Pietismus

Der Pietismus (von lat. pietas für Frömmigkeit, Pflichtgefühl, Rechtschaffenheit) kam im 17. Jahrhundert als religiöse Erweckungsbewegung innerhalb des deutschen Protestantismus auf. Er rückte die Frömmigkeit des Einzelnen und seinen lebendigen Glauben statt der überkommenen Orthodoxie und Dogmatik der kirchlichen Institutionen in den Mittelpunkt.

Zentral ist für Pietisten die Wiedergeburt als radikale Wende im Leben des Einzelnen, wobei er oder sie dank eines „Durchbruchs der Gnade“ von Sünde und dem alten Sein befreit wird und in eine neue, unmittelbare Beziehung zu Gott, die Gotteskindschaft tritt. Die Wiedergeborenen kommen in kleinen privaten Gruppen („collegia pietatis“, heute: Hauskreise) zusammen, vor allem um gemeinsam und intensiv die Bibel, insbesondere das Neue Testament zu studieren, zu beten und zu singen. Von großer Bedeutung sind auch das Bemühen um eine christliche Lebensführung, Mission und soziale Werke.

Bei seiner Entstehung – nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und vor der Aufklärung - war der Pietismus gewissermaßen eine moderne Bewegung, da er das Individuum ins Zentrum des Glaubens stellte und gegen alte Hierarchien und Lehren eine „neue Reformation“ zum Ziel hatte. Es entstanden aber, teils beeinflusst von England und Amerika, verschiedene Zweige des Pietismus und im 19. Jahrhunderte auch immer konservativere Strömungen. Allenthalben bildeten sich neue Erweckungsbewegungen, damals mit Schwerpunkten unter anderem im Siegerland, in Wuppertal und Minden, im Oberbergischen und im Umland von Herford, aber auch in Ostpreußen und Pommern, aus denen sich teilweise freikirchliche Gemeinden gründeten. In Gnadau (heute Sachsen-Anhalt), wo schon elf Jahre zuvor eine Pfingstkonferenz führender Pietisten stattgefunden hatte, wurde 1897 der Gnadauer Gemeinschaftsverband aller deutschen Gemeinschaftskreise gegründet.

Diese entfalteten rege Tätigkeit, sei es in der Inneren und der Weltmission, sei es auf dem weiten Feld der Diakonie und Pädagogik mit der Gründung von Armen-, Kranken- und Waisenhäusern, der ersten Diakonissenanstalt in Kaiserswerth u.ä., in der Erwachsenenbildung und der Jugendarbeit. Unter dem Nationalsozialismus wandte sich der Gnadauer Verband von den Deutschen Christen ab und der Bekennenden Kirche zu, was Nachteile und Einschränkungen mit sich brachte.