„Wieder ein Abschied für immer!“ - Umzug nach Jüchen

Kurz darauf wird Wolfgang selbst zum Jüchener. Vater und Stiefmutter kaufen nach vergeblicher Bewerbung um eine „Siedlerstelle“ um 1955 im Ort nämlich ein altes Haus. Damit steht für den erst Elfjährigen bereits der fünfte Ortswechsel bevor. Die Eltern hätten sich „ein eigenes Dach über dem Kopf“ gewünscht. Da stört es unter den damaligen Umständen im Nachkriegsdeutschland nicht, dass das Haus nicht nur klein und renovierungsbedürftig, sondern teilweise auch noch vermietet ist. An Enge ist man nach all den von Flucht und Ortswechseln geprägten Jahren hinlänglich gewöhnt, während Wolfgang bis dahin aber nie erfahren konnte, was „Eigentum“ eigentlich heißt.

 

Der Umzug nach Jüchen steht unter ungünstigeren Vorzeichen als frühere Ortswechsel, weil Wolfgang dieses Mal nicht auf die Schule als Ort von Integration und Anerkennung zurückgreifen kann. Noch von Priesterath aus ist er nämlich auf das Gymnasium in Odenkirchen gewechselt. „Deswegen hatte ich es besonders schwer Kontakt zu bekommen“, erinnert sich Wolfgang Kuhn an die für ihn schwere Zeit nach dem Umzug zurück. „Hier kannte ich keinen.“ Da hilft es auch nur wenig, dass er sich durchaus an Spielen auf der Straße beteiligt; eine gewisse Fremdheit bleibt zunächst bestehen. „Die gingen ja alle miteinander zur Schule und ich nicht.“

Der Rückblick auf diese Zeit fällt nicht leicht. „Man gewöhnt sich daran, dass man nicht dazugehört“, lautet seine Quintessenz. Dabei ist er in dieser Beziehung doch schon sehr erfahren. Jedes „Neuhereinkommen“ in Gruppen oder Klassenverbände sei für ihn mit der Frage verbunden gewesen: „Wie gibt man sich denn jetzt? Das ist schwierig.“ „Von Hause aus“, so schätzt er sein damaliges Naturell ein, sei er zwar durchaus „forsch“ gewesen, doch habe er sich aufgrund der ständig neuen Lebenslagen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit aneignen müssen. „Ich muss sehen, dass ich da zurechtkomme und passe mich an.“

Als Beispiel für die psychischen Probleme, die ihm aus den ständigen Abschieden und Trennungen damals erwachsen, führt Wolfgang Kuhn einen Vorfall aus Wollrode an. Als der Umzug nach Priesterath angestanden habe, sei er mit einem Freund in ein nahegelegenes Wäldchen gegangen, um ihm dort mitzuteilen: „Ich ziehe jetzt weg, und wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen.“ Mit dem von ihm mitgebrachten Taschenmesser ritzen die beiden Jungen daraufhin wie zwei junge Verliebte ihre Initialen in einen Baum. „Vielleicht passiert es ja mal, dass wir uns wiedersehen. – „Ein Abschied. Wieder ein Abschied für immer!“