Horst Schmitt an seine Eltern, 6. Dezember 1944

Osnabrück, 6.12.44.

Meine Lieben!

Nach langem Schweigen die herzlichsten Grüße. Heute ist Nikolaus. Wir schwelgen alle in Kindheitserinnerungen und gedenken der schönen Tage, die uns die Vorweihnachtszeit immer gebracht. Unsere einzigste Freude, die aber nur von wenigen genossen wird, ist der Kirchgang. Wir können hier jetzt jeden Sonntag um 17 h in die Kirche gehen. Dreimal bin ich jetzt schon dort gewesen. Jetzt weiß man wenigstens, daß Sonntag ist. Von unserer 350 Mann starken Battr. gehen nur 20 Evgl. und 10 Kath. zur Messe, wovon die Evgl. größtenteils nicht zur Kirche gehen, sondern sich in Kaffees herumtreiben. Gehalten

wird die Messe vom Standortpfarrer, der großartig zu predigen versteht. Es ist ein Genuß. Hoffentlich dauert es noch recht lange! Schon in Dänemark habe ich jeden Sonntag um 8 h herum an Euch gedacht, besonders dann, wenn auch nicht das Geringste vom Sonntag durch den Dienst zu merken war.

Vorgestern war ein Angriff auf Osnabrück, von dem Ihr sicher im Radio oder in der Zeitung gehört habt. Wie ich Euch an jenem schönen Freitagnachmittag gesagt hatte, sind wir wie immer auch während dieses Alarmes in unseren Stollen gepilgert. Kaum sind wir drin, gehts auch schon los. Ein fürchterlicher Krach geht los, eine halbe Stunde

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lang. Wir saßen schön sicher. Leider ging das Licht aus, und man konnte nicht mehr lesen. Als wir dann herauskamen, war es draussen taghell. Einige Holzbaracken brannten lichterloh, auch die gelbe Notwohnung, die kurz vor der Scharnhorstkaserne in dreifacher Auflage stand. So war also Licht genug vorhanden. Im Kasernengebäude sind auch mehrere Bomben gefallen. Eine ist 10 m von unserem Bau, 15 m von unserer Stube, gefallen. Eine Zweite ist in den Block, der unserem Eingang gegenüberliegt, hineingefallen. Der halbe Block ist von der schweren Bombe vernichtet. An unserem Block waren sämtliche Türen und Fenster samt Rahmen aus ihren Löchern gekommen. Glasscherben

und ungeheurer Dreck lag in unseren Stuben und ein starker Windzug ging durch Flur und Stube. Wir hatten noch ziemlich Glück. Alle Zimmer, die zu der Seite, wo die Bomben gefallen sind, liegen, sind unbewohnbar. Wir hatten unsere Rahmen noch drin. Eine heile Tür hatten wir auch bald auf einem Lokus gefunden. Schnell wurde sie eingesetzt. Wir hatten keinen Zug mehr. Decken wurden vor die Fenster gehängt und dann wurde herrlich geschlafen, sogar eine Stunde länger als sonst. Am anderen Morgen gings ans Aufräumen. Es zeigte sich, daß auf unserer Bude große Organisatoren lagen. Bald waren wieder Fenster da und bald unsere Stube wieder bewohnbar.

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Morgen geht der Dienst wieder weiter wie früher.

In zwei Wochen ist Weihnachten. Kommt noch mal jemand von Euch nach Osnabrück? Seit diesem Angriff habe ich doch das dringende Bedürfnis, in Zukunft Waschzeug, Essbesteck, Rasierzeug usw. mit in den Keller zu nehmen. Sollte dann eine Bombe in den Block hereinfallen, so verliere ich nur Komißzeug. Und das erhalte ich ja sofort wieder. Solltet Ihr irgendeine Segeltuchtasche von der Größe einer Aktentasche besorgen können, so wäre ich sehr dankbar. Denn ein solcher Wäschebeutel fehlt mir schon lange. Ebenso ein Hosenträger. Bei Eurer Herreise möchte ich aber nicht, daß die Schwierigkeiten groß sind. Sollten die Zugverbindungen un-

günstig sein, so fahrt lieber nicht!

Sonst ist hier noch alles in Ordnung. Solltet Ihr mir noch mal ein Päckchen schicken wollen, so möchte ich nur darauf aufmerksam machen, daß nach hierhin die Päckchen und Pakete keine Zulassungsmarken benötigen. Sie kommen hier mit gewöhnlicher Anschrift jeden Tag in allen Größen in großen Mengen an.

Nun Schluß. Die besten Grüße an Euch beide

Euer Ältester.

Grüßt Fam. Looks und Kraatz von mir.