Elisabeth Knabben an Schwester Agnes, 19. Oktober 1944

Köln-Mülheim, den 19.10.44

Liebes Angenies!

Nun hast Du sicher inzwischen unsere Karte bekommen, womit wir Dir schrieben, dass unser schönes Haus Rhodiusstr. 27 am Sonntagvormittag gegen 10 Uhr 30 Min. einen Bombenvolltreffer erhalten hat. Als ich mit Herrn Schneider zu Fuß von Köln-Raderberg kam, sahen wir zuerst die Mülheimer Brücke im Wasser und über ganz Köln und Umgebung Rauch- und Dreckwolken liegen – aber, wenn ich auch immer Unruhe um unser Zuhause gehabt habe, so habe ich doch nie an eine völlige Vernichtung unseres Hauses gedacht. Also von unserer Ecke aus sah ich schon den Erker von Hoerens hängen, und als ich näher kam, sah ich die Katastrophe. Also, nun kurz, sonst werde ich zu ausführlich: die Bombe ist schräg von ungefähr Hoerens Büro auf das Badezimmer gesaust und hat so vor allem den hinteren Teil unseres Hauses zerstört, d.h. Küche, Badezimmer, Flur, Elternschlafzimmer. Das, was noch am besten ist, ist vorn das Wohnzimmer. Willi hat sich sofort daran gegeben und – trotz Verbot der Baupolizei - über die Trümmer hinweg sehr viel gerettet, teilweise mit Stricken am Fenster herausgelassen. Aus der Küche und dem Esszimmer konnte aber nichts gerettet werden. Wie alles aussieht, vor allem durch das dauernde Regnen der letzten Tage, kannst Du dir denken. Die Eltern, Willi und Hoerens waren während der Katastrophe im Luftschutzkeller, sie haben den Aufschlag gehört, das Nachfallen des Hauses und Rieseln im Keller – und dann Stille, sie mussten vorn durch das Kellerfenster kriechen und dadurch haben wir auch den gesamten Kellerinhalt gerettet. Du weißt, was das heißt (aber bitte, nichts darüber sagen, auch nicht dem Vertrautesten, dass wir etwas gerettet haben, hörst Du?). Nun sind wir seit Sonntagmittag dabei, hier zu Grevens zu ziehen. Wir haben genau die Räume von Gerta eingenommen, warm ist es zwar hier noch nicht, aber wir werden schon zusehen. - Wenn nun die Reihe der Terrorangriffe mit Sonntag beendet gewesen wäre, nein, nachdem wir Montag Ruhe hatten, ging es Dienstagmorgen schon wieder los, und gestern, Mittwoch schon wieder. Vorläufig haben wir uns mit Grevens Luftschutzkeller begnügt, trotzdem wir uns dort gar nicht sicher fühlen. Aber in den Bunker gehen, wie es die ganze Bevölkerung tut, dann lieber hier schön zugrunde gehen. Überhaupt das

ganze Leben ist menschenunwürdig, kein Wasser, teilweise kein Elektrisch, kein Gas – und vor allem für ein Brot muss ich durch ganz Mülheim laufen, natürlich die anderen Lebensmittel genau so beschränkt, überall Dreck, fiese Leute, Furcht vor Daueralarmen, Rennen des Pöbels den ganzen Tag in den Bunker, Regen, Nässe usw. usw.

Ich besorge in der Hauptsache die Einkauferei, damit wir was zu Fressen haben. Die größte Überraschung, Angenies, war der Bohnenkaffe, der hat uns in diesen Tagen über das Schlimmste hinweggeholfen, täglich gebrauchen wir davon, das erheitert. Unsere eisernen Rationen, die ja auch für einen solchen Katastrophenfall gedacht waren, sind aufgesoffen – aber wir leben nicht schlecht, das darfst Du nicht denken. Zunächst leben wir noch bis morgen von der NSV, d.h. gut, sehr gut belegte Butterbrote und Suppe, ferner bekommen wir Extra-Rationen an Fleisch, Butter, Brot und Anfang November sollen wir Alkohohl und Bo[hnen]-Kaffe bekommen.

Vater und Mutter waren zuerst sehr geschlagen, aber es geht schon wieder, man ist nur so nervös, dass alles einen verrückt macht. Wenn Du aber auch die Angriffe hier mitmachtest, die Flieger kommen ja so unverschämt tief, toll, einfach. Willy beschäftigt sich den ganzen Tag in den Trümmern unseres Hauses und zieht heraus, was er nur kann. Es macht ihm tollen Spaß. Nur ist alles zumeist verdorben durch den verheerenden Regen.

So liebes A., jetzt kommen unsere Pläne für die Zukunft, damit Ihr so ungefähr wisst, was wir machen, wenn das sich so dranhält wie die letzten Tage: Einstweilen müssen wir noch hier bleiben, für den Fall, dass wir aber räumen müssten, haben wir vor, evtl. zu Mombour-Schmidt zu fahren (dies wäre uns nicht sehr angenehm), eine zweite bessere Möglichkeit wäre nach Felderhoferbrücke zu Claus’ Verwandten (deswegen schreibe ich noch nach dorthin in den nächsten Tagen). Der letztere Fall wäre uns aus dem Grunde am liebsten, weil Gerta in unserer Nähe wäre und Du – wenn du wirklich heute oder morgen von Birgel fortmüsstest und auch in Uckerath durch Gertas Verbindung unterkämest, wir dann alle zusammen wären. (…) Im Übrigen wäre eine Fahrt, wenn auch die NSV heute sagt, sie würde dafür sorgen, mit den größten Schwierigkeiten verbunden. Von hier bzw. von ganz Köln u. Vororten fährt

kein Zug, keine Straßenbahn und überhaupt nichts. Wir sind weit ab von jeder Kultur. So –

Jetzt plaudere also bitte nicht über das Dir Gesagte aus, Elly kannst Du natürlich erzählen, ich konnte ihr keine Eilkartennachricht übersenden, weil wir noch 2 Stück bekamen und Du und Gerta benachrichtigt werden mußten. Dem Paul habe ich die Nachricht auf die Rückseite Deines Briefes geschrieben, die anderen kommen peu á peu dran, weil ich überhaupt vor lauter Laufen, Kramen, Einrichten - und Kellersitzen zu nichts komme.

Wir geben Dir durch Schneiders Hefe mit - und etwas für die Kinder, vor allem für Deine fleissige Tochter Mechtild Schmuck und Haarschleifen, auf daß sie Ereude daran hat.

Unterstehe Dich nur nicht und komme mit einem Militärauto gelegentlich nach hier, Du kommst bestimmt in einen Terrorangriff, und es ist auch alles sooo unschön in der Stadt anzusehen, dass es für Dich nur eine Aufregung wäre. Aber – wenn es irgendwie möglich ist – könntest Du irgendeinem Kartoffeln mitgeben, daran hapert es sehr, weil die Geschäfte überhaupt nicht aufmachen, kein Schwein kommt, alles fliegergeschädigt oder zum Teil ausgerückt – also mit einem Wort ein Durcheinander. –

Zum Schluss, Dir, liebes Angenies, Deinen 3 Süßen, alles, alles Gute, Mut nicht sinken lassen, durchhalten und Nerven behalten, denke, dass es uns trotz allem noch sehr gut geht, weil wir gesund sind und leben.

Von allen, für alle herzliche Grüße Deine
Vater, Mutter, Elisabeth & Willy