Freund Rudolf an Horst Schmitt, 1. Mai 1944

O. U.

Mein lieber Horst!

Am ersten Tage des Lenz- und Wonnemonates Mai soll ich endlich, endlich dazu kommen, Dir, meinem treuen Freunde zu schreiben. Tage und Wochen sind seit jenem 15. März vergangen, da wir uns für gewiß längere Zeit der Trennung die Hand zum Abschied reichten. Leider war es uns beiden zur Zeit meines letzten Urlaubes nicht vergönnt, noch einige schöne Tage gemeinsam zu verbringen und noch sehe ich im Geiste dem Zuge nach, der mir am zweiten Urlaubstage bereits den Freund in die K.L.V. entführte. Bedauerlicher Weise gestattete mir die außerordentliche Knappheit der Zeit nicht, von einem Ostergruße abgesehen, Dir in der Zwischenzeit zu schreiben. Hoffentlich hast Du mir, um diese Tatsache nicht wissend, mein langes Schweigen nicht als Lauheit oder Gleichgültigkeit Dir gegenüber ausgelegt. Gibt es das überhaupt, daß man einen Freund vergißt?! Heinz habe ich ebenfalls, trotz guter, ja bester Vorsätze, noch kein Lebenszeichen seit Januar zukommen lassen. Es ging eben nicht. Habe ich ihn nun deshalb vergessen? Nein, nicht im Geringsten, er bedeutet mir soviel wie früher. Was geht übrigends noch über eine so innige Freundschaft als über die unseres Triumvirates. Müssen wir uns nach dem Ausfall unseres lieben Jochen nicht noch fester zusammenschließen?! Also ohne Sorge, Alter!

Um noch einmal auf Jochen, unseren nunmehr verklärten Freunde zu sprechen zu kommen, stelle ich fest, daß ich erst jetzt, da ich aus der dumpfen Betäubung jener Nachricht so recht erwacht bin, ganz besonders schmerzlich den Verlust dieses so wertvollen Menschen zu empfinden beginne. Es ist mir schier unfaßbar, daß dieses frühreife Genie, dieser Künstler, dieser ‚Mensch‘, Edelmensch, nicht mehr für mich, für uns alle da sein soll. Welche Kraft hat Jochen doch auf mich ausgestrahlt, wie bestimmend war doch die Freundschaft, die Interessengemeinschaft, die uns verband, für mich. Nun weilt seine Seele, sein Genius in elysischen Gefilden, während sein Leib in den Wellen der Adria ruht. Pro patria mortuus! Er sei uns unvergessen. Sein Heldentod sei uns Verpflichtung, treue Freunde zu sein, wie wir ihm treue Freunde waren. Ich habe seine schwergeprüften Eltern einige Male besucht und darf wohl behaupten, daß letztere mein Erscheinen sehr gerührt hat, bin ich mir aber auch im klaren darüber, daß ich damit alte Wunden aufgerissen habe. Gelegentlich meines Besuches bei Kraatz habe ich auch die Aquarelle Jochens bewundern dürfen, seine letzten Werke. Es ist erstaunlich wie sehr Jochens Inselzeit und Dienst[?] auf Kephallonia, sein Aufenthalt in Athen, auf der Akropolis usw. fördernd auf seine Kunst, seine Malerei eingewirkt hat. Er hat vieles hinzugelernt. Und nun .... Ja mein lieber Freund, so ist das Leben!

Zu einem anderen Thema. Du kannst Dich vielleicht der Ausführungen mündlicher Art entsinnen, die ich Dir in Bocholt über mein Verhältnis zu Martha gemacht habe. Nun denn, wir haben uns des öfteren getroffen und ich habe versucht, Ihr das, was mich bewegt in schonender Weise beizubringen. Ob diese meine Bemühungen, die sich auch in meinem, an sie gerichteten wenigen Briefen offenbarten, erfolggekrönt sind, werden die kommenden Wochen beweisen, die mir hoffentlich die langersehnte Antwort bringen werden: Über dieses Kapitel bei Gelegenheit mehr!

Nun zu Dir! Wie geht es Dir eigentlich? Wie sieht es dort drüben bei Euch aus. Erzähle doch einmal davon! Meine lb. Eltern haben den Deinigen inzwischen ein Bild von mir ausgehändigt, das letztere Dir sicherlich schicken werden. Vielleicht ist es Dir willkommen?!

Übrigends füge ich den an Dich gerichteten Ostergruß, den ich allerdings abzuschicken vergessen habe, diesem Schreiben bei, damit Du ihn wenigstens erhalten hast. –

Aus dem Radio ertönt gerade das Lied „Der Mai ist gekommen ....“! Lieber Freund! Kannst Du Dich noch der letzten Jahre, die uns (Jochen, Dich und mich) beieinandersahen noch erinnern, jener Frühlings- und Maiabende, die wir mit gemeinsamen Spaziergängen und Fahrten ausfüllten. Kannst Du Dich noch der Gespräche, der Aussprache, der tieferen

Gründe dieser Spaziergänge noch entsinnen? Wir waren damals voller „Hunger und Liebe“, erfüllt von Idealen, die bei den Sternen lagen. Es waren schöne Tage. Kommen uns ähnliche noch einmal wieder? Hoffen wir es!

Während ich hier schreibe, dringe durch das offenstehende Fenster der Odem des Frühlings, Vogelgezwitscher, Sonne und Licht zu mir herein, draußen hat die Natur ihr jungfräuliches Brautkleid des Lenzes angelegt. Eine Farbenpracht erfreut das Auge, die von der Lebendigkeit, der Lebensfreude und –lust der Natur Zeugnis gibt. Alles so saftig, frisch und voll Jugend! Ich bin zum Naturfreund besonderer Art geworden. Ich trinke in vollen Zügen den Duft, der die Atmosphäre schwängert. „..Wie herrlich leuchtet mir die Natur ...“ möchte ich mich Goethe sagen. Das Leben ist trotz der ernsten Zeit wahrlich lebenswert! Ich brauche nur das, wonach ich mich seit langem sehne, dann bin ich glücklich, froh wie die Natur es ist. –

Für heute möge es Dir genügen! In Kürze hörst Du wieder von mir! Ich würde mich auch sehr freuen, auch von Dir etwas zu hören. Ich schließe mit den besten Grüßen und Wünschen und bin in alter Treue

Dein Freund Rudolf.