„Wir wollten zum Westen.“ - In Thüringen

Mit unbekanntem Ziel setzt sich der Zug in Bewegung. „Die haben die Lok so geschürt, dass uns die ganzen Klamotten verbrannten“, erzählt Werner Schuh. Die gesamte - ohnehin knappe - Kleidung sei durch die glühenden Kohlepartikel mit Löchern übersät gewesen. Anderes empfand er aber als weitaus schlimmer. „Es gab keine Toiletten und nichts. Da können Sie sich ja vorstellen, wie das war.“

Das erste Ziel ist Magdeburg, wo die Vertriebenen in einem großen Lager untergebracht werden sollen. Weil hier jedoch Typhus ausgebrochen ist, ergibt sich ein großes Durcheinander. Das nutzen vier oder fünf Familien aus Pressern, um sich zusammenzutun und auf eigene Faust abzusondern. „Wir sind dann querfeldein gezogen und haben uns von Futterrüben ernährt.“ Übernachtet wird in Fabrikhallen oder Scheunen und am Tag bittet man auf Bauernhöfen um Nahrung und Getränke. „Da waren auch mal freundliche Leute, die haben uns eine Suppe gekocht.“ „Wir wollten zum Westen“, umreißt Werner Schuh das so klare wie unpräzise Ziel der Gruppe. Dazu kommt es jedoch nicht, denn sie wird bald von russischen Soldaten aufgegriffen, wiederum in Waggons verladen und nach Thüringen geschickt. So gelangt Familie Schuh schließlich nach Lindenau – „genau an der Zonengrenze“.

 

Hier werden die Ankömmlinge verteilt. Den Schuhs wird ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar zugewiesen. Die familiäre Situation wird durch fluchtbedingte Erkrankungen erheblich belastet. Werners Mutter leidet an einer heftigen Mandelentzündung, und er selbst hat sich auf der Fahrt nach Thüringen eine schwerwiegende Verletzung am Ellbogen zugezogen. Unter solchen Umständen erweist sich die karge Einrichtung des Zimmers als noch armseliger und unzureichender als sie ohnehin schon ist. „Das war ein Bett drin, ein Tisch und ein Stuhl und ein Kleiderschrank – für vier Personen.“ Erschwerend kommt hinzu, dass sich das gastgebende Ehepaar den Ankömmlingen gegenüber sehr unfreundlich verhält. Zum Glück gibt es aber hilfsbereitere Nachbarn, die die Schuhs mit Lebensmitteln unterstützen.