Horst Schmitt an seine Eltern, 27. Dezember 1943

O. U., 27.12.43.

Liebe Eltern!

Nun ist meine erste richtige Kriegsweihnacht zu Ende. Ich kann wohl sagen, dass ich es mir viel schlimmer vorgestellt habe, ohne Euch das schöne Fest im Jahre feiern zu müssen. Als die Weihnachtstage nahten, war mir wirklich nicht weihnachtlich zu Mute. Ich dachte immer an das furchtbare Missgeschick, dass mich jetzt schon wieder betroffen hatte: die Quarantäne. Entlassen und doch noch ganz in der Zwangsjacke des Dienstes zu stecken ist wahrlich kein Vergnügen. Ich habe bestimmt noch nie so viel geflucht wie in den Tagen vor Weihnacht. Ja, einmal ist mir sogar das Temperament auf der Schreibstube durchgegangen. In Anwesenheit des Hauptwachtmeisters i/V. und einiger Uffz. habe ich da mal auf die Ungerech-

tigkeit der Batterie mir gegenüber hingewiesen. Während Soldaten mal nach Essen, mal nach Berlin fahren, um Geschenke für Chef und Batalions-Kommandeur zu holen, sitze ich als längst Entlassener und komme nicht aus diesem „Stall“ heraus; man war allgemein betreten, dass ich das überhaupt wusste und machte mich auf die Scherereien aufmerksam, die durch das Melden solcher Sachen entstehen. Ich sagte nur: „Ich will hier heraus, sonst garnichts!“ – Nachher habe ich über das Theater gelacht, besonders über die betroffenen Gesichter der Herren Uffz. Mittlerweile war Weihnachten herangekommen. Noch eine Stunde vor der Weihnachtsfeier am Heiligen Abend war kein Funke von Weihnachtsstimmung „über mich gekommen“. Ich hatte unseren Aufenthaltsraum geschmückt mit allem Komfort wie Weihnachtsbaum, Wandschmuck, Tischschmuck etc. In letzter Minute wurde sich

noch rasiert, gewaschen und umgezogen. Dann gings zur Feier. Diese bestand aus 2 Teilen, nämlich der eigentlichen Feier und dem Festmal. Die ganze Angelegenheit war echt komissmässig. Es musste etwas gemacht werden. Jeder bekam den Auftrag, irgentetwas herbeizuschaffen. So sollte ich für Blitzlichter sorgen, um bei der Feier Bilder machen zu können. Jetzt stellt Euch die Sachlage vor: Wir liegen in Quarantäne. Ich bin der einzigste Lw.-Helfer auf der Schreibstube (der andere ist ja im Laz.). Mein Entferntsein würde gleich auffallen. Im Tross bzw. in der ganzen Batterie hatte niemand das Gewünschte. Und nun sollte ich das auf irgendeine Weise herbeischaffen. So ein Unsinn! Natürlich war nichts da im entscheidenden Augenblick. – Echt „kommisisch“ war auch das zunächst das Festmal und dann die mehr oder weniger erhebende Feierlichkeit „von Stapel lief“. Das Festmal war einzig. Für 30 Pers. stand ein Spanferkel, Gänse, Hüh-

ner, zwei Hasen und noch einige „Kleinigkeiten“ auf dem Tisch. 2 Gängen waren vorgesehen und durchgeführt: Zunächst Kartoffelsalat mit Mettwürstchen und gabs Salzkartoffeln mit Braten, jeder soviel wie er wollte. Ich konnte kein Plätzchen mehr essen. Dann gabs die Geschenke von der Batterie. Jeder bekam ein Buch, eine Rolle Kekes, eine Dose Pariser Bonbons, Aepfel, Spekulatius und Plätzchen. Dazu kamen Eure leckeren Sächelchen und der Kuchen der Stubenkameraden. Am 1. Weihnachtstag haben wir schön still und beschaulich für uns in der Stubengemeinschaft gefeiert. Am Heiligabend bereiteten uns die Uffz. eine nicht gerade weihnachtliche Abwechslung: man war vollkommen besoffen und ausgerechnet unsere Stube wurde als Tatort ihres Wirkens ausgesucht. Mitten in der Nacht haben wir bald 2 Stunden

lang gelacht, dass uns der Bauch wehtat. Am 2. Weihnachtstag-Abend ging dasselbe Spiel von vorne los. Wir sind bald gestorben vor Lachen und erst um 4 Uhr anderen Morgens eingeschlafen. Als ich nun heute morgen (Montag) auf die Schreibstube kam war man mehr oder weniger noch besoffen. Ich wurde herausgeschmissen und bekam den dienstlichen Befehl, mich den ganzen Tag nur nicht mehr auf der Schreibstube sehen zu lassen. „Jawohl, Herr Unteroffizier!“ und heraus war ich und habe jetzt schön Zeit, diesen Brief zu schreiben und zu lesen. – Das also war unser Weihnachtsfest. Ganz anders als bisher gewohnt und unter wesentlich anderen Umständen wurde es gefeiert. Ich habe manches noch nicht erzählt, was ich Euch noch zu Hause persönlich erzähle. –

Über das Feiern ohne Euch bin ich durch die Gemeinschaft gut hinweggekommen, sodass ich nicht den Kopf habe hängen lassen brauchen, was ja überhaupt bei meiner Mutter Sohn wenn er nicht zu Hause ist, nicht vorkommt. Denn nur bei Euch kommt es schon mal vor, dass ich mich über das Traurige meines Loses klarwerde. Man lebt eben nur so dahin ohne jeden Lebenszweck, wenigstens ohne einen erkannt zu haben. Gut, dass ich hier nicht alleine bin. Nun denkt nur nicht, ich verkomme hier vor Trübsal. Wo so viel „Blase“ zusammen sind, - so viel „Banausen“, wie ein besoffener Uffz. sagte, - da passiert immer etwas. Im Übrigen habe ich ja meine Entlassung vor Augen, sodass mich hier nichts mehr erschüttern kann. – Ich glaube, dass ich nach meiner Entlassung noch viele schöne Wochen zu Hause ver-

leben kann. Ein Teil der Jungen hier haben einen Brief vom RAD bekommen, wonach sie ihre augenblickliche Adresse angeben müssen zwecks planmässiger Heranziehung zum RAD. Mittlerweile ist bekannt, dass die anderen am 15. Febr. von der Flak entlassen werden. Anfang wird ihre Einziehung zum RAD erfolgen und nach einem weiteren Vierteljahr die Einziehung zum Barras. Das wäre also Juni. Bis dahin ist noch viel Zeit. Die Zeitangaben sind keine Gerüchte, sondern amtliche Mitteilungen. – Aber Hoffnungen machen wir uns nicht sondern lassen mal alles herankommen. Man wird allmählich Soldat.

Gerade in den Weihnachtstagen habe ich viel an Helmut gedacht, der sich ja nun in der gleichen Lage befindet wie ich. Eigentlich ist er zu bedauern.

Aber es ist ja kein Kraut dagegen gewachsen. Vielleicht wird er auch schon Weihnachten mit Kaktussen und ähnlichem „Gedöns“ gefeiert haben. Naturgemäss habe ich durch Helmut auch viel an Jochen gedacht und auch an Rudolf. Im Geiste sah ich Euch und die Fam. Kraatz und Looks gedankenvoll an die verflossenen Söhne denken, die in allen Gegenden Europas mehr oder weniger glücklich Weihnachten gefeiert haben.

Nun will ich schliessen. Nochmals zum Schluss möchte ich Euch bitten, macht Euch nichts aus Gerüchten usw.; denn es geht alles vorbei. Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht Euch

Euer Grosser.

Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht Ihnen