Kinderlandverschickung (KLV)

„Kinderlandverschickung" war schon vor 1933 die Bezeichnung für gesundheitlich begründete Ferienreisen von Stadtkindern in ländliche Gebiete. Solche Verschickungen wurden auch nach der Machtübernahme sowohl von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) als auch - wenn auch in eingeschränkter Form - von kirchlicher Seite, etwa der Caritas", weiter durchgeführt.

Hiervon deutlich zu unterscheiden ist die „Erweiterte Kinderlandverschickung", die auf Weisung Adolf Hitlers seit September 1940 vom Reichsjugendführer Baldur von Schirach organisiert und geleitet wurde. Nunmehr trug die Hitlerjugend die inhaltliche Verantwortung und führte die Maßnahme in Zusammenarbeit mit der NSV und den Schulen durch. Der Terminus „Erweiterte Kinderlandverschickung" sollte suggerieren, dass es sich bei den massenhaften Evakuierungen aus den seit 1943 verschärft von Bomben bedrohten Städten lediglich um eine Ausweitung bereits vorher bestehender Erholungsmaßnahmen handeln würde.

Die eigentliche Notlage wurde in eine ideologische Tugend umgewandelt: Die Kinder waren vor den Kriegsauswirkungen geschützt und getrennt von Elternhaus und Kirche der politischen Beeinflussung und dem paramilitärischen Drill durch die HJ ausgeliefert. Das galt natürlich in erster Linie für die 10-14jährigen Kinder, die in KLV-Lagern untergebracht wurden, während die 6-10jährigen in „Familienpflegestellen" Unterkunft fanden. Seit Mitte 1943, verstärkt dann 1944 kam es zur Evakuierung ganzer Schulen.

Die Lagerleitung und die Organisation des Schulunterrichts lag zumeist in den Händen von Lehrern, während die HJ und hier insbesondere die „Lagermannschaftsführer" die gesamte Freizeit der Kinder kontrollierten und - nicht zuletzt unter dem Aspekt der Wehrerziehung - bestimmten. Insgesamt galt auch in den KLV-Lagern die HJ-Maxime „Jugend führt Jugend".

Insgesamt wurden rund 5 Millionen Kinder und Jugendliche im Laufe des Krieges im Rahmen der KLV in fremde Familien oder eins der etwa 5.000 Lager evakuiert. Sie lebten teilweise jahrelang in Schullandheimen, Jugendherbergen, Zeltlagern, Pensionen, Hotels, Klöstern usw. Nachdem die Kinderlandverschickung Anfang 1944 ihren Höhepunkt erreicht hatte, begannen Mitte desselben Jahres die Rückführungen, die sich bis in die ersten Nachkriegsmonate hinzogen, vielfach gerieten die Kinder bei Kriegsende zwischen die Fronten, oft nach dem Flucht des Betreuungspersonals.