Die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ wurde im September 1933 ursprünglich als politische Interessenvertretung gegenüber den Regierungsbehörden gegründet. 1935 wurde sie umbenannt in „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ und 1939 zwangsweise umgebildet in eine „Reichsvereinigung“.
Diese scheinbar geringfügigen Namensänderungen markieren Etappen der brutalen Dynamik, mit der sich Status und Lebensbedingungen deutscher Juden im NS-System verschlechterten. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gründete sich angesichts der aggressiv antisemitischen Politik der neuen Regierung am 17. September 1933 die schon lange angestrebte "Reichsvertretung der deutschen Juden" mit dem Berliner Rabbiner Leo Baeck als Präsidenten. In diesem Dachverband waren die wichtigsten jüdischen Organisationen wie der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die Zionistischen Vereinigung für Deutschland, der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, die jüdische Gemeinde Berlin u.a. freiwillig zusammengeschlossen.
Vordringlich wurde aber unter den sich dramatisch verschärfenden Umständen die Unterstützung der Reichsvertretung für die jüdische Selbsthilfe in ihren vielfältigen Formen, zuvörderst die Organisation eines eigenen Schul- und Bildungswesens, da die Nationalsozialisten gleich daran gingen, jüdische Kinder, Schüler und Studenten aus öffentlichen Schulen und Universitäten weitestgehend auszuschließen. Je mehr Juden außerdem aus ihren Berufen gedrängt, zur Geschäfts- oder Praxisaufgabe gezwungen wurden und ihre Existenzgrundlage verloren, umso größer wurde die Not und der Bedarf an Wirtschaftshilfe, etwa durch Kredite oder Stipendien, und an Wohlfahrtspflege, z.B. jüdischer Winterhilfe, Waisen - und Krankenhäusern.
Nach Erlass der Nürnberger Rassegesetze wurde der Verband 1935 gezwungen, sich in „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ umzubenennen: deutsche Juden waren also ihrer Nationalität beraubt und aus der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen. Ab 1938 verlor die Reichsvertretung ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, konnte daher keine Steuern mehr einziehen und war umso mehr auf die Spenden wohlhabender Juden in Deutschland und von jüdischen Verbänden insbesondere in Großbritannien und den USA angewiesen. Davon flossen immer mehr Mittel in die Hilfe zur Auswanderung, wozu neben Reisegeld auch die Beschaffung von Ausreisegenehmigungen und Visa, Sprachkurse und Weiterbildungsangebote gehörten sowie Umschulungen auf Berufe, die in Einwanderungsländern gefragt waren. Außerdem wurden zwischen dem Novemberpogrom 1938 bis zum Kriegsbeginn am 1.9.1939 zahlreiche Kindertransporte in – vorerst – für jüdische Kinder sichere und aufnahmebereite Länder organisiert.
Das Ende der frei gewählten Reichsvertretung kam am 4.6.1939 durch eine Verordnung, die alle Juden, jüdischen Verbände und Gemeinden zwang, der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" beizutreten. Diese unterstand der Aufsicht des Reichsinnenministeriums und hatte seinen Anordnungen zu folgen, kontrolliert von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), Sicherheitsdienst (SD) und Reichssicherheitshauptamts (RSHA). Der Vorstand wurde von der Sicherheitspolizei (Sipo) ernannt.
Die Reichsvereinigung übernahm von der Reichsvertretung einen Großteil der Verwaltung und des Personals und wurde von den nationalsozialistischen Behörden als Hilfsorganisation zur Fortführung der Ausgrenzung und schließlich Vernichtung deutscher Juden instrumentalisiert: zur Kontrolle der jüdischen Bevölkerung, Aufrechterhaltung notwendigster Wohlfahrtseinrichtungen, Erteilung von zahllosen Sondergenehmigungen, Auflösung jüdischer Gemeinden usw.
Ihre vorrangige Aufgabe war aber, die Auswanderung ihrer Mitglieder forciert voranzutreiben, – bis dieser Ausweg mit dem Auswanderungsverbot für Juden vom 23. Oktober 1941 endgültig versperrt wurde. Von den etwa 500.000 in Deutschland lebenden Juden konnten bis dahin 300.000 auswandern. Danach war die Reichsvereinigung in der tragischen Zwangslage, an der organisatorischen Vorbereitung der Deportation ihrer eigenen Schicksalsgenossen, denen sie zugleich zu helfen versuchte, also an der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ in Konzentrations-und Vernichtungslagern mitwirken zu müssen.
Am 10. Juni 1943 wurde die Geschäftsstelle der Reichsvereinigung in Berlin geschlossen und ihre wenigen verbliebenen jüdischen Mitarbeiter ebenfalls deportiert.