Freund Rudolf an Horst Schmitt, 3. September 1944

O. U. den 3.9.44

Mein lieber treuer Horst!

Wieder einmal kann ich freudigen Herzens zur Feder greifen, denn heute ist ja Sonntag und ich darf freudig eingestehen, daß es mir an wahrer Sonntagsfreude, bei Gott, nicht fehlte. Einen kleinen Funken davon Dir mitzuteilen, will ich mich bemühen. Obwohl das Wetter heute hier schon recht herbstlich ist, denn der Himmel ist grau und bedeckt und kühler Herbstwind läßt die trockenen, braunen und blaßgelben Blätter rascheln und knistern, während leiser feiner Regen gegen das Blätterdach der Bäume, gegen die Fensterscheiben klopft; obwohl der Abend eines Jahres herandämmert, scheint in meinem Herzen hell und warm die Sonne eines Frühlings. Laß Dir gleich von meinem Glück berichten! Zunächst grüße ich Dich, mein Horst, recht herzlich und gestatte mir, Dank für Deinen letzten, lieben Brief zu sagen. Deine Zeilen besaßen selbstredend wie immer meine größte Teilnahme. Ich will zu diesem allen jedoch nicht mehr Stellung nehmen, besonders die interessanten Schilderungen Deiner Rekrutenzeit bedürfen keinerlei Bemerkungen meinerseits, da ich ja auch „einstens“ eine solche durchlebt und „glücklich überstanden“ habe, außerdem, die löbliche Form betreffend, äußerlich bei alten Soldaten die gleiche ist. Daß Dir aus diesem Grunde mein vollständiges Verständnis gehört, dürfte von vornherein klar und selbstverständlich sein.

Wie geht es Dir nun mein „liebes Dicker’l“? Ich hoffe ausgezeichnet! Ich wünsche Dir auch fernerhin das Allerbeste und Schönste.

Wie geht es denn, wenn ich danach einmal bescheiden fragen darf, Deiner holdseligen „Bobby“?, übrigens für eine hübsche, holde, süße, kleine, junge Weiblichkeit ein etwas phantastischer Name! Schreibst Du ihr immer noch? Darf man vielleicht (nichtsdestowenigertrotz) zu einem inneren Einverständnis, zweier, junger, bis hinter die Ohren „verknallter“ Leutchen im Stillen gratulieren? Oder hast Du eine „Panne“ erlitten, „Absetzbewegungen durchgeführt“. –

Ich selbst habe meine Elfriede wiedererobert, aber im Sturm sage ich Dir. Das ging aus dem Grunde ziemlich einfach, weil wir beide ziemlich „mürbe“ waren (sie noch weit mehr als ich) beide liebeskrank. Es hat nur einer kurzen Zeit von zehn Monaten bedurft um uns beide voreinander kapitulieren zu lassen. Sie ist sehr demütig geworden, mehr als das: ihren Trotzkopf habe ich endgültig gebrochen. Aber ich triumphiere nicht, obwohl ich sie besiegt habe, sie hat sehr gelitten. Sie hat es einfach nicht fassen können, daß nichts mehr zwischen uns bestehen sollte. Sie hat mich trotzdem wahnsinnig geliebt (was ich nebenbei nicht wußte) und war wochenlang sehr krank daran, sehr armselig und verzweifelt. In ihrer Not hat sie sich ihrer Mutter anvertraut und diese hat, (wie Mütter nun einmal sind – ich hätte es nicht erwartet) sich mir zu beugen, ihrem geliebten Töchterlein angeraten. Ich selbst, trotz allem, konnte sie nie vergessen, obwohl ich es ja wollte, und kämpfte Tag und Nacht vergeblich gegen den quälenden Gedanken, der immer stärker wurde und mich nach und nach überwältigte, bis ich es vor mir selbst eingestehen mußte, daß ich sie mehr denn je liebte. Eines Tages es muß in einem leichten Anflug von Wahnsinn gewesen sein, schrieb ich ihr einen Brief, das Datum oben, keine Anrede, nur die drei Worte: „Ich bin bekehrt!“ und meinen Namenszug, sonst nichts.

Der Brief ging ab, die Antwort kam, die Reaktion solcher Art kam mir überraschend, unerwartet. Ich konnte es nicht glauben und doch – es war so, war Wirklichkeit geworden. Ich konnte es nicht glauben und doch – es war so, war Wirklichkeit geworden. Sie kam mir sozusagen entgegengeflogen, gleich um den Hals, nachdem ich diesen Brief von ihr mit zwei langen von meiner Hand (der eine 6, der andere 14 Seiten) beantwortet hatte. Heute kam dieser Brief, eine lange Beichte und Liebeserklärung. Ich war erschüttert! Ich werde heute noch meine Eltern davon in Kenntnis setzen, damit nichts mehr zwischen uns stehe! Ihre Eltern sind restlos in alles eingeweiht und erlauben sich „meine Wenigkeit“ herzlichst und freundlichst zu grüßen.

Kannst Du Dir vorstellen, daß ich heute sehr glücklich bin?! Mit größter Genugtuung habe ich feststellen dürfen (dafür haben ihre Briefe, ihr Stil und ihr Bild schon gesorgt) daß sie reifer, sei es körperlich, geistig und seelisch, viel klüger und vernünftiger geworden, dazu ungeheuer wissenshungrig. Nun habe ich ja alles (wenigstens vorläufig) und bin zufrieden.

Ich will Dich nicht mit persönlichen „Kleinkram“ belasten, auch Heinz nicht, aber ihr seid meine Freunde, denen ich vertraue, vor denen ich keinerlei Geheimnisse habe; vielleicht verstehst gerade Du mich, mein lieber, guter Horst. Ich freue mich ja auch an Deiner Freude und fühle mit dem, was Dich evtl. bedrücken könnte! Mir selbst geht es gut. Ich bin zufrieden und blicke voll der Zuversicht und des Vertrauens in die Zukunft. Mögen noch so dunkle Gewitterwolken drohender Ereignisse ihren Himmel verfinstern, ich verzweifle nicht und sehe schon die strahlende, wahre und warme Frühlingssonne besserer Zeiten hinter ihnen aufgehen.

„...Und wenn Dir oft auch bangt und graut, als sei die Höll‘ auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut: Es muß doch Frühling werden!“ (Emanuel Geibel)

Gott schütze in diesen letzten Stunden dieses furchtbaren Ringens unser Vaterland, unsern Führer, unsern gerechten Kampf und führe uns zum Siege, der Friede und Leben und Glück für uns bedeutet. Heil einem solchen Frieden! –

Lieber Horst! Mein Freund! Du hast in Deiner Ausbildungszeit als Soldat das große Glück, mit einem lieben, sehr lieben Bekannten zusammensein zu dürfen. Auch ich hatte eine Zeit lang dieses Glück! Es hieß Jochen. Was letzterer mir bedeutet hat, kannst Du wohl ermessen. Trotz unserer brüderlichen Freundesliebe, trübten ab und zu Bagatellen das Zusammenleben. Mir tut dies heute sehr leid! Jochen ist nicht mehr!

Ich bitte Dich darum als alter Gefährte herrlicher Jugendjahre, der schönsten wohl: Sei recht lieb zu Heinz, unserem gemeinsamen Freund, dem ich das gleiche rate. Versucht (so eben möglich ist) sich gegenseitig jede Stunde, die Ihr noch gemeinsam verbringen dürft, einander jeden Tag zu verschönern. Wer weiß, wie lange ihr es noch könnt?! Denkt dabei zuweilen an mich, Eurem dritten Triumvir, wie ich sehr oft an Euch denke. Ich grüße Dich, meinen lieben Freund auf das Allerherzlichste und

verbleibe Dir in unwandelbarer Treue

Dein Freund Rudolf.

Nachsatz:

Grüße mir meinen lieben Heinz recht schön und laß bitte einmal wieder von Dir hören! Verzeih bitte Fehler und Schrift!