Horst Schmitt an seinen Freund Jochen, 21. Februar 1944

Feldpost

Gefr. Kraatz

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Empfänger gefallen für Großdeutschland

Abs.: Schmitt, Bocholt, Nordallee 4

Bocholt, 21.2.44.

Lieber Jochen!

Recht vielen Dank für den Brief vom 27.1.44. Gerade hatte ich meinen letzten Brief abgegeben, als Dein Schrieb von Deinem diesjährigen Geburtstage eintrudelte. Ich hatte schon garnicht mehr an meinen eigenen, also auch nicht an den Deinigen, gedacht und will also die versäumten Geburtstagsgrüße und –wünsche jetzt noch nachholen. Sie kommen zwar ziemlich spät, aber sie kommen.

Mittlerweile bin ich wieder ein „elendiger Zivilist“ geworden. Ich fühle mich aber „sauwohl“ in dieser Haut. Wegen meiner kann dieser Zustand noch einige Zeitlang dauern. Nachteilig an der ganzen Angelegenheit ist nur, daß kein einziger Klassenkamerad hier in Bocholt ist außer K. Wessels und F. Westerhoff. Nun, die oder garkeine Bekannte, das bleibt sich gleich. Wenn nun keine bekannten jungen Herren anwesend sind, muß man sich mal bei dem anderen Geschlecht umsehen.

Durch unseren schönen Abend in Rhede, den ich Dir im letzten Brief aus Münster beschrieb, habe ich so das ganze „Gemüse“

der „weiblichen Klasse 8“ kennengelernt. Als einziger „Gleichberechtigter“ bin ich nun, wie Du Dir vorstellen kannst, gelegentlich Hahn im Korb. Die Sache sieht dann so aus, daß ich, sehr zum Ärger mancher Mütter und vor allen Dingen der Mädel aus den Klassen 6 und 7 mit den Abiturientinnen spazieren und kaffeetrinken gehe. Wieso zum Verdruß der Klassen 6 und 7? Das ist doch ganz einfach. Diese Klassen waren doch unsere Tanzklassen bei Frl. Laathz. (Tanzschule Düsseldorf). Man ist nun der Meinung, daß es sich für einen „wohlerzogenen (bei Frl. Laathz.) jungen Mann“ natürlich gehöre, mit seinen Tanzstundenbekanntschaften spazieren zu gehen. Wie Du Dir aber denken kannst, komme ich vorläufig mit den 12-14 Abiturientinnen hier in Bocholt ganz und gar aus. Ja, der Bann zeigt sogar soviel Verständnis, daß er die Hälfte der Plagegeister zu einem Einwochenkursus für BDM-Mädel in Gronau einzieht. So komme ich wenigstens noch einigermaßen mit den Kuchenmarken und mit meiner Zeit aus.

Unter diesen „Umständen“ warte ich nun auf meine 3. Einberufung zur KLV. Wie froh ich bin, daß ich statt zum RAD zur KLV komme, kannst Du Dir ja wohl ausmalen. Noch einmal richtig nach Herzenslust wirken zu dürfen! Ich denke, daß ich zu dem Zeitpunkt, wo Dich dieses Briefchen erreicht, schon wieder in irgendeinem Lager „regieren“ werde. Wo und wie ist mir jetzt noch nicht bekannt. Ich schreibe natürlich sofort. Die „höheren Töchter“, auf deutsch: Abiturientinnen, werden im März oder April zum RAD oder zur Wehrmacht einberufen. Wenn sie mich ja auch mehr oder weniger nichts angehen, so tuen mir doch diejenigen leid, die zur Wehrmacht kommen. Ich habe bei der Flak des öfteren Gelegenheit gehabt, das Leben und Treiben dieser Mädel kennen zu lernen. Nun waren das alles Mädel, die sich freiwillig zum Einsatz als „Blitzmädel“ gemeldet haben, die also das Flankieren und Poussieren mit Soldaten gesucht haben. Dies trifft vielleicht nicht für alle, aber doch für den größten Teil zu. Die Abiturientinnen aber werden dort eingesetzt, ohne daß man ihnen die

Möglichkeit eines anderen Einsatzes läßt. Nun stelle Dir unter den diesjährigen Abiturientinnen beileibe keine fertigen jungen Damen vor. Es sind im Gegenteil lebensfrohe, noch nie aus dem elterlichen Hause entfernt gewesene Mädel, die das Leben natürlich von der leichteren Seite aus nehmen. Diese kommen nun ohne jeden Übergang und ohne Vorbereitung zum Kommiß bzw. in die Hände von Soldaten und jungen Offizieren in der Heimat. Was das bedeutet, habe ich kennengelernt. Ich weiß, wie sich diese Etappenoffiziere und -mannschaften benehmen. Umsonst kommen nicht öfter gewisse Schreiben und Mitteilungen an die Truppe. Ich habe die jungen Hühnchen, besonders die mir sympatischen, sehr eindeutig und mit vielen „väterlichen Ermahnungen“ auf die Gefahren aufmerksam gemacht. Gerade da konnte ich feststellen, daß noch kein Mensch, weder ihre Eltern, noch sie selber, an dergleiche Geschichte gedacht hatten. Ich bin mal gespannt, ob ich recht habe.

Das Benehmen der Pauker mir gegenüber hat sich gewaltig geändert. Als Abiturient, auch als ein unter Kriegsumständen gewordener, steht man „gesellschaftlich“ ganz anders. Huhu. Wo man hinkommt, wird man plötzlich als „reifer Mann“ betrachtet. Ich möchte mich manchmal totlachen. Da ist zum Beispiel gestern im Rathaussal zu Bocholt eine „große Kunstausstellung“ eröffnet worden. Ich war bei der Eröffnungsfeierlichkeit anwesend. Da die Sache bei „ausverkauftem Hause“ vor sich ging, wurde das junge „Gemüse“ von Penne und Lyzeum rausgewiesen. Meine Wenigkeit durfte natürlich an der Feier teilnehmen. „Wie ick mir fühle!“

Am letzten Mittwoch war in Bocholt die Aufführung der Straußchen Operette „Fledermaus“ durch die städtischen Bühnen Münster. Die Kritik in der Zeitung war „unter jeder Sau“. Zwar steht „ag“ darunter, aber ich habe Herrn Gocht nicht gesehen und ich glaube auch nicht, daß er den Sermon geschrieben hat.

So viel ich mich erinnere, habe ich Dir noch nicht mitgeteilt, wer mein Nachfolger als Pressechef im Bann geworden ist. Die Sache macht jetzt

Oberjungzugf. Kurt Krämer von der Klasse unter uns. Er hat den Kram kurz nach meinem Abgang, d. h. also noch während meines letzten KLV-Einsatzes, übernommen. Er ist sehr eifrig, ein sog. Vielschreiber. Deine Leistungen im Monat Dezember 1942, wo Du, so glaube ich, doch die Höchstleistung erzieltest, erblassen direkt gegen die Zahl der Artikel, die aus seiner Feder bzw. aus den Richtlinien des Gebietes, die er eifrig benutzt, fließen. Leider sind sie inhaltlich noch schlimmer als manche Sachen vom Gebiet, deren wir beide uns ja „so oft“ bedienten.

So, nun für heute Schluß. Meine Eltern lassen herzlich grüßen.

Die besten Grüße bis zum nächsten Brief

von Deinem Dicken.

N.S.: Wie wir heute gehört haben, soll Helmut auf dem Wege nach Griechenland sein. Vielleicht triffst Du ihn dort!