Elisabeth Knabben an Schwester Agnes, 21. September 1944

Köln-Mülheim, den 21.9.1944
i/Carlswerk, 13.35 Uhr

Liebes Angenies!

Ich muß Dir mal wieder ein kleines "Liebesbriefchen" schicken. Die politischen Ereignisse, die sich in letzter Zeit überall tun und für Dich in besonderem Maße in der vergangenen Woche "taten" haben sich ja nun wieder beruhigt. Glaube mir, liebes Schwesternherz, daß wir -ganz abgesehen von den Schilderungen, die Vater uns machte - sehr viel an Dein Wohl und Wehe gedacht haben und hin- und her überlegten, was für Dich am besten und sichersten sei. Zu allererst waren wir ja entsetzt zu hören, daß Du vom Land, d.h. vom Sicheren zu uns in die Stadt kommen wolltest - aber wir konnten uns ja nicht wie Du, die darin saß - ein Bild von dem machen, was dort vor sich ging. Also trafen wir vergangenen Samstag alle im Bereich der Möglichkeit liegenden Vorbereitungen ein von Fr. Hoeren zur Verfügung gestelltes elegantes Luftschutzbett mit tollen Federkissen und guten Matratzen steht heute noch in meinem Schlafzimmer neben meiner Schlafstätte, sprich Couch von Fr. Hammerschlag. Und als wir aus dem Brief von Vater entnahmen, Du wolltest nach Forsbach, da bedauerten wir Dich im stillen heftigst, nicht wegen des eingeschränkten Lebens, das mußt Du dort ja auch, nein, wegen Deiner "Schwiegermutter", entschuldige, daß ich den Ausdruck in Ausrufungszeichen setze, aber ich weiß ja auch, daß sie bei weitem Dir nicht das ist, was eine Schwiegermutter sein müßte. Nun, bei ihrem Desinteresse zu ihren Söhnen ist das ja auch kein Wunder. Also, mithin hatten wir, d.h. Mutter, Willy und ich überlegt, Dich mit den Kindern - solange wie irgend möglich - bei uns in Mülheim zu halten, Du hättest bei größeren Alarmen in den Krankenhaus-Bunker gehen müssen und im übrigen Dich in den Haushalt Knabben eingliedern müssen, was Dir ja sicherlich nicht schwer gefallen wäre. Die beiden Kleinen wären auf die Sofas verteilt worden, Du wärest zu mir aufs Zimmer gekommen -und das 3. Kind wäre in das Bettchen von Gerta gekommen, das noch drüben bei Grevens steht und das wir noch in

mein Zimmer gestellt hätten. Mit Decken und Kissen hatte uns Fr. Hoeren eingedeckt, ein Plümo von Frau Thiele liegt auch schon bei uns. Also - dafür ist gesorgt. Und trotzdem wüßte ich genau, wie Mutter sich beunruhigen würde hei Tagesalarm und vor allem bei Nachtalarm. Nun ja, jetzt kommt ja Vater vorerst von Freitags bis Dienstags und im übrigen müssen wir hoffen, daß es sich irgendwie beruhigt. Für alle Fälle habe ich am vergangenen Sonntag mit Mumi einen großen Rucksack gepackt mit den notwendigsten Dingen für eine evtl. kurze Flucht. Aber wie gesagt - wir bleiben hier, solange es überhaupt nur möglich ist -. Ich hatte mir auch schon mal überlegt, für einen Sprung zu Dir zu kommen, aber ganz abgesehen von der augenblicklichen Unsicherheit, fahren ja die Züge so unregelmäßig und lange, daß, wenn ich abends hier abfahren würde, ich erst gegen Frühmorgen bei Dir wäre und gleichzeitig auch wieder abfahren müßte. - Als kleinen Ersatz werde ich aber viel an Dich und Deine 3 denken und auch für Dich beten. - Du hast ja inzwischen erfahren, daß Paul in der Nacht von Sonntag auf Montag aus seiner O.U. hier anrief und uns bat, dafür zu sorgen, daß Du nach Forsbach kämest, nicht? - Als er hörte, daß Vater bei Dir sei, war er beruhigt. Im übrigen will ich Dir mal etwas sagen, Angenies, alle Übrigen Bewohner Deutschlands, die nicht unmittelbar hier im Westen wohnen, stellen sich unsere Lage i.A. unerträglich vor und reden und schreiben die reinsten Greuelmärchen. Vielleicht hat Paul Wind davon bekommen und daher die große Unruhe seinerseits. -

So - weshalb ich Dir eigentlich schreibe - kommt nun zum Schluß. Denke Dir, ich habe vergangene Nacht so lebhaft von Dir geträumt, daß Du im 6. Monat wärest, Dich enorm auf das Kindchen freuen würdest trotz Krieg und allem und ich so traurig war, daß Du nun schon das 4. bekamst und ich noch immer keines.-Das kam sicher daher, weil ich vorgestern bei Prof. Naujoks war und er mir nochmals versicherte, daß ich wohl noch einen ganzen Stall von Kindern bekommen könnte - nur müßte ich mich bemühen, seelisch zur Ruhe zu kommen, was ja in der augenblicklichen Kriegszeit auch fast unmöglich sei.

Nun Dir und den 3 [Kindern] viel liebe Grüße und ein herzliches Küsschen von Deiner Elisabeth