Freund Rudolf an Horst Schmitt, 1. März 1943

In Frankreich, den 1.III.43

Mein liebes Horstl!

Zunächst muß ich mich einmal dafür entschuldigen, daß ich Dich solange auf Post habe warten lassen! Das war gewiß nicht schön von mir, aber ich, oder besser gesagt mein mehr oder weniger guter Wille ist nicht allein Schuld an der Tatsache, daß Du mit Schmerzen auf eine Nachricht gewartet. Wir haben hier sehr wenig Zeit, besonders zum Schreiben steht uns nicht viel von dieser „Kostbarkeit“ zu Verfügung. Du kannst Dir von meinen Eltern erzählen lassen, was wir so alles zu tun haben! Ich möchte nur kurz bemerken, daß es hier „anständig“ rund geht! Viel habe aber ich aber trotzdem nicht abgenommen und erfreue mich, abgesehen von einem geschwollenen Hals, einer kleinen Erkältung, etwas rauhen Händen und einem außerordentlich guten Appetit, der denkbar besten Gesundheit.

2.III.43

Am Sonntag, dem 28.II. sind wir zum erstenmal richtig in die Stadt gekommen. Wir sind mit dem ganzen Batallion im Propagandazuge durch die Straßen marschiert, natürlich mit der Regimentsmusikkapelle an der Spitze und gebrüllt, die schönsten Lieder natürlich; auf den Plaze de Marengo wurde dann ein öffentliches Wehrmachtskonzert gegeben. Ganz SA........ war auf den Beinen.

Am nächsten Sonntag haben wir sehr wahrscheinlich Ausgang. Ich lege aber keinen sonderlichen Wert darauf, sondern schreibe liebe. Werde höchstens eine Stunde durch die Stadt bummeln. Wir haben hier ja auch nicht viel. Kaufen kann man hier nichts von anständiger Qualität. Außerdem ist

alles sehr teuer. Und daß die Bevölkerung, ich meine jetzt besonders die Mädchen auf uns keine große Anziehungskraft ausüben, wirst Du verstehen können. Es ist doch nirgends schöner als in der Heimat, in unserem lieben schönen Bocholt, wo liebe Menschen, Freunde einem stets nahe sind.

Hier in diesem öden Bau findet man nicht viele anständige Menschen, die einem das ungewohnte, langweilige Leben etwas angenehm machen. Unsere lieben „Vorbilder“, Du weißt ja welche, bringen uns oft wenig, oder besser gesagt gar kein Verständnis entgegen. Stur.... oh..... und arm von G.....! Sie reden so oft von Dingen, welche wir alle zutiefst ablehnen, daß sie uns kilometerweit zum Hals heraushängen. Du weißt, daß wir manches Mal recht derb‘ sein konnten, aber wenn Leute solchen Schmutz reden oder besser gesagt solchen Unsinn, denn den echten Sinn des Lebens haben sie scheinbar nicht erfaßt, dann können wir nur mit dem Kopfe schütteln. Ich weiß nicht, woran diese Leute außer ihrem Dienst nur denken! .... Diese Leute verlangen dann Achtung!!! Daß wir mit ihnen nicht richtig warm werden können, wirst Du verstehen! Wir sind auch froh, eine etwas andere Denkart unser Eigen zu nennen und gerade deshalb hat man die Schüler und HJ-Führer hier „sooo gern“. Daß wir natürlich „schlechte Soldaten“ sind, versteht sich, „Krummköpfe“, „Krummstiefel“, „lahmes Volk“ usw.! Der Dienst an und für sich läßt sich leidlich ertragen. Man hat uns in den vier Wochen, wo wir nun schon der „Königin der Waffen“ huldigen, ziemlich viel beigebracht und scheint uns nicht lange hier halten zu wollen. Der Komp.Chef spricht immer von wenigen Wochen, die uns von dem Einsatz an der Front trennen. Ob das nun stimmt, ist sehr fraglich. Wir glauben jedenfalls nicht so recht daran.

Das Essen reicht aus (4=) und schmeckt sogar ab und zu. Bei unserem „außerordentlichen Appetit“ leicht zu verstehen!!

4.III.42 [richtig: 1943]

Liebes Dickerle!

Ich bin leider dazu gezwungen in Raten zu schreiben. Setze also die Schriftstellerei von vorgestern fort. Zunächst möchte ich Dir in meinem und Jochens Namen für den lieben Brief, den Du uns nach Eschweiler sandtest, sowie für die Liebesgaben, die Du meinen Eltern mitgegeben, als sie uns besuchten, herzlich danken. Bist doch noch unser lieber „Dicker“, den auch wir nicht vergessen. Wir sprechen täglich von Dir. Das Bild bzw. die Photographie unseres [?] trage ich stets auf meiner Brust und besehe es mir täglich. Kommst Du auch immer brav zu unseren Eltern. Ich hoffe es! Du weißt, daß Du als unser bester Freund stets gern auf der Schlageterstr. 27 oder der Friedenstraße gesehen wirst.

Du selbst wirst ja nun auch etwas mehr zu spüren bekommen, daß wir im vierten Kriegsjahre stehen und daß augenblicklich alles auf dem Spiele steht. Wie ist es nun mit der Heimatflak?

Daß Ihr in der Schule nun mehr Unterrichtsstunden habt, gönne ich Euch von Herzen. Frage bitte nicht warum! Wenn Du Soldat bist, wirst Du erst ermessen können, was Dir die Schule war und bedeutet! Ich ginge gerne noch 5 Jahre zur Schule. Sage das bitte auch Deinen Klassenkameraden, meinetwegen sogar den Paukern. Lieber zehn „Möpse“, „Männekes“ und „Pompejusse“ als einen Frankfurter Uffz.

6.III.43 abends 8.10 Uhr

Du wirst nun sicherlich gemütlich zu Hause sitzen und ein Buch lesen oder Dich mit Deinen Eltern über dieses und jenes unterhalten, vielleicht dabei an Rudolf oder Jochen denken und bedauernd fragen: „Was machen die beiden im Augenblick?“ Nun, ich will es Dir erzählen! Jochen hat augenblicklich Telefondienst und sitzt als Innendienstkranker auf der Schreibstube. Er ist vom Stabsarzt untersucht worden und braucht für

eine Zeit von zehn Tagen keinen anstrengenden Dienst, wie Exerzieren, Geländedienst und ähnliche schöne Sachen, mitzumachen. Er klagte über Schmerzen in der Lungen-Nierengegend, d. h. über Stiche beim Atmen nach Strapazen u. ä.

Ich sitze nun hier auf der „Stube“, habe eine „Flasche“ neben mir stehen und erhole mich von „des Tages Arbeit“ indem ich schreibe!

Meine Portion für heuteabend und morgen habe ich fast ganz verzehrt, bis auf zwei oder drei Scheiben Brot und ein „Winziges“ Wurst. Meine Stiefel und Schnürschuhe habe ich soeben auf Hochglanz geputzt, damit ich morgen Sonntag zur Feier des Tages nicht als Geländegänger oder „Kasernenhofstudent“ zu Hause bleiben muß, denn wir bekommen morgen zum ersten Male ‚Ausgang‘! Bin selbstverständlich froh, für ein paar Stunden nicht an den „Bau“ gebunden zu sein, für ein paar Stunden an selige, längst entschwundene Zeiten der Kultur erinnert zu werden. Aber es geht alles vorüber und da bekanntlich nach jedem Dezember ein Mai folgt, bin ich der festen Überzeugung, daß auch diese schönen Zeiten wiederkehren werden! Außerdem weiß ich, daß einmal ein Wunder geschehen wird und auch unserer Heimat und uns wieder der Friede kommen wird. Allerdings werden noch harte Stunden der Prüfung über uns kommen, aber später vergißt man das Böse und Schlechte schnell wieder oder sieht die Sache mit ganz anderen Augen an.

Was gibt es in Bocholt alles, was neu, von Wichtigkeit und daher wissenswert ist? Laß bei Gelegenheit doch einmal etwas von Dir hören. Wie geht es in der Penne zu? Was macht das Jungvolk und mein geliebtes Fähnlein 4/261. Gibt doch Hartmut Schmitt und dem Bann bitte meine Adresse und grüße meine Jungzugführer recht herzlich von mir! Hoffentlich ist das Gebäude, da der Hauptstützpfeiler nicht mehr da, doch nicht in sich zusammengebrochen.

Wie geht es Deinen lieben Eltern? Ich hoffe recht gut. Leider war der Abschied am letzten Abend in Bocholt etwas kurz aber daran sind die Umstände Schuld. Ich hätte mich recht gern mit Deinen Eltern etwas unterhalten aber leider reicht die Zeit nicht mehr. Grüße sie recht herzlich von mir, ebenfalls Dein Brüderlein Helmut. Auch ihm wünsche ich alles Schöne und Gute! Grüße auch alle Klassenkameraden, Lehrer und besonders meine Eltern recht schön von mir! Ich will nun meinen Brief beenden, da ich noch meine aufgeplatzte Hose mittels Nadel und Zwirn wieder in Hosenähnlichen Zustand zurückversetzen muß! Auch meine Hosenträger muß ich wieder flicken, denn sie sind aus „dem Leim“ gegangen. In Kürze hörst Du wieder von mir. Nur mußt Du Dich des öfteren für längere Zeit gedulden!

Herzliche Grüße nochmals an alle, besonders nimm Du mein lieber Horst, mein alter Sonnenjunge die schönsten Freundesgrüße entgegen!

Dein treuer Rudolf.

Sei vielmals von meinem edlen Kumpanen und Kameraden, meinem Jochen gegrüßt! Er läßt auch bald von sich hören!

Verzeih‘ bitte Fehler und „Militärklaue“, da Zeitmangel mir durchlesen nicht gestattet!

Finis!