Nathan der Weise

Dieses Versdrama in fünf Akten, verfasst von Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), erschienen 1779 und uraufgeführt 1783 in Berlin, ist einer der großen Klassiker der deutschen Aufklärung, ein idealistisches Plädoyer für Toleranz, Vernunft und Humanität von bleibender Aktualität. Doch nach nationalsozialistischen Maßstäben gehörte das weltberühmte Werk wegen dieser Grundideen und durch die Tatsache, dass die titelgebende Hauptfigur ein reicher Jude von edlem Charakter und großer Weisheit und Menschenliebe war, auf den Scheiterhaufen.

Das Stück spielt zur Zeit der Kreuzzüge in Jerusalem, wo die Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam aufeinander treffen. Bei der Rückkehr von einer langen Geschäftsreise erfährt Nathan, dass seine Pflegetochter Recha von einem christlichen Tempelherren gerettet worden ist, als sein Haus in Flammen stand. Dieser war in Gefangenschaft des muslimischen Sultans geraten, aber von der sonst üblichen Hinrichtung verschont und begnadigt worden, weil er dessen verstorbenem Bruder so ähnlich sah. Der Sultan lässt Nathan kommen, um seine allseits gerühmte Freigebigkeit und Vernunft zu prüfen, und fragt ihn, welche Religion er für die wahre halte.

Nathan antwortet mit der berühmten Ringparabel: Seit vielen Generationen wurde in einem Königshaus immer an den Lieblingssohn ein ganz besonderer Ring vererbt, der seinem Träger die Fähigkeit verlieh, sich „vor Gott und den Menschen angenehm zu machen“. Doch ein alter König konnte sich nicht zwischen seinen Söhnen entscheiden, weil er alle drei gleich liebhatte. Schließlich ließ er zwei Ringe ganz ähnlich dem ersten anfertigen und übergab sie den Söhnen vor seinem Tod. Ein weiser Richter schlichtete zwischen den Brüdern mit dem Rat, jeder solle die Echtheit seines Ringes durch sein praktisches Handeln beweisen, durch sein liebevolles, vorurteilsfrei menschenfreundliches Verhalten, durch Verträglichkeit und Wohltätigkeit.

Tief beeindruckt von diesem Gleichnis vom Verhältnis der Religionen zueinander bittet der Sultan Nathan um seine Freundschaft. Derweil hat sich der junge Tempelherr, der anfangs mit Juden gar nicht verkehren wollte, in Recha verliebt, doch Nathan sträubt sich gegen eine Heirat. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie ein christlich getauftes Waisenkind ist, das Nathan aufgezogen hat, obwohl seine Frau und alle seine Kinder durch brandschatzende Christen den Tod gefunden hatten. Der Tempelritter ist Rechas Bruder und beide sind Nichte und Neffe des Sultans. Am Ende umarmen sich alle, - die leiblichen Verwandten untereinander und diese mit ihrem gemeinsamen Geistes- und Seelenverwandten Nathan.