sache. Es ist lediglich die Tatsache festzustellen, dass Du also vollkommen beruhigt sein kannst, es bleibt alles so, wie Du es gerne siehst, und wie es zwischen Euch ausgeklügelt worden ist.

Herzliche Grüße senden Dir Deine beiden Schwestern.