Der „Don Bosco-Zirkel“ - „Ein Feuerherd zur Weckung glühenden Interesses für das Reich Gottes“

Während das „Knabenheim" fast ausschließlich von schulpflichtigen Jungen bis etwa 14 Jahren aus dem Borbecker Arbeitermilieu besucht wurde, arbeiteten die Salesianer mit älteren Jugendlichen hauptsächlich im „Don Bosco-Zirkel". Hierbei handelte es sich um das 1923 ins Leben gerufene „Jugendheim", in dem sich in katholischen Jugendverbänden organisierte Heranwachsende zu Gruppenabenden und gemeinsamer Freizeitgestaltung trafen. Das Heim sollte, so formulierte es sein Leiter Pater Kremer 1932 in einer Werbebroschüre, zwar „ein Feuerherd zur Weckung glühenden Interesses für das Reich Gottes" und eine „Keimzelle hervorquellender Kraft jungkatholischer Aktion" sein, verstand sich dabei aber vor allem als Ort der Jugend, die nicht mehr wenig motiviert den Anweisungen eines geistlichen Leiters folgen, sondern aus „eigener Triebkraft" funktionieren sollte. Der Pater verglich den „Don Bosco-Zirkel" mit einem „Uhrwerk", dessen „Rädchen harmonisch ineinandergreifen und dem ganzen Werk Bewegung und Richtung geben". Die so erstrebte „brüderliche Harmonie" erforderte den Abbau von sozialen Schranken und die Beseitigung von „Sonderzwecken": „Ob Schlosserlehrling oder Student, ob Arbeiterjunge oder Studienratssohn, ob Sportler oder Wanderer, ob Neudeutscher oder Sturmschärler - alle sind geeint in einem Gedanken: Für Christus und sein Reich!"

Ein Beobachter beschrieb Zusammensetzung und Alltag im „Don Bosco-Zirkel 1932 folgendermaßen: „Die Sturmschar-Gruppen erfassen viele junge Leute. Ältere Schüler höherer Lehranstalten sind in einer Neudeutschen Gruppe zusammengeschlossen. Für die aus den Mittelschulen Entlassenen besteht eine eigene Neudeutsche Gruppe. Viele werden aber auch von den Sport- und Musikabteilungen aufgenommen. Alle diese Gruppen haben ihre eigenen Heimzimmer, besorgen selbst ihren Heimdienst und haben jede Woche wenigstens einen Heimabend zur Pflege ihrer Interessen, zum Austausch ihrer Erlebnisse, zur Schulung für das Leben wie zur Geistes- und Herzensbildung. Pater Präses (Heinrich Kremer) schult die Jungführer, geht aber auch ab und zu in jede einzelne Gruppe und hält kleine Referate mit anschließender Diskussion. Die Jungführer wiederum sorgen dafür, dass die Neuen mit der Zeit Fortschritte machen und sich der großen Familie würdig eingliedern. Gruppenführer und Präses, Gruppen und Gruppenführer haben ständig Fühlung miteinander. An den Tagen, an welchen kein Gruppenabend ist, können sich die Jungen Leute im Jugendheim nach Lust und Liebe beschäftigen. Schach, Skat, Tischtennis und Billard stehen den jungen Menschen zur Verfügung. Zwischen all diesem ungezwungenen Treiben gehen der Präses und ein Laienbruder einher."

Zum Zeitpunkt dieser Beobachtungen hatte der „Don Bosco-Zirkel" mit 307 Mitgliedern seinen höchsten Mitgliederstand erreicht. Seit 1926, dem ersten Jahr für das entsprechende Zahlen vorliegen, war von zunächst 57 Jugendlichen eine stete Zunahme zu verzeichnen, wobei nach Darstellung Pater Kremers zunächst jedoch „grenzenlose Unbeständigkeit" das kennzeichnende Element war. So standen 1928 bei einem Mitgliederstand von 100 den 98 Neuanmeldungen im Zirkel immerhin 93 Abmeldungen gegenüber. Die folgenden durch die Wirtschaftskrise geprägten Jahre brachten jedoch eine innere Konsolidierung. Seit 1929 stieg die Zahl von 174 (1929) über 213 auf 242 (1931), um dann ab 1933 zurückzugehen. Laut der letzten überlieferten Angabe umfasste der „Don Bosco-Zirkel" 1936 noch 95 Mitglieder.

An dem angesprochenen Heim, das sowohl die Gruppenräume als auch die Säle zur Freizeitgestaltung beherbergte, wurde über Jahre gebaut; auch Mitte 1932 war es noch nicht vollständig fertig gestellt. Pater Kremer beschrieb es folgendermaßen: „Eine einstöckige, breite Halle umfasst zu ebener Erde die beiden große Unterhaltungsspiel-Säle, um die sich je 4 Heimzimmer gruppieren. Eine Mittelmauer trennt die Jungen (14-18 Jahre) von den Jungmännern (18 Jahre und aufwärts). Ein ruhig gelegener großer Raum dient als Vortragssaal, zur Zusammenfassung mehrerer Gruppen (einer Schar) für Christuskreise, Einkehrtage, Exerzitien, evtl. zur Kapelle für Gemeinschaftsmessen."

Den Patres war aber durchaus klar: „Das Heim allein tut's nicht." Es musste mit Leben gefüllt werden, weshalb die Salesianer - unter der Maxime „Frohes Vereinsleben bindet" - ein aufwändiges und differenziertes Angebot bereithielten: „Musik, Theater, Festfeiern. Alljährlich werden die Vereinsmeisterschaften ausgetragen in Billard, Schach, Tischtennis, Leichtathletik." Zentrales Element des „Don Bosco-Zirkels" waren jedoch die Heimabende, die zunächst der „Pflege der Gruppengemeinschaft" dienten und ebenfalls in ihrer großen „Mannigfaltigkeit" (Spiel-, Scherz-, Spuk-, Back-, Kochabende Bildungs-, literarische, volkswirtschaftliche, religiöse Abende) reichlich Abwechslung und Anreiz boten. Zudem wohnte jeden dieser Abende auch ein - oft kaum spürbares - religiöses Element inne, wie ohnehin den im Heim tätigen Salesianern als „jugendliebenden und verstehenden Priestern" mit Blick auf das langfristig angestrebte Ziel naturgemäß ein hoher Stellenwert zukam. „Vertrauen lässt sich nicht erbetteln", stellte Pater Kremer in dieser Hinsicht klar und forderte seine Mitbrüder dazu auf, in erster Linie das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen, das er als „eine der wichtigsten Vorbedingungen für jede und die heutzutage so notwendige individuelle Arbeit an der persönlichen Gestaltung des Einzelnen" definierte. Das war der eigentliche Kern der gesamten Arbeit im „Don Bosco-Zirkel", denn: „Ein junger Mensch, der die ganze Liebe seines priesterlichen Führers erfährt, geht nicht so leicht verloren." - Heinrich Kremer wird zu diesem Zeitpunkt - im Juni 1932 - sicherlich nicht gewusst, aber vielleicht schon geahnt haben, dass dieses Vertrauensverhältnis zwischen Jugendlichen und Geistlichen schon sehr bald auf eine harte Probe gestellt werden würde.