Eltern Schmitt an Sohn Horst, 4. Juni 1942

Bonn, den 4. Juni 1942.

Lieber Horst!

Gestern morgen erhielten wir Deinen Brief, der ja allerlei Neues enthielt. Na, die Hauptsache ist, dass Du wieder auf den Beinen bist. Allerdings war es ja nun nicht gerade nötig, dass Du Wasserstoffsuperoxyd geschluckt hast. Nun, Du kennst ja meine alte Devise: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellanfabrik!“

Mutter und Helmut haben sich hier ganz wohl gefühlt. Wir waren vorgestern in Godesberg und erfuhren dort, dass Heinz bereits nach Frankreich ausgerückt ist. Er liegt in der Gegend von Calais. Seine Adresse lautet: Soldat Hoffmann Heinz 33497 D. Wenn Du Zeit hast, schreibe ihm einmal.

Am vergangenen Montag waren wir in Hersel und Uedorf und haben dort noch alles wohl gefunden. Nur Burg Uedorf sieht schrecklich aus: „In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen, und des Himmels Wolken schauen hoch hinein.“ Man ist erfreulicherweise wieder tüchtig am Aufbau begriffen. Über den Ställen sind die Dächer schon wieder hergestellt. Ob das Wohnhaus in nächster Zeit wieder aufgebaut wird, steht noch nicht fest. Vorläufig wird für die Tante eine Notwohnung über dem Pferdestall eingerichtet!

Von dem furchtbaren Fliegerangriff auf Köln in der Nacht zum 31. Mai wirst Du ja aus den Zeitungen einiges erfahren haben. Aber die ungeheuren Verwüstungen übersteigen alles, was man sich vorstellen kann. Die ganze Altstadt und grosse Teile der Neustadt sind sozusagen ein Trümmerfeld. Man spricht von 80 000 Obdachlosen!!! Sämtliche Rheinschiffe transportieren seit Tagen nur noch Obdachlose in die Rheinorte. Auch in den Dörfern der Umgegend sind Tausende von Obdachlosen untergebracht. Tante Gretchen in Hersel hat auch drei aufgenommen. In Bonn kommen ununterbrochen Sonderzüge der Rheinuferbahn mit Fliegergeschädigten an. Alles Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Sie kommen mit ihren Koffern und wenigen Habseligkeiten, die sie im letzten Augenblick haben retten können, daher – ein Zug des Jammers und des Elends. In den Augen der armen Menschen erkennt man noch das Furchtbare, das sie in jener letzten Maiennacht erlebt haben.

Ich möchte gerne noch etwas in Bonn bleiben, aber die Mutter ist zu ängstlich. Viele Grüße von Deinem Bruder Helmut. Ich freue mich, wenn Du wieder zu Hause bist. denn ich weiß nicht, mit wem ich mich zanken soll.

Ceterum censeo: .........!!

Heute veröffentlicht der Westdeutscher Beobachter eine ganze Seite mit Bildern von den zerstörten Kölner Kirchen. Zunächst ein Bild von Gross St. Martin, jener Kirche direkt am Rheinufer in der Nähe des Domes. Nicht nur der Turm ist zu einer öden Ruine geworden und seines spitzen Helmes beraubt, auch der Dachstuhl des Hauptschiffes ist verschwunden. Was von St. Maria im Capitol noch steht, sind nur noch Aussenmauern. – ein bleibendes Mahnmal an das britische Verbrechen vom 31. Mai 1942. Auch die Dachstühle der herrlichen Apostelnkirche sind vernichtet, und dem Turm wurde die kraftvolle, schön geformte Haube genommen. Am schlimmsten hat St. Gereon gelitten, die älteste Kölner Kirche ist derart mitgenommen worden, dass es zweifelhaft ist, ob sie vor dem völligen Zusammensturz gerettet werden kann. Nicht nur, dass die Dachstühle zerstört sind, der einzigartige 1000 Jahre alte Kuppelbau ist ebenso dahin wie der südliche der beiden Osttürme. Glücklicherweise ist der Dom ziemlich glimpflich davongekommen. Nur einige Brandbomben, die zu Zehntausenden über Köln abgeworfen wurden, haben das Südportal beschädigt.

Neben diesen und anderen Kirchen sind zahlreiche öffentliche Gebäude mehr oder weniger ganz vernichtet worden. So vor allem das Gauhaus, die Messehallen in Deutz. Auch der Bahnhof und die Hohenzollernbrücke haben Treffer erhalten, sodass der gesamte Verkehr auf dem Kölner Hauptbahnhof ruht. Sämtliche Züge werde um Köln herumgeleitet. So fahren denn auch Mutter und Helmut morgen von Beuel ab rechtsrheinisch nach Hause. Mutter hatte keine Ruhe mehr, zumal da in der fraglichen Nacht auch in Bonn und zwar nicht weit von uns entfernt eine Sprengbombe gefallen ist, die allerdings nur Sachschaden verursacht hat. In der letzten Nacht hatten wir keinen Fliegeralarm, sonst natürlich jede Nacht und auch am hellen Tage. Churchill macht eben die letzten Anstrengungen, um eine „zweite Front“ hier am Rhein zu schaffen. Nun, unsere Flak und die Nachtjäger haben ihm allerdings bewiesen, dass dies nicht so einfach ist. Man hat den englischen Fliegern einen überaus blutigen Empfang bereitet.

Nun mal wieder zu Dir. Wenn der Hausdrache Dir zu nahe kommt, zeige ihm ruhig die Zähne. Aber ich wüsste mal zu gerne, was die Frau eigentlich gegen Euch hat, warum sie Euch dauernd belästigt. Im übrigen hast Du ja den ersten Monat jetzt herum, und die restlichen werden auch noch erledigt. In diesem Sinne recht herzliche Grüsse von Deinem sich völlig gesund fühlenden Vater.

Morgen fahren Helmut und ich nach Hause. Am liebsten ist man ja in den eigenen 4 Wänden, dann kannst Du mir ja wieder nach Bocholt schreiben. Nimm Dich nur gut in acht Horst daß wir uns nächstens in Bocholt gesund und munter wieder finden. Viele Grüße Mutter.

Schreibe mal öfter, auch nach Bocholt, es brauchen nicht immer 5-6 Seiten lange Briefe zu sein, ein Kärtchen genügt, und man weiß, daß alles in Ordnung ist.

Onkel Toni, Tante Trutchen, Cilly und Erich lassen herzlich grüßen.