Christa Lehmacher an ihre Familie, 25. April 1944

Herkenrath, den 25.IV.44
Bei Bensberg
Fa. Forma-Fabrik

Meine Lieben!

Der Einfachheit halber schreibe ich gleich mit drei Durchschlägen, sodass ich alles nur einmal zu schreiben brauche.

Ihr sollt wissen, wie es bei uns in unserem schönen Köln aussieht. Furchtbar!! Die haben gewütet, dass alles andere dagegen nichts war. Dieser Angriff war der Schlimmste, den wir bis jetzt gehabt haben. Die haben nur Minen und flüssigen Phosphor geworfen. Einschlag auf Einschlag, 20 Minuten lang. Aber diese 20 Minuten haben mehr gekostet, als sonst ein ganzes Menschenleben lang.

Ich war in dieser Nacht zufällig in Herkenrath. Als der Alarm kam, standen auch schon die ersten Christbäume über der Stadt. Vor allem Mülheim und südlicher schienen stark betroffen zu sein. Ich war noch nicht richtig aus dem Bett, da fielen die ersten starken Minen, und was für welche!! 100 Zentner haben die geworfen. Da steht nichts mehr. Nur 20 Minuten dauerte dieser grausame Spuk! Aber was ist da angerichtet worden!!!

Am Morgen haben wir versucht, sofort nach Köln reinzukommen. Es gelang uns nicht, da die Strassenbahnen natürlich alle wieder nicht fuhren. So haben wir dann ein Motorrad geliehen und sind damit nach Köln gefahren. Am Ring konnten wir nicht mehr durch, da dort alles was noch stand vernichtet worden ist. Der Ring vom Adolf Hitler Platz bis zum Barbarassoplatz sind restlos auf beiden Seiten vernichtet worden. Das Opernhaus stand in hellen Flammen. Der Zuschauerraum ist total ausgebrannt. Die Bühne hat man durch den eisernen Vorhang retten können. Das große Gebäude der Westdeutschen Bodenkreditanstalt ist mit einem Volltreffer geringeren Ausmasses versehen worden. Das Haus vom Haus- und Grundbesitzerverein ist total ausgebrannt und so geht das in einem fort. Dann weiter nach Lindenthal. Der Westbahnhof ist vernichtet, die Bahnunterführung hat einen Volltreffer bekommen. Der Anfang der Aachenerstrasse ist restlos vernichtet, der Lortzingplatz, die Lindenburg, alles vernichtet. Die Menschen liegen noch unter den Trümmern und man kann sie nicht herausholen. Die haben noch tagelang Klopfzeichen gegeben und man war nicht in der Lage, sie herauszubuddeln, da die Trümmer zu stark über ihnen liegen. Ehrenfeld, Sülz, Nippes, Riehl, Mauenheim, Meerheim, alles stark betroffen. Hunderte von Menschen sind in dieser einzigen Nacht wieder obdachlos geworden. Man kann das nicht im Einzelnen schildern, dazu ist das zu grauenhaft. - - Bei Mehrins selber ist nichts passiert. Bei uns ist alles, was wir bis jetzt aufgebaut haben wieder vernichtet. An der Bahnunterführung ist eine Miene heruntergegangen, die alle Mühe umsonst gemacht hat. Ich habe es jetzt satt. Robert, wenn Du mal wieder Zeit hast nach Köln zu kommen, dann werden wir, was noch wertvoll ist, in den Keller schaffen und dann kann oben meinetwegen alles gehen, wie es kommt. –

Wenn wir wenigstens noch ein bisschen Ruhe hätten. Aber nein, Tag und Nacht Alarm. Den ganzen Samstag und Sonntag hatten wir Tag und Nacht Alarm. Gestern über Tag hatten wir 6 x Alarm und in dieser Nacht von Viertel vor 12 bis 10 vor drei. Und dann soll man Tagsüber arbeiten gehen. Es ist ausgeschlossen. Man ist nicht mehr in der Lage, richtig zu denken, man ist auch keiner

Gefühle mehr fähig. - -

Unsere Leute im Betrieb sind zum Teil auch betroffen worden. Einige sind restlos ausgebrannt, andere wieder ausgebombt. Bis jetzt haben wir eine, die uns totgemeldet wurde. Aber von vielen wissen wir noch gar keinen Bescheid.

Gerade kommt eine rein und sagt, dass sie jeden Morgen ¾ Stunde zu Fuss bis zur Strassenbahnhaltestelle, dann 1 ¼ Stunde Fahrtzeit braucht bis zur Arbeitsstätte. Das könnte sie nicht aushalten. Ja, so ist das.

Sonst kann ich von mir nur berichten, dass ich wahnsinnig kaputt und müde bin. Die Nerven machen überhaupt nicht mehr mit. Aber sonst geht es noch allweil.

So, jetzt habt Ihr einen Bericht zur Lage. Ich muss schliessen, denn ich muss arbeiten.

Nun lasst bald einmal von Euch hören. Ich wünsche Euch alles Gute und drückt mir den Daumen, dass ich das alles überlebe. Das ist auf jeden Fall der Anfang vom Ende.

Nochmals alles Gute und herzliche Grüße
Eure Christa

Herrn Berger geht es auch noch verhältnismäßig gut. Er lässt grüssen.

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[Handschriftlicher Zusatz:]

Die Fensterrahmen und die Türen sind kaputt. Die Wände stehen noch.

Ich baue nicht mehr auf, es hat keinen Zweck.

Kommst Du bald? Ich möchte die Möbel in den Keller schaffen.

[Vorderseite:]

Die Mantelfabrik ist kaputt.