Wilhelm Kayser

Kindheit, Jugend und Schule

Wilhelm Kayser wird am 14. Mai 1905 in Köln geboren. Der Vater ist „Ofenbaumeister“, politisch "kaisertreu" und arbeitet in einer großen Firma. 1914 kommt Kayser in die Schule in der Loreleystraße, 1921 dann aufs Apostelgymnasium, das er jedoch verlassen muss, als die Eltern kurz hintereinander sterben und das Schulgeld von seinen älteren Geschwistern (Kayser ist der jüngste von 10 Geschwistern) nicht mehr aufgebracht werden kann. Für Kayser ist es "sehr bitter", die Schule verlassen zu müssen, da sich sein Traum, Jura zu studieren, damit zerschlägt. Stattdessen macht er eine kaufmännische Lehr bei der Bamag, einer großen Metallfabrik, in Bayenthal. Hier kommt er auch das erste Mal mit der Politik in Berührung, insbesondere über sein Interesse an sozialen Fragen, aber auch durch die Auseinandersetzungen über den Versailler Vertrag. Bei einer der Versammlungen hört er von den Nationalsozialisten und besucht anschließend eines ihrer Treffen, auch hier wiederum geleitet durch sein Interesse an sozialen Fragen und am Versailler Vertrag. 1925, mit 17 Jahren, tritt er in die Partei ein.

Über seine Motivation dafür schreibt Kayser nach dem Krieg (der Bericht ist undatiert):

„Um es von Anbeginn klarzustellen: Ich war nie Nazi, sondern vom ersten Tage meiner politischen Tätigkeit nur Sozialist. In der ersten Zeit mag diese sozialistische Einstellung rein gefühlsmäßig bestimmt gewesen sein und zwar aus dem Bestreben, das Unrecht in der Welt beseitigen zu helfen. Die damals herrschende soziale Not konnte einen nicht unberührt lassen. Wenn ich mich nun im Jahre 1925 der NSDAP anschloss, so aus dem Grunde, weil ich die Ursache der herrschenden Not in der außenpolitischen Situation Deutschlands sah. […] Als junger Mensch musste man von der angeblich die Interessen der breiten Masse vertretenden Partei, nämlich der SPD, enttäuscht sein, da sie nicht klar und deutlich Stellung gegen die Träger des deutschen Kapitalismus nahm. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, mit den Vertretern des Kapitalismus einen wirklich sozialen Staat aufbauen zu können, geschweige denn einen Staat, der sozialistisch ist. Zur KPD fand ich keinen Kontakt, da ich damals der Ansicht war, dass die soziale Frage nur im Zusammenhang mit der nationalen Frage zu lösen sei. So wurde ich von der Propaganda der NSDAP beeinflusst, besonders da zur damaligen Zeit hier im Westen der sogenannte ‚linke Flügel‘ stark in Erscheinung trat. Während meiner Tätigkeit in der NSDAP stand für mich immer die Lösung der sozialen Frage im Vordergrund.“

NSDAP

Die NSDAP ist 1925, als Kayser Mitglied wird, in Köln noch nicht stark vertreten und hat etwa 120 Mitglieder. Bis 1928 steigt die Zahl auf ca. 300, von denen jedoch nur rund 100 auch aktiv sind. Die HJ ist zu der Zeit noch kaum vorhanden, darum tritt Kayser, obgleich er von der Altersstruktur eher zur HJ gepasst hätte, in die Partei ein.

Er besucht in der Zeit hauptsächlich Versammlungen und macht Propaganda: Er verteilt Flugblätter, klebt nachts illegal Plakate für Versammlungen und übernimmt den Versammlungsschutz. Damit gehört er zu den "aktiven Leuten", die sich in Köln SA nennen, ohne dass es in der Zeit schon eine Struktur mit SA-Führern etc. gibt (eine solche Struktur gibt es erst ab 1930, als die SA anfängt, als geschlossene Organisation aufzutreten).

Durch die "Katz-Rosenthal-Affäre" wird die Partei 1928 erstmals in Köln bekannt, und es folgt eine Phase der Stabilisierung bis 1930. Ab den Septemberwahlen 1930 hat die Partei dann mehr Zulauf, und es kommen auch mehr Spenden herein (diese Spenden stammen in der Regel nicht von den Parteimitgliedern, von denen etwa 30 Prozent arbeitslos sind). Nun interessieren sich auch Leute für die Partei, von denen man dies "nicht für möglich gehalten hätte", darunter Beamte und kleinere Geschäftsleute. Zudem annoncieren auch immer mehr Leute im Westdeutschen Beobachter.

Die Versammlungen der NSDAP werden um 1928 in Köln von der politischen Polizei beobachtet, vermutlich gibt es in der Partei auch einen Informanten, der Interna an die Polizei weitergibt.

Rückschläge erleidet die Partei unter anderem durch einen Zwischenfall in Naststätten, wo bei einer Versammlung ein SA-Mann erschossen wird und es zu einer Schlägerei kommt. Daraufhin wird die Kölner Ortsgruppe vorübergehend verboten und auch der Westdeutsche Beobachter darf nicht mehr erscheinen.

Am 30.8.1928 wird Kayser nach einer Versammlung in Ehrenfeld von einer Gruppe Kommunisten zusammengeschlagen und erleidet eine schwere Schädelverletzung. Er liegt mehrere Wochen im Krankenhaus und muss seinen Beruf aufgeben, "weil die Firma das nicht mitmachte". Er wird daraufhin am 1.11.1928 hauptamtlicher Gaugeschäftsführer der NSDAP mit einem monatlichen Verdienst von 200 Mark. Den Posten erhält er auf Vermittlung der Reichsleitung. Für Ley ist Kaysers Berufung "eine Ohrfeige", da sie in politischen Diskussionen unterschiedliche Standpunkte vertreten.

Die Arbeit in der Gaugeschäftsstelle gestaltet sich anfangs sehr primitiv. In einem Keller am Ubierring. gibt es ein Büro für die Gauleitung und einen Raum, der als Versammlungsraum für die HJ dient, zudem zwei Räume für den Westdeutschen Beobachter. "Wir hatten nichts. Im Büro da war ein Schreibtisch drin und eine Schreibmaschine, das war alles."

Die Partei ist in der Zeit finanziell nicht gut gestellt, im Gau herrscht eine "miserable Kassenlage". Einen Kassierer gibt es nicht, die Gelder werden ehrenamtlich verwaltet mit dem Ergebnis, dass Beiträge kassiert, aber nicht abgeführt werden und keine Kontrolle da ist. Die einzigen Einnahmen kommen durch die Mitglieder, doch auch diese sind eher spärlich, da nicht alle Ortsgruppen sämtliche Mitglieder melden, um nicht soviel abführen zu müssen. Spenden erreichen die Partei nur vereinzelt, eine größere Rolle spielen die politischen Versammlungen, zu denen Eintritt gezahlt werden muss. Allerdings wird ein Teil dieser Gelder auch für Plakate und Saalmieten ausgegeben.

Als Gaugeschäftsführer sorgt Kayser vor allem für eine Verbesserung der finanziellen Situation und für einen klaren Aufbau der Organisation. Ein Kölner Finanzbeamter wird als Kassierer gewählt und kontrolliert die Kassenverwaltung. Zudem werden die Mitglieder nun erstmals organisatorisch erfasst.

Zu den Kölner Ortsgruppen hat Kayser guten Kontakt und besucht sie regelmäßig auf ihren Versammlungen. Die Arbeit der Gruppen hängt stark vom jeweiligen Ortsgruppenleiter ab. Manche können gut Vorträge halten, andere nicht, dann wird "manchmal sehr viel Blödsinn geredet [...]. Da ging die Diskussion, wie das bei Vereinen so manchmal ist."

Neben seiner Tätigkeit als Gaugeschäftsführer und Führer der HJ "bearbeitet" Kayser um 1928 bis 1930 auch die ländlichen Bezirke außerhalb von Köln. Er wird politischer Leiter der Kreise Bergheim, Euskirchen und Rheinbach. Zudem arbeitet er als "Reichsredner", der für seine einzelnen Auftritte ein Entgelt erhält. Seine Reden hält er stets frei über ein zuvor gesetztes Thema, über das er dann eine bis anderthalb Stunden sprechen kann.

In seinen Reden vertritt Kayser einen Standpunkt, wie er vom linken Flügel der NSDAP, dem Strasser-Flügel, vertreten wird. Darüber kommt es zu Auseinandersetzungen mit Dr. Ley, so dass Kayser und Ley nie auf derselben Veranstaltung auftreten.

Einer der Punkte, bei denen Kayser und Ley nicht einer Meinung sind, ist der Antisemitismus bzw. die Begründung für ihren Antisemitismus, denn Antisemiten sind sie beide. Während Ley hierfür jedoch rassische Gründe anführt, leitet Kayser seine Vorbehalte aus seiner Kapitalismuskritik ab und wendet sich gegen das „jüdische Kapital“, das er in den großen Warenhäusern kumuliert sieht. Er behauptet daher von sich selbst, im Gegensatz zu Ley kein dezidierter Antisemit gewesen zu sein. Er habe zwar "nicht den Juden hochgehalten", aber auch "keine Reden gegen die Juden gehalten". "Ich habe natürlich den Standpunkt damals vertreten: Die Juden sind ein eigenes Volk und sie müssen auch einen eigenen Staat haben [...]. Ich habe aber nicht gesagt: Der Jude ist ein Verbrecher, weil er Jude ist."

Ebenso wie Ley äußert sich Kayser in seinen Reden jedoch abfällig über die Juden und wird deshalb 1928 verurteilt, weil er von einer „Judenrepublik“ gesprochen hat und davon, dass dieser Staat "vollkommen verjudet" sei. Damit verstößt er gegen das Republikschutzgesetz, kann einem Aufenthalt im Gefängnis, wie auch etwa fünf folgende Male, jedoch entgehen, weil die Richter die Vorfälle "nicht so tragisch" nehmen.

Ende 1929 kommt es zwischen Kayser und Ley zu einer starken Auseinandersetzung, in deren Folge Kayser seinen Posten als Gaugeschäftsführer verliert und am 1.1.30 eine Stellung in der HJ übernimmt. Ley ist, so Kayser, "eifersüchtig auf mich als Redner": "Er hatte gemerkt, dass die Parteileute auch in den Versammlungen einen besseren Kontakt zur Versammlung hatten. [...] Und dann hat man ja auch in den Parteikreisen den Lebenswandel von Dr. Ley sehr kritisch beurteilt. [...] Und dann sind wir in Organisationsfragen auch nicht einig gewesen."

Schon 1928 hatte Ley versucht, Kayser zu entmachten, als dieser wegen seiner schweren Schädelverletzung im Krankenhaus lag. Seinerzeit war er zum behandelnden Arzt gegangen, um sich bestätigen zu lassen, dass Kayser nicht mehr ganz „in Ordnung“ war, wurde jedoch der Tür verwiesen.

Die Auseinandersetzungen zwischen Ley und Kayser drehen sich unter anderem darum, dass es Kayser im Gegensatz zu Ley nicht ablehnt, auf den Versammlungen der Nationalsozialisten auch die politischen Gegner zu Wort kommen zu lassen. Vielmehr fordert Kayser die politische Linke zu Diskussionen auf und geht auch selbst in deren Versammlungen. Sein Hauptanliegen bei diesen Diskussionen ist die "soziale" und die "staatspolitische Frage". Hier kritisiert er auch vor allem die Ansichten der Kommunistischen Partei.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen Ley und Kayser, der dann auch 1930 zum endgültigen Bruch führt, ist der Plan Kaysers, in Zusammenarbeit mit der Ortsgruppe Euskirchen eine Zeitung herauszugeben. Hier befürchtet Ley eine unerwünschte Konkurrenz zum Westdeutschen Beobachter, der seinerzeit einen „sehr schlechten Ruf bei den Leuten“ hat und wenig dazu beitragen kann, Werbung für die NSDAP zu machen.

Die neue Zeitung nennt sich "Die Sturmfahne, Kampfblatt deutscher Bauern um die freie Scholle" und erscheint in einer Auflage von 2500 Exemplaren für die gesamte Rheinprovinz, vor allem im ländlichen Raum. Die Gegenreaktion durch Ley ist dann jedoch so stark, dass nur eine Ausgabe erscheinen kann.

Am 12. April 1932 tritt Kayser als Vertreter des Strasser-Flügels aus der NSDAP aus, weil sich die Partei seiner Meinung nach "von dem sozialen Gesichtspunkt entfernen würde" und der "bürgerliche Einfluss" immer stärker wird. "Seit 1930, seit der Septemberwahl [...] haben wir [das] diskutiert innerhalb der Hitlerjugend, auch innerhalb der Partei. Und dann wurde das 32 so stark, dass ich gesagt habe: Es hat keinen Sinn mehr. Und Hitler hat ja damals auch schon Reden gehalten, aus denen ich schließen konnte, was er für einen Weg gehen würde."

Für Kayser ist die Trennung der Anfang einer erbitterten Auseinandersetzung mit der Partei. Er schreibt darüber in einem späteren Bericht:

„Bei kritischer Betrachtung der Praxis der NSDAP [kam ich] immer mehr zur Erkenntnis, dass hier das Wort ‚Sozialismus‘ nur ein Schlagwort war, mit dem die Massen eingefangen werden sollten. Für Sozialisten war kein Platz mehr in der NSDAP. Dies hat die spätere Geschichte der NSDAP bewiesen, besonders nach der Machtergreifung im Jahre 1933 hat die NSDAP keinen Hehl mehr daraus gemacht, dass der Begriff ‚Sozialismus‘ für sie nur als Schlagwort existiert hatte.

Ich habe mich am 12.4.1932 […] von der NSDAP offiziell getrennt. In Presseerklärungen habe ich sehr eindeutig den Grund meines Austritts dargelegt. Die vom Großkapital unterstützte NSDAP konnte niemals die wirklichen Interessen der Arbeitnehmer sowie des kleinen Mittelstandes vertreten. Für mich stand von diesem Tage an fest, dass ich den schärfsten Kampf gegen die NSDAP führen musste.“

Hitlerjugend

Die HJ besteht in Köln seit etwa 1926/27 und gehört zum Gau Rheinland, der von einem Herrn Maass als HJ-Gauleiter geführt wird, einem bereits älteren Mann, der bei den Bayerwerken arbeitet. Kayser wird 1928 dessen Stellvertreter und baut nun die HJ in Köln auf: "Wir sind dann übereingekommen, auch in Köln eine HJ zu gründen, zu bilden. Und ich habe mit Maass sehr gut zusammengearbeitet. Er war an und für sich also kein Jugendführer in dem Sinne, er war ein älterer Herr schon, aber im Gegensatz zum Ley und den Leuten, ein sehr ruhiger Mann. [...] Er hat dann praktisch gefördert, dass ich mich hauptsächlich um die Hitlerjugend bemühe, weil er es doch nicht mehr so konnte. Ich meine, er war schon damals älter und die Jungen haben ihn zwar akzeptiert, aber sie ließen, wie das in Jugendgruppen ist, wenn ein älter ist und nicht alles so mitmachen kann ..."

Um 1928 ist die HJ noch sehr schwach, die meisten Jugendlichen sind Mitglied in der bündischen Jugend. Unter Kayser entwickelt sich die HJ dann, anders als in anderen Teilen des Reiches, als "sozialistische Jugend" und führt "ganz offiziell" um 1927/28 Diskussionen sowohl mit Kommunisten als auch mit der sozialistischen Jugend – "was ja allgemein nicht üblich war".

1928 wird Kayser bei einem Überfall von Kommunisten schwer verletzt und anschließend nach Auseinandersetzungen mit Dr. Ley innerhalb der Partei "kaltgestellt", angeblich wegen der "Spätfolgen" des Unfalls. Während die Gauleitung Kayser gerne "beurlaubt" hätte, wird er jedoch von der Reichsleitung "auf Anordnung von Strasser" als Gebietsführer der HJ eingesetzt und erhält daher nach wie vor das Gehalt, das er zuvor als Gaugeschäftsführer bekommen hat.

Damit steigt Kayser am 1.1.1930 in der Hierarchie der HJ zum Führer für ganz Nordwestdeutschland auf. Seine Aufgaben liegen vor allem im politischen Bereich, für die Organisation ist ihm ein Stab von sieben bis acht Mann zugeordnet.

Zu der Zeit ist Gruber noch Reichsjugendführer, der "ziemlich links" in der Partei steht. Unter Kayser entwickelt sich der ganze Gau "langsam zum Strasser-Flügel". "Wir haben uns wirklich damals, wir Nationalsozialisten, uns als Sozialisten gefühlt und haben eine Taktik vertreten, die wurde von den bürgerlichen Kreisen zum Teil als marxistisch bezeichnet."

Um 1930 stellt die HJ noch kein einheitliches Bild dar. Es gibt Gaue, die sich an der SA orientieren und einen "militärischen Charakter" haben und solche, die wie diejenigen im Westen politisch geprägt sind. Damit stößt die HJ in Köln auf großes Interesse, insbesondere unter den jungen Arbeitern: "Das Interesse war schon groß. Wir hatten ja auch zum großen Teil hier in der Hitlerjugend Arbeitnehmerjugend. Wir haben ja auch schon von Anfang an eine gewisse Trennung zwischen dem Schülerbund und der Hitlerjugend hier durchgeführt. Nicht als Gegensätze, sondern weil ich persönlich auch der Überzeugung war, dass man da doch verschiedene Sprachen gebrauchen musste. Bei Jugendlichen, die auf der Schule sind und Jugendlichen, die im Betreib sind, dass man das nicht alles in einem Dings machen kann. Darum hatten wir ja auch hier im Westen an und für sich eine ganz gute Schülerbundjugend. [...] Wir haben dann vor allen Dingen die politischen und die wirtschaftspolitischen Fragen [...] behandelt. Also die Sprechabende gingen nicht drüber, das und jenes, sondern da wurde ein Thema gestellt und da wurde drüber diskutiert. Die Jugend wurde zur Diskussion herangeholt."

Nach wie vor gibt es auch Diskussionen mit den politischen Gegnern. Die HJ fordert die Kommunisten auf, in ihren Versammlungen zu sprechen und spricht auch selbst bei kommunistischen Versammlungen. Diskutiert wird dabei das jeweilige Parteiprogramm, und auch die Situation in Russland, die von nationalsozialistischer Seite scharf kritisiert wird, kommt zur Sprache. In der Regel verlaufen diese Veranstaltungen ohne tätliche Auseinandersetzungen, Störungen gehen höchstens von der SA aus, die jedoch derartige Treffen meist nicht besucht.

Im gesamten Gebiet Nord-West hat die HJ um die 1000 Mitglieder. Erst mit der Auflösung der bündischen Jugend im Zuge der Machtübernahme werden es mehr. Zuvor gibt es kaum Übertritte aus den Bünden in die HJ, da beide Gruppierungen ein unterschiedliches Profil haben. Es gibt zwar Kontakte, doch kann die HJ propagandistisch nicht auf die Gruppen einwirken. Die HJ ist eine politische Jugend, "wir wollten kein Wanderverein sein". Ein sehr hoher Anteil der Mitglieder ist arbeitslos. "hier in Köln [...] war [die Hitlerjugend] zum großen Teil Arbeitnehmerjugend, ob Arbeiter oder Angestelltenjugend. Und ein ganz großer Teil war arbeitslos. Denen ging es nicht gut. [...] Wir konnten sie [...] nicht groß unterstützen." Daher sind die Mitgliedsbeiträge mit etwa 50 Pfennig oder 1 Mark um 1930 auch sehr gering.

Die schlechte finanzielle Lage der frühen HJ-Mitglieder schlägt sich auch in der Uniformierung nieder. Sie besteht - wenn sie nicht gerade verboten sind - aus einfachen Braunhemden. Erst Ende 1931, Anfang 1932 verändert sich dies und es werden Abzeichen eingeführt. Vielfach ist die Uniformierung nicht einheitlich, zu den braunen Hemden, oft sind es Wanderhemden, werden kurze Hosen getragen, die aber unterschiedlich sind. Für einheitliche Kleidung fehlt den meisten Mitgliedern das Geld. "Also man hätte zu der Zeit keinen Unterschied machen können in der Kleidung, sagen wir mal, zwischen den Jungen von der Hitlerjugend und den Jungen vom Kommunistischen Jugendverband oder der Sozialistischen Jugend."

Im April 1932 tritt Kayser aus der NSDAP aus und erklärt daraufhin auch seinen Austritt aus der HJ: "Ich habe in der Versammlung der Hitlerjugend dann mitgeteilt: So, ich trete jetzt aus. War Hitlerjugend und die Hitlerjugendführer aus dem Bezirk, aus ganz Rheinland und Westfalen. Habe denen erklärt, ich trete aus aus dem und dem Grunde. Die Hitlerjugendführer wussten ja, worum es ging. Wir hatten ja vorher bzw. ich im Auftrage der Hitlerjugend an Hitler geschrieben, dass wir die Angst hätten, dass die Partei sich von dem sozialen Gesichtspunkt entfernen würde. Und die Antwort war so, da habe ich meinen Austritt erklärt." Grohé versucht, ihn von diesem Schritt abzubringen und bietet ihm Posten in der Partei oder der Arbeitsfront an, doch Kayser lehnt ab.

Hintergrund für Kaysers Austritt ist die Entwicklung der Gesamtpartei hinsichtlich der "sozialen Frage". Er schreibt deshalb auch einen Brief an Hitler, erhält jedoch keine Antwort.

Nach Kaysers Austritt, dem sich auch noch einige andere HJ-Führer anschließen, wird die HJ in Köln aufgelöst. Anstelle von Kayser übernimmt dann Hartmann Lauterbacher die Kölner HJ. Über die Vorfälle im Zusammenhang mit der Ablösung berichtet Kayser:

"Der Lauterbacher, der ist in Köln erschienen. Lauterbacher ist ja Österreicher und kam aus Hannover. Ist in Köln erschienen. Ich habe ja Bescheid gekriegt: Also von denen, die ausgetreten sind, geben sie die Sachen ihrem Nachfolger. Wer das war, wusste ich ja nicht. Und daher war ich noch im Büro. Und als Lauterbacher kam, habe ich gesagt: 'Ja, ich übergebe Ihnen nicht, Sie übernehmen ja die Hitlerjugend.' Und dann habe ich die Polizei rufen müssen, dass die Polizei uns Schutz gewährte, dass ich meine persönlichen Sachen aus dem Parteihaus entfernen konnte. Und ein paar Tage später, ein oder zwei tage später hat der Lauterbacher dann, da war ich überhaupt nicht bei, seinen Dienst angetreten und da waren Hitlerjungen, die haben ihn empfangen und haben gesagt: Ihr seid Lumpen! Die SA z.B., die ja die Häuser bewachte, die SA hat das gehört und die SA hat den herrn Lauterbacher damals verprügelt. Die kannten, die Hitlerjungen kannten die ja. Und die hatten mit denen irgendwie diskutiert und die SA, die die Wache da machte, haben den verprügelt."

Kayser kann mit Hilfe der Polizei seine persönlichen Sachen aus dem Parteihaus mitnehmen und das Haus verlassen. Mit dem Austritt aus HJ und Partei ist Kayser arbeitslos.

Mit Kayser treten noch etwa 30 weitere junge Leute aus der HJ aus. Gemeinsam bilden sie einen losen Zusammenschluss, der sich "Deutsche Jugendfront" nennt. Politisch aktiv ist die Gruppe allerdings nicht, man trifft sich nur zu gemeinsamen Wanderungen. "Da haben wir praktisch nicht viel gemacht. Ich habe [...] vor allem die Dinge zusammengehalten, damit [die] nicht irgendwo herumlaufen oder herumlungern, in irgendeiner Organisation landen." Zur Schwarzen Front gehen von diesen Leuten nur einige wenige.

Schwarze Front

Kayser selbst bleibt jedoch politisch aktiv und wechselt nun die Seiten. Sein Ziel ist es jetzt, den Nationalsozialismus zu bekämpfen:

"Der Sinn meines Kampfes gegen die NSDAP bestand darin:

1)     In der Öffentlichkeit die Verlogenheit der NSDAP-Propaganda anzuprangern und sie als das darzustellen, was sie war, nämlich eine letzten Endes im Interesse des Kapitals arbeitenden Organisation.

2)     In die Parteimitgliedschaft und besonders in die SA und HJ Unruhe und Misstrauen gegen die Führung zu tragen."

Dafür knüpft er zunächst Kontakte zum kommunistischen "Kampfbund gegen den Faschismus", für den er auch auf Versammlungen spricht. Mitglied wird er dort jedoch nicht, damit hätte er sich zu dem Zeitpunkt "unmöglich" gemacht:

"Damit stand für mich also fest, dass ich mich keiner der sozialistischen Parteien anschließen durfte. Hätte ich mich einer dieser Parteien angeschlossen, so hätte natürlich die nazistische Propaganda in übelster Weise mich als Verräter hingestellt. […]

Nach persönlicher Rücksprache mit führenden Mitglieder der KPD wie Hauptmann B. Römer und Richard Scheringer vom antifaschistischen Kampfbund haben diese meine Taktik als richtig anerkannt. Man hat mich als Diskussionsredner zu Versammlungen der Antifa eingeladen. Es war natürlich, dass viele Nationalsozialisten diese Versammlungen besuchten, um zu hören, was ich nun zu sagen hatte. Sie bekamen dann auf sachliche Weise zu hören, welch eine verlogene Politik seitens der NSDAP getrieben wurde. […] Als man aber die Auswirkung meiner Ausführungen spürte, verbot man den Besuch meiner Versammlungen. "

Seine Plattform für den politischen Kampf findet er dann im Dezember 1932, als es zu einem ersten Kontakt zur Schwarzen Front kommt, die im Rheinland von Erich Sander geführt wird. Die Organisation ist gut vernetzt, es gibt Kontakte zum Gewerkschaftsführer der Christlichen Gewerkschaft, Imbusch, und zum Vorsitzenden des Freidenkerverbandes, Max Sievers. Sievers ist für die Organisation besonders wichtig, da es ihm gelungen ist, Kapital nach Brüssel zu bringen, mit dem der illegale Kampf finanziert wird, darunter der Druck von Flugblättern.

Die Schwarze Front bildet politisch ein breites Spektrum ab. Mitglieder sind weniger frühere Nationalsozialisten als Vertreter anderer Verbände, darunter von der Christlich Sozialen Reichspartei.

In Köln ist die Schwarze Front in etwa 4 bis 5 kleinen Gruppen von 3 bis 5 Mann organisiert, von deren Existenz meist nur die Führung etwas weiß.

Nach der Machtübernahme arbeiteten die Gruppen illegal:

"Unter dem Namen der Schwarzen Front führten wir den illegalen Kampf gegen das Naziregime. Allerdings wurden im Rhein-Ruhrgebiet unter dieser Bezeichnung meist sozialistische Gruppen zusammengefasst wie die Sozialistische Arbeiterpartei, Arbeitersportler, der Deutsche Freidenkerverband, die Christlich-Soziale Reichspartei, die Deutsche Staatspartei, revolutionäre nationale Sozialisten sowie eine Gruppe linker Reichswehroffiziere. Die Methoden des Kampfes wurden den jeweiligen Verhältnissen angepasst. […]

Wir haben während des illegalen Kampfes nicht nur eine sozialistische Front im Rhein-Ruhrgebiet geschaffen, sondern auch Verbindungen zwischen Gruppen im Ausland hergestellt. So konnten auf verschiedenen Wegen zahlreiche Zeitschriften und Bücher aus dem Ausland nach Deutschland geschafft werden. Außerdem hatte ich persönlich Beziehungen zu führenden Parteimitgliedern, die auf unsere Anweisung in der Partei blieben und wichtige Informationen an uns weiterleiteten. Diese Informationen benutzen wir bei Herstellung von Flugblättern sowie leiteten diese an unsere Stellen im Ausland weiter."

Die Schriften werden heimlich im Rundfunkverlag gedruckt, dessen Direktor ebenfalls "Schwarzfrontler" ist und die Organisation finanziell stark unterstützt. Kayser und Erich Sander verfassen Flugblätter und lassen sie in Brüssel drucken, etwa eins pro Monat in einer Auflage von 500 bis 1000 Stück.Die Flugblätter werden persönlich in Briefkästen oder Häuser verteilt, meist nachts mit dem Auto.

Durch einen Spitzel, Bechtold, der jahrelang Mitglied der Schwarzen Front ist, jedoch in Wirklichkeit SS-Sturmführer ist und regelmäßig dem SS-Gruppenführer und Polizeipräsidenten von Düsseldorf, Weitzel, berichtet, fliegt die Organisation schließlich auf. Bei einer Versammlung in einem Kölner Lokal kommt eine Abordnung der Düsseldorfer Gestapo und nimmt die Leute fest. Insgesamt sind in Köln sieben Personen betroffen. Auch im Ruhrgebiet gibt es Verhaftungen, da der Spitzel aus Essen stammt und über die entsprechenden Informationen verfügt:

"In November 1935 schlug die Gestapo zu und verhaftete meine Freunde und mich sowie einige Reichswehroffiziere. Allerdings hatte der Spitzel der Gestapo nur melden können, dass wir eine illegale Gruppe der Schwarzen Front seien. Weder die Gestapo noch später die Justizbehörden konnten nachweisen, dass diese Schwarze Front eine getarnte Zusammenfassung sozialistischer gruppen war. Man bezeichnete wohl diese Gruppe als eine der gefährlichsten Gruppen. Dies aber hauptsächlich deshalb, weil die von uns verbreiteten Flugschriften Tatsachen aus dem Nazistaat enthielten, die die Öffentlichkeit nicht erfahren durfte. Hätte man den wirklichen Charakter dieser Gruppe erkannt, so wären wahrscheinlich mehrere Todesurteil fällig gewesen."

Der Prozess findet am Volksgerichtshof in Berlin statt. Kayser wird zu 15 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt und kommt zunächst nach Moabit, 1937 bis 1945 dann in strenge Einzelhaft nach Siegburg. Im Januar 1945 wird er nach Bayreuth transportiert, wo er bis April in Haft ist, anschließend soll er, obgleich nicht zum Tode verurteilt, in Stadelheim hingerichtet werden, wird aber in Amberg von den Amerikanern befreit.

Nachkriegszeit

1945 wird Kayser von den Amerikanern in Amberg befreit. Nach Durchsicht seiner Akte wird er durch die CIA als Gegner des Nationalsozialismus eingestuft und erhält von den Amerikanern den Auftrag, die Haftanstalt in Amberg zu leiten. Er geht dann jedoch recht schnell nach Köln zurück und fängt bei der Firma Pick an, bei der er 1935 schon einmal beschäftigt war.

Seine Anträge auf Wiedergutmachung, mit denen er bis vors Bundesverfassungsgericht geht, werden alle abgelehnt. Hintergrund ist ein Gesetz, demzufolge ehemalige Parteimitglieder von Wiedergutmachungszahlungen ausgenommen sind.

Quelle: Westdeutscher Beobachter, 13.7.1933

zuletzt bearbeitet am: 14.09.2019