Freund Jochen an Horst Schmitt, 27. Januar 1944

Im Süden d. 27.5.44

Liebes altes Haus!

Zuerst habe ich gedacht, der Dicke hätte den dort im fernen Süden ganz vergessen. Natürlich habe ich auch einen großen Teil der Schuld erstens die, mir durchaus verständlichen Schreibfaulheit, zweitens die Unzuverlässigkeit unserer sog. „Postverbindung“ zuzuschreiben. Das erstere habe ich aber dann, als vor kurzer Zeit gleich zwei gewaltige Schriebe ankamen, sofort zurückgenommen, der zweite Grund allerdings bleibt bestehen, denn einer der Briefe datiert vom 27.9.43 u. ist daher schon über ein viertel Jahr unterwegs. Aber trotzdestowenigernichts hat es mich gewaltig gefreut, von Dir etwas zu hören. – Schon vor langer, langer Zeit hatten mir meine Eltern von Deinen Lorbeeren erzählt, die Du weiland in der K.L.V. gesammelt hast. Jetzt, wo ich endlich Deinen eigenhändigen Tatsachenbericht in den Händen habe, kann ich mir alles genau vorstellen. Besonders Dich unter den Jungens, das ist ein vertrautes Bild. Du mußt ja eine herrliche Zeit in Oberbayern verlebt haben mit herrlich vielen neuen Eindrücken, schöner Arbeit u. befriedigendem Erfolg. Gewaltige Ehre hast Du ja bei dem Vorbeimarsch an dem Gauleiter mit Deinem Haufen errungen. Es scheint Dir wohl sehr gut zu liegen, einen Haufen Kerle zu führen u. in Ordnung zu bringen. – Schade war nur, daß Du vorzeitig die schöne Zeit beenden mußtest, um den Preußen Dich zu stellen. Mehr hättest Du bestimmt an Deinem vorhergehenden Platz leisten können! – Was Du mir von der höchst bezeichnenden Affäre berichtest, die sich mit dem Führerbild in unserer Klasse ereignete, ist garnichts Neues für mich. Diese Einstellung kannte ich lange schon sehr genau. Doch was sollte man, mehr als notwendig seine Nerven mißbrauchen, um, doch ziemlich erfolglos gegen einen solchen Misthaufen aufzustinken. Auch in

meinem augenblicklichen Dasein bin ich Menschen begegnet, die man ernstlich fragen muß, ob sie überhaupt Deutsche wären u. es ist wirklich unglaublicherweise vorgekommen, daß sie mit „leider“ antworteten. Der Prozentsatz dieser Kreaturen ist erschreckend hoch, sind aber alle einesteils zu bequem, zweitens zu feige, offen zu sein. Die augenblickliche Zeit hat sie aus ihrem Spießer- u. Kaninchenzüchterdasein, aus ihrer faulen Bequemlichkeit herausgezerrt u. nun ist „Adolf an allem schuld“. Da bekanntlich der Apfel nicht weit vom Roß fällt u. die gegenseitige Beeinflussung ungeheuer aktiv ist, kann uns das nicht überraschen. Hauptsache ist, sie müssen! Die Eigenschaft des Deutschen, ein möglichst abgeschlossenes Leben zu führen u. sich nicht von äußeren Einflüssen die Ruhe nehmen zu lassen, ist ja bekannt u. mir durchaus verständlich. Es ist sogar eine gewisse Stärke der Deutschen darin. Daß man aber so borniert wissentlich, oder auch aus Dummheit die große Linie mißachtet, ist bei der, oft gepriesenen deutschen „Geistesüberlegenheit“ um so [?] peinlicher. Na ja, Du wirst das noch erleben. Das andauernde Zusammenleben mit den „Kameraden“ hat Dir bestimmt langsam mancherlei gezeigt, was das alltägliche Theaterspiel zu Hause verdeckte. Das ist ganz gut so u. verlangt von uns Stellungnahme u. Behauptung. Da man aber gezwungen ist auf engem Raum zusammenzuleben, habe ich mir angewöhnt, diesbezügliche Diskussionen kurzerhand zu beenden u. um des lieben Friedens u. seiner, sowieso etwas dünneren Nerven, als gewöhnlich üblich sind, willen mit allen einigermaßen anständig auszukommen. Die Überzeugung kann uns doch nicht genommen werden, u. Widerstand nutzt bei uns Deutschen allgemein garnichts, höchstens Diplomatie. Da aber wundert man sich selber oft, wieviel Porzellan mit polternder Ehrlichkeit im Innern zerschlagen wird, wo mit etwas Vorsicht u., sagen wir ruhig, Diplomatie mehr u. schneller etwas zu erreichen wäre. Der Zielsetzung u. dem Erfolg würde das mehr nutzen u. nicht im Geringsten der geraden Linie schaden. – Dein zweiter Brief vom 30.11.43 zeigt eine große Enttäuschung in Bezug auf Eure Kameradschaft dort. Langsam ist wohl meine Einstellung

zu der Kameradschaft im üblichen Sinne u. den sog. Freundschaften verständlich geworden. Desto mehr schätzt man nun den Seltenheitswert einer echten Übereinstimmung, oder – des Alleinseins. Letzteres ist viel furchtbarer als ein gezwungenes Verhältnis, bei dem Du, um es aufrecht zu erhalten, dem gewaltigen Egoismus des Partners dauernd zugeben mußt. Aber immer wieder glauben wir an Ehrlichkeit u. Verständnis u. sind daher viel zu offen u. damit dem Spott u. Gelächter ausgesetzt. Grundsätzlich tue das, was Du für richtig hältst. Wenn Du beim Kommiß eine Stellung ergattert hast, die angenehm ist, schließt sich immer die Blase aus dem Neid heraus gegen Dich zusammen u. dann isst oft das, so unendlich mißbrauchte Wort „Kameradschaft“ zu hören. Das soll Dich aber nicht kümmern. Was Kameradschaft ist, wissen wir gottseidank besser u. wenn es heißt, sie zu beweisen, sind wir bestimmt da. Gelegenheit dazu gibt es oft. Die nationalsozialistische Erziehung kann nicht viel nutzen, wenn die Leute, die es angeht, kneifen. Da eine Entwicklung aber nicht in kurzer Zeit gezwungen werden kann, bleibt die Hoffnung auf die Zukunft, wenn sich auch die Menschen, wie Du weißt, in ihrer Grundhaltung seit dem Neandertaler wenig geändert haben. An sich ist, wie Du selber feststellst, die Kommißzeit von einigem Wert für uns. Man lernt Licht u. Schatten des Menschenlebens ziemlich genau kennen u. wird das einmal verwerten können. In der Geborgenheit des bisherigen zivilen Daseins hat man sich doch oft ein grundsätzlich falsches Bild gemacht. – Deine Leistungen als Reiter waren mir ja schon aus früheren Zeiten bekannt, desto mehr beglückwünsche ich Dich zum Reiterschein u. hoffe, daß Deine, damit verknüpften Ziele in Erfüllung gehen. Sonst scheint es Dir ja noch gut zu gehen, wie ich von zu Hause erfahre. Trotz der Quarantäne müßt Ihr das Weihnachtsfest u. ebenso Neujahr einigermaßen würdig gefeiert haben. Ein wesentlicher Punkt, das Leibliche, schien befriedigend gelöst zu sein unterstützt von liebevollen Sendungen aus elterliches Haus. Trotzdem kann ich gut verstehen, daß die greifbare Nähe der Heimat es für Euch schwerer machte, als die selbstverständliche Trennung von rund 2000 Km

mir. Doch auch hier haben wir gefeiert, obwohl die Umgebung nicht gerade passend ist. Draußen blüht u. gedeiht alles. Nur ein Blick auf den höchsten, fichtenbestandenen u. jetzt Schnee tragenden Berges erinnert an Deutschland u. Winter. Von dort kam auch der kleine Weihnachtsbaum in unsere kleine Kapelle am Meer. Mit Gewehrreinigungsketten, Watte, etwas Silberpapier u. einem Konservenbüchsenblechstern geschmückt, verbreitete er heimatliche Atmosphäre. Die Post hatte uns allerdings vergessen. Dafür aber hatte sich die Kompanie wirklich angestrengt, die Stimmung nicht ganz auf den Nullpunkt sinken zu lassen. Das Beste aber waren zweifellos an den beiden Festen die Wachen. Dann lebte die Erinnerung an das unverdiente Glück der vergangenen Zeiten u. an liebgewordene Menschen auf. Für das neue Jahr hat man sich natürlich so allerlei gewünscht, ebenfalls am 27.I., wie Du am 26., zu dem ich Dir nachträglich alles Gute wünschen möchte. Ob das alles in Erfüllung gehen wird. Vorläufig bin ich dankbar u. zufrieden u. darf auch garnicht anders sein. Am sehnlichsten aber wünschen wir uns ein glückliches Kriegsende u. daß wir unsere paar Lebenstage auf der Erde mit viel schöner Pflicht u. Arbeit wieder ausfüllen können. An Tagen, die die Wiederkehr von Terminen bringen, die in unserem Leben eine besondere Bedeutung besitzen, denkt man gerne an die wenigen Menschen, die im bisherigen Leben eine gewisse Rolle gespielt haben. Man erinnert sich des Zusammenseins mit ihnen mit viel Freude u. grüßt sie, denn jetzt erst erkennt man voll u. ganz den Wert solcher Erlebnisse. Daher grüße ich Dich besonders herzlich u. wünsche für Dein weiteres Leben alles nur Beste u. viel Glück während Deines militärischen Daseins. Nun hoffe ich, daß Dich dieser Brief etwas schneller erreicht, als es die deinigen getan haben. Na, ja, vergessen werde ich den „Dicken“ ja nicht, wie könnte man denn auch!

In treuer Freundschaft Dein Jochen.