Vater und Mutter Schmitt an Sohn Horst, 2. Januar 1945

Nr. 1. (Neue Numerierung!)

Bocholt, den 2. Januar 1944. [richtig: 1945]

Lieber Horst!

Herzlichen Dank für Deinen Brief Nr. 30 vom 21. bz. 22.12., der am 24.12. abgestempelt war und am letzten Tage des alten Jahres, also verhältnismäßig schnell hier eintraf. Wie wir aus Deinem Brief ersehen, habt Ihr eine nette Weihnachtsfeier gehabt, soweit man beim Kommiß von einer Weihnachtsfeier überhaupt sprechen kann. Hoffentlich sind auch die drei Feiertage einigermaßen „menschenwürdig“ verlaufen, sodaß wenigstens der Gedanke an Weihnachten in etwa aufkommen konnte. Daß der Gefreite Schülke die Pakete Euch beiden noch vor Weihnachten überreichen würde, hatten wir natürlich ohne weiteres angenommen, und so ist uns denn unsere Überraschung auf der ganzen Linie gelungen, was uns natürlich nicht wenig Freude bereitet hat. Hoffentlich hast Du auch Deine Uhr in dem Paket entdeckt. Mutter hatte schon Sorge, weil Du sie in Deinem Brief nicht erwähnst. Aber es wird nur ein Versehen sein.

Du fragst, lieber Horst, in Deinem Brief, wie wir beide Weihnachten begangen hätten. Nun: im Gedenken an unsere lieben Jungen, die auch diesmal wieder nicht dabei sein konnten. Wir haben uns aber getröstet in dem Gedanken, daß wir ja nicht die einzigen Eltern waren, denen es so ergeht. Und darum sind wir am ersten Feiertag abends zu Looks gegangen, wo wir bis 0.15 Uhr blieben, ein Beweis, daß wir es dort noch gut aushalten konnten. Und am zweiten Tage waren wir bei Kraatz, wo wir den Musikus Richter trafen, der gerade auf Weihnachtsurlaub war. Am Freitagabend war Clemens Drees bei uns für einige Stunden, um sich etwas Literatur über Gerhart Hauptmann zu holen. Er hat uns seine Erlebnisse an der Front und die seines Vaters in russischer Gefangenschaft erzählt. Werner ist übrigens von seinem Kommando am Aasee in Münster abgelöst worden, wahrscheinlich geht es, wie Clemens meint, zur Front.

Von Helmut haben wir immer noch keine Nachricht. Eine gewisse Beruhigung brachte uns der Wehrmachtbericht vom 27.12., in dem es hieß, daß stärkere deutsche Kräfte, die im südlichen Montenegro die Flankendeckung für die aus Griechenland zurückmarschierenden Truppen übernommen hatten, nach wochenlangem Abgeschnittensein sich zu den in Nordmontenegro stehenden Hauptkräften durchgeschlagen haben. Bei diesen abgezogenen Kräften befanden sich natürlich die aus Albanien zurückgezogenen Truppen, mithin also auch unser Jüngster. Übrigens haben nicht weniger als vier Bekannte aus Bocholt, die ebenfalls in Albanien standen, genau so lange nicht geschrieben wie Helmut, woraus also mit ziemlicher Sicherheit zu entnehmen ist, daß sie alle bei der vorübergehend abgeschnittenen Truppe sich befinden. Zu ihnen gehört auch ein Bruder von Hans Seggewiß, der in Walona lag und genau so lange wie Helmut nicht mehr geschrieben hat. Ferner gehört dazu der Gefreite Schemkes aus der Hermann-Löns-Straße, der seinerzeit Helmut das Paket mitgenommen hat und der seit Mitte Oktober nicht mehr geschrieben hat; er lag zuletzt in Skutari, während Helmut ja in Tirana, der Hauptstadt Albaniens, lag, von wo auch ein Herr Sieverding aus der Salierstraße zuletzt geschrieben hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Bocholter sich bei dem wochenlangen Abgeschnittensein nach und nach kennengelernt haben und sich hoffentlich die Zeit mit dem Erzählen von Bokeltsen Dönkes verkürzt haben. Auch ein Neffe von Hermann Loock aus der Bismarckstraße lag in Tirana und hat seit Mitte Oktober nicht mehr geschrieben. Wir wollen nun hoffen, daß Helmut in einigen Wochen etwas von sich hören läßt; denn so lange müssen wir ja schließlich warten, bis die Post von drüben hier eintrifft, die ja frühestens Ende Dezember auf dem Balkan abgehen kann. Und an das Warten sind wir allmählich gewöhnt, wie überhaupt der Krieg uns Menschen immer härter macht, was ja schließlich das einzig Senkrechte ist, wenn man ihn überhaupt überstehen will.

Von Tante Kathrinchen erhielten wir Weihnachten einen Brief, in dem sie u. a. mitteilt, daß sie von Heribert seit 21.10. nichts mehr gehört hätten. In seinem letzten aus Osnabrück datierten Brief habe er geschrieben, daß er ausrücke. Vermutlich ist er bei der Angriffsarmee im Westen, und um den Angriff möglichst geheim zu halten, was ja glänzend gelungen ist, wird wohl bei der ganzen Armee wochenlang Schreibverbot geherrscht haben. Auch Willi Spengler, der von den Fliegern zu den Fallschirmjägern gewechselt ist, wie seine Mutter sagte, der aber, wie Clemens Drees wissen wollte, die Prüfung zum aktiven Offizier nicht bestanden habe, hat ebenfalls seit 5 Wochen nicht geschrieben. Ebenso der Festungspionier Theo Tacke, der zuletzt in Godesberg in Quartier lag und sich jetzt ebenfalls wohl in den Ardennen herumtreibt. Jedenfalls hat der Angriff im Westen zur Folge, daß unsere Verwandten in Bonn und Umgegend einstweilen wenigstens wieder etwas aufatmen können; denn die Front war allmählich verdächtig nahe an Bonn herangerückt. Und auch für uns hat der Schlag im Westen jedenfalls das Gute, daß die Briten vorerst nicht daran denken können, etwa aus dem Raum Arnheim vorstoßen zu können.

Die Üdorfer haben Nachricht erhalten, daß Christian seit Anfang Dezember in englischer Gefangenschaft ist; er ist bei Laurient gefangen genommen worden. Daß Tinis Mann Willi bereits am 7.8. in Galizien gefallen ist, haben wir Dir doch wohl schon mitgeteilt. Kurt Wessels ist, wie uns Clemens Drees erzählte, seit einiger Zeit im Westen vermißt. Und Karl August Borgers ist wie sein Bruder bei der SS (Sturmpionier) gelandet. Auch Rudolf Looks hat übrigens seit etwa vier Wochen nicht mehr geschrieben. Vermutlich ist auch er an der Offensive im Westen beteiligt.

Wie Du also siehst, lieber Horst, hat sich so allerlei ereignet, was Dich ohne weiteres interessieren wird. Hoffentlich hast Du das Paket mit den Büchern, das bereits am 1. Dezember abgegangen ist, mittlerweile erhalten, damit Du die Bücher wenigstens noch in etwa gebrauchen kannst. Übrigens traf am 19.12. noch ein Brief von Dir aus Dänemark ein, den Du am 22. Oktober geschrieben hattest, der also fast zwei Monate unterwegs war!!! Auch die 14 RM, die Dir ein Kamerad aus Hamburg nach Dänemark schicken sollte, sind mittlerweile wieder hier gelandete.

Hoffentlich erhälst Du diesen Brief etwas schneller, damit Du nicht so lange auf Nachricht aus der Heimat zu warten brauchst. Im übrigen darfst Du immer getrost annehmen, daß wir wissen, wie wir uns bei Fliegeralarm usw. zu verhalten haben, wie wir das auch von Dir ohne weiteres annehmen. Unser Plan, Dich wieder einmal dort aufzusuchen, besteht nach wie vor. Wir warten nur auf eine günstige Gelegenheit. Solltet Ihr aber, wie Heinz nach Hause geschrieben hat, irgendwohin ins Biwack gehen, müßtest Du uns schleunigst ein Telegramm schicken, wobei man allerdings Gefahr laufen muß, daß das Telegramm unter Umständen länger unterwegs ist als ein Brief.

So, das wäre für heute mal wieder alles. Hoffentlich trifft der Brief Dich gesund und munter an, wie er uns verläßt. In diesem Sinne herzliche Grüße an Dich und Heinz und die besten Wünsche für das kommende Jahr von

Vater und Mutter.

Ruland hat sich Deine Adresse geben lassen. Jetzt hätte Er bald alle zusammen, wie Er sagte. Tante Leni schrieb, Sie hätte den Brief an Dich nach Dänemark, zurück bekommen. Du könntest ja mal hinschreiben. Sie wollte Deine Adresse haben. (Arnstetterstr. 20)

Zum neuen Jahr wünsche ich Dir alles Gute. Hoffentlich ist der Krieg bald aus, damit die Eltern die Feste nicht mehr allein feiern müssen. Für heute recht herzliche Grüße auch an Heinz sendet Mutter.

[Text wie Seite 1 – mit handschriftlichem Zusatz:]

 

Alles gelogen

Siehe Brief 2!

[Text wie Seite 2 – mit handschriftlichem Zusatz:]

 

B., 15.I.1945.

Lieber Horst!

Hoffentlich hast Du das Original dieses Durchschlages inzwischen erhalten. Wenn nicht, dann kannst Du ja aus diesem Durchschlag die Neuigkeiten entnehmen. Neues hat sich seit 2.I.45 nicht ereignet. Hoffentlich geht es Dir gut wie auch uns. Herzl. Grüße auch an Heinz

Vater und Mutter.

Meinem Großen herzliche Grüße Mutter.

Gusti Spickemann ist nun auch eingezogen worden, Du brauchst nicht mehr schreiben. Die Mutter war schon wieder einmal bei mir. Das ist mir sehr verdächtig. M