Gustav Roos an Vater Toni, 18. Juni 1940

Hannover, den 18. Juni 1940

Lieber Vater!

Deinen Brief habe ich gerade erhalten. Vielen Dank! Ich wundere mich darüber, dass Du gestern noch nicht meinen „Brandbrief“ hattest, den ich Samstag abend von hier abgeschickt hatte. Also nochmal, ich sitze augenblicklich hier, und freue mich, dass ich keinen Pfennig mehr habe. Die 10 Rm zur „Siegesfeier“ haben mir fürs erste ja geholfen. Sollte mein Brief von Samstag verloren gegangen sein, so rechne ich in meinem nächsten Brief nochmal ab, damit Du siehst, dass ich nicht mit dem Geld geaast habe. Also schreib’ mir bitte sofort und versuche bitte in Anbetracht meiner Erbschaft noch etwas Geld für mich los zu machen. Ich muss mir nämlich noch eine Turnhose u. –schuhe kaufen und muss bis zum 1. leben.

Mit Mutter ist es ja ein Skandal. Sie schreibt mir, wenn es gut geht alle 4 Wochen mal eine Postkarte. Samstag vor 8 (acht) Tagen habe ich ihr geschrieben, ich hätte unbedingt Seife nötig. Heute habe ich noch nichts erhalten. Seit vorigen Mittwoch sitze ich ohne Seife. Da ich nichts von Scheuble pumpen kann, er hat selbst nur noch ein kleines Stück, wasche ich mich mit Einheitsrasierseife. Weil die nun so furchtbar riecht, muss ich mich nach der Prozedur immer mit Nivea-Creme einschmieren, so dass ich als eine lebende Speckschwarte herumlaufe. Toll! nicht?

Was Du nun in Deinem Brief über die Kapläne schreibst so muss ich Dich verbessern. Ich war in Hannover schon mehrere Male besoffen. Aber so voll wie Sonntag war ich noch nie. Du weisst ja, dass Onkel Jupp mir die Adresse von Kaplan Kirsch gegeben hatte. Da gehe ich manchmal hin und schlage mich mit ihm über so gewisse Fragen. Mit ihm kann man das nämlich. Er ist Dr. jur. und Dr. theol. Ausserdem ist er Pfarrer des Wehrkreises und trägt in seinem „Dienst“ im Wehrkreis Oberstuniform ohne Schulterklappen. In Anbetracht dessen, dass ich Sonntag „ohne“ war, bin ich

Sonntag zu ihm gegangen. Bis 10.00 habe ich mich mit ihm unterhalten und da hat er mich eingeladen ein Bier mit ihm zu trinken. Er wolle sich eben umziehen. Als er wieder zurückkam, wäre ich beinahe vom Stengel gefallen: Er hatte einen hellen Sportanzug statt des schwarzen Jöppchens an. Mit seinem Sekretär, auch in Zivil, sind wir dann zur „Mutter Pisewitt“ gegangen. Das ist eine Studentenkneipe, und anschliessend waren wir in „Eilers Bier- und Weinstuben“. Ganz feudales Lokal. Diese zwei Stationen haben mir genügt. Um 12.30 war ich bereits so weit, dass ich mich einmal unauffällig verdrückte und auf der Toilette gründlich meinen Kopf umspülte. Dann gings weiter bis 1.30. Da sind wir abgehauen. Ich habe sie noch ein Stück begleitet. Als ich dann alleine war, hab’ ich mir nochmals ganz gründlich den Kopp umgespült. Langsam bin ich dann nach Hause geschwankt. Da ist mir nun passiert, was mir sonst noch nie vorgekommen ist. So eine halbe Std. musste ich im Bett rülpsen. Solange ich den Mund zu hatte, ging das, machte ich ihn aber auf gab es eine Detonation, wie der Schuss aus einem schweren Flakgeschütz. Der arme Scheuble hat was mitgemacht!

Nun zum Krieg. Ich bin fertig! Frankreich streckt die Waffen. Es ist kaum zu glauben. In gut 3 Wochen eine solche Militärmacht am Boden. Deine Idee von Dezember 39 war also doch richtig. Durch Holland und Belgien und dann in den Rücken der Maginotlinie. Dass die Franzosen und Engländer immer wieder auf diese Einkesselungstaktik hereinfallen, ist merkwürdig. Ich meine, das sahen sie in Polen, Norwegen, Holland, Belgien und Nordfrankreich. Aber „der Herr schlug sie mit Blindheit!“ Jetzt bin ich mal gespannt, was der Führer mit England macht. Die scheinen gestern Wut bekommen zu haben. Wir haben diese Nacht nämlich mal wieder im Keller gesessen. Grosses Preisschiessen der Flak! Sonst nichts. Den Engländern geht es wohl in der Hauptsache um die Werke um Hannover. Im Keller wurden die tollsten Dinge erzählt. In Miesburg, vor Hannover, hätten die

Engländer bei ihrem letzten Besuch Flugblätter abgeworfen: „Nehmt euch in acht, wir kommen jetzt jede Nacht.“ oder „Wir kommen solange, bis die Werke kapput sind“ u. s. w. Dasselbe, was auch in Brühl erzählt wurde.

Dann mal wieder was Persönliches. Die Erntehilfe. Zuerst sollten wir nach Wolhynien bzw. in die poln. Ukraine kommen. Dann sollte alles bis auf Hundert Mann in Süd-Niedersachsen bleiben. Nur diese 100 sollten in den Osten kommen. Ich war schon froh. Und da geht unser Kameradschaftsführer hin und meldet sich mit der ganzen Kameradschaft freiwillig nach Polen. Ich werd’ verrückt. Am 27. Juli geht es wahrscheinlich dann in die Ukraine. Schaden kann das ja nichts. Wenn die 215,- Rm hier angekommen sind kann ich mein Studienbuch abholen. Ab 1.7. werden dann die Abtestate gegeben. Habe ich diese dann bis zum 15. komme ich sofort nach Hause. Mit meiner Ankunft in Brühl würde also, falls nichts dazwischen kommt in der Zeit vom 15.-20.7. zu rechnen sein. Merk’ Dir also die Sonntage mal vor.

Mit meiner Arbeit bin ich jetzt so ziemlich bei. In Baukonstr. ganz. Es fehlt noch: Statikaufgaben. 2 Zeichn. techn. Zeichnen, 1 Zeichn. Vermessungsk. und Aufnahme von Bauteilen. Wird aber auch in Kürze geschafft sein.

Dass Tante Käthchen gestorben ist, habe ich Sonntag erfahren. Ich habe mir dass schon das letzte mal gedacht. Der andauernde Fliegeralarm war zuviel für sie. Und sie wollte ja auch sterben.

So das wäre mal wieder mal alles. Ich warte also vorläufig mal auf Geld, Zigaretten, Seife und Seelachs. Bin gespannt, wann das Päckchen kommt.

Ich warte ausserdem auf einen Brief von Dir!

Die besten Grüsse und alles Gute

Dann noch etwas. Ich höre von Mutter, dass Du im Besitze des Quetschenbüggels bist. Wenn Du ihn nicht mehr brauchst schick’ ihn bitte mir. Wir haben in der Kameradschaft ein kleines Tanzorchester, und da soll ich mittun. Ausserdem möchte ich ihn in die Erntehilfe mitnehmen.