Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 19. September 1944

19.9.1944

Mein lieber Bruder!

Anbei übersende ich Dir mein Testament. E ist noch einmal kurz das, welches Mutter in Händen hat, lediglich noch, das es meine Scheidung klar stellt. Ich bitte Dich, im Falle meines Todes dieses und das Testament, welches Mutter für alle Fälle noch hat, im Beisein von Mutter und Irmgard zu öffnen – und ich hoffe, daß ihr meine Wünsche dann erfüllen werdet. –

Ja, mein Lieber, so weit bin ich. Die augenblickliche Situation ist ja so, daß man nicht weiß, ob wir noch leben bleiben. Ich will dann für alle Fälle vorgesorgt und Uta so weit wie möglich sicher gestellt haben. – Du kannst ja sicher die militärische Lage beurteilen. Hier sagten heute Mittag die Soldaten, daß die

Panzerspitzen bereits in Aachen seien, daß gestern geräumt worden ist. Eupen ist bereits besetzt. Der Westwall liegt unter dauerndem Beschuß. Bei Trier seien sie 10 km in den Westwall eingebrochen. – Wann werden wir drankommen? Man muß hier mit allem rechnen, wenn wir auch immer noch hoffen, daß wir verschont bleiben werden. –

Unter den obwaltenden Umständen werde ich meine Beiden natürlich nicht holen, damit ihnen unnötige Strapazen erspart bleiben. Wer weiß aber, ob und wann wir und wiedersehen werden! –

Das war in groben Zügen das Wichtigste. Noch eins: meine Scheidung ist am 22.08. ausgesprochen und wird am 6. Oktober rechtskräftig. So lange muß ich mich noch gedulden. Begründet ist sie auf dreijähriger Trennung im gegenseitigen Einverständnis. Meinerseits: Verzicht auf Unterhalt, Seinerseits: Verzicht auf das Kind. – Und auch diese Zeit geht noch vorbei. –

Ich weiß nicht, ob ich noch einmal dazu komme, Euch zu schreiben. Darum möchte ich alles erledigen. –

Falls ich flüchten muß, was ich vermeiden werde, wende ich mich ins Allgäu zu Mutter und werde von dort aus wieder schreiben. und mich melden. –

Falls ich hierbleiben kann, werde ich voraussichtlich ja nichts mehr von mir hören lassen können. Ich werde jedenfalls ständig versuchen, Mutter zu unterrichten. Falls wir hier also abgeschnitten werden sollen, werde ich vorerst immer Mutter zu verständigen suchen. –

Im Notfall mußt Du Mutter trösten. Ich werde mich schon durchschlagen und wenn ich wirklich Höhlenbewohner werden sollte. Mehr Sorge wie unbedingt nötig, soll sich keiner machen.

So damit wäre wohl alles gesagt. –

Nun möchte ich doch nicht versäumen, Emmi meinen nachträglichen aber ebenso herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag auszusprechen. Du kannst wohl verstehen, daß mir in der augenblicklichen Lage danach der Kopf nicht steht. – Es ist eben alles zu verwirrend. Dazu kommt noch, daß wir ständig in Alarm leben. Es gibt kaum noch Stunden, wo wir mal keinen Alarm haben. Dafür konnten wir die letzten Nächte aber schlafen.´

Und nun wünsche ich Euch allen, vor allem Dir , lieber Robert, alles alles Gute. Hoffentlich sehen wir uns noch einmal wieder
Eure Christa

Anbei noch ein paar Briefmarken