Bündische Jugend - Einleitendes

Als sich im Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner 14 jugendbewegte, zumeist studentische und von Reformpädagogik und Lebensreform inspirierte Bünde in der lockeren Dachorganisation der „Freideutschen Jugend" zusammenschlossen, stellte das in der Entwicklung der bürgerlichen Jugendbewegung eine Zäsur dar. Die Gruppierung sagte sich von der autoritären wilhelminischen Gesellschaft los, was sie in der berühmten „Meißner-Formel" zum Ausdruck brachte: „Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein." Gefordert wurde nunmehr eine klassenübergreifende Solidarität, wodurch der Mythos der „Volksgemeinschaft" - wenn auch natürlich nicht im späteren Sinn der NS-Ideologie - zum Leitbild wurde.

Ab Ende 1917 bildeten sich innerhalb der freideutschen Bewegung drei Richtungen heraus: eine Rechte, die das Spektrum von national und sozial Eingestellten bis zu den Völkischen abdeckte, eine Linke, die mit der sozialistischen Arbeiterbewegung sympathisierte, und eine Mitte, die von den unpolitisch Eingestellten bis zu den Anhängern der bürgerlich-republikanischen Parteien reichte. Seit Ostern 1919 zerbrach die von Beginn an brüchige Einheit jedoch zusehends und der „Tag von Hofgeismar" markierte im September 1920 das Ende der Freideutschen Jugend.[1]

Danach entwickelte sich während der Weimarer Jahre ein vielseitiges Gemeinschaftsleben der Jugend, dessen Spektrum von Vereinigungen, die sich in der Tradition der (staatlichen) Jugendpflege sahen und in der Regel eng an gesellschaftliche Institutionen gebunden waren, bis hin zu Gruppierungen reichte, die der Eigeninitiative Jugendlicher entsprangen und mehr oder weniger unabhängig von der Erwachsenenwelt agierten - und argwöhnisch von ihr beobachtet wurden.

Die Jahre bis 1933 stellten den Höhepunkt der Ausbreitung solch verschiedener Formen der Jugendgemeinschaften dar. So war 1926 fast jeder zweite Jugendliche Mitglied in einer jener Organisationen, die sich im „Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände" (RddJ) zusammengefunden hatten. Mit 37 Prozent gehörte mehr als ein Drittel der Jugendlichen einem Sportverband und weitere knapp 29 Prozent einem konfessionellen Verband an. Die etwa 20 Verbände der bündischen Jugend erfassten dagegen mit ihren rund 51.000 Mitgliedern nur gut ein Prozent der verbandlich organisierten Jugendlichen.[2] Letztlich ist die Zahl der Bünde in der Weimarer Zeit aber ebenso schwer genauer zu bestimmen wie die Zahl ihrer Mitglieder. Neugründungen, Abspaltungen und Vereinigungen gepaart mit einer erheblichen Mitgliederfluktuation machen es unmöglich, verlässliche Werte zu ermitteln. Die für 1927 vom Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände genannte Gesamtzahl von 30.000 dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu niedrig liegen, während neuere Schätzungen - allerdings unter Einbeziehung der konfessionellen, berufsständischen und politischen Bünde - von 90.000 Mitgliedern ausgehen. Gegenüber einer Gesamtzahl von rund vier Millionen insgesamt organisierter Jugendlicher in Deutschland stellten die Bündischen aber in jedem Fall lediglich eine verschwindende - allerdings in Vielem stilbildende - Minderheit dar.[3]

Der Begriff „Bündische Jugend" kam etwa 1923 als Sammelbegriff für partei- und kirchenunabhängige Jugendbünde auf. Der gemeinsame Nenner der ihnen angehörenden Jugendlichen, die vorwiegend aus bürgerlichen Schichten stammten, war der Gedanke der selbstbestimmten jugendlichen Erziehungsgemeinschaft („Jugend erzieht Jugend"). Gemeinsam hatten die Jugendbünde zudem Aktions- und Ausdrucksformen wie Wanderfahrten, Lager, gemeinsames Musizieren sowie eine ausgeprägte Heimat- und Naturnähe, die oft gepaart war mit einer Ablehnung der bürgerlichen Konsumkultur und Zwänge.[4] Nicht zuletzt hierher rührte auch die besondere Anziehungskraft der so heterogenen Bündischen. Dabei legten sich deren Bünde in aller Regel parteipolitisch nicht fest, und entgegen der landläufigen Meinung scheinen nicht einmal jene eindeutig dominiert zu haben, die dem rechten oder gar rechtsextremen Lager zuneigten. Und jene, die republiktreu oder gar republikanisch orientiert waren - hierzu zählten etwa die Deutsche Freischar und der Leuchtenburgkreis -, stellten auch nicht lediglich eine kleine Minderheit dar. Allerdings war es schon so, dass die Bündische Jugend größtenteils eher auf Seiten der „Konservativen Revolution" stand. [5]

Aus heutiger Sicht erscheint es sinnvoll, die Bündische Jugend der Weimarer Zeit in zwei Gruppen zu unterteilen: Auf der einen Seite gab es die traditionellen, auf der anderen die so genannte jungenschaftlichen Bünde, die erst in den letzten Jahren der Republik vermehrt in Erscheinung traten. Als traditionelle Bünde sind vor allem die größeren Gruppen wie die „Freischar junger Nation", der „Jungnationale Bund" die „Adler und Falken" und allen voran die „Deutsche Freischar" zu definieren. Vor allem diese Bünde waren es, die sich nach der NS-Machtübernahme kurzzeitig unter Admiral Trotha im „Großdeutschen Bund" vereinigten und bereits im Juni 1933 geschlossen in die HJ übertraten. Als bekanntester jungenschaftlicher Bund ist die Deutsche Jungenschaft 1.11. (dj.1.11) zu nennen, die sich Ende des Jahres 1929 gründete, schnell großen Zulauf hatte und weitere Bünde, die sich am neuen Stil der dj.1.11 orientierten, stark beeinflusste. Die jungenschaftlichen Bünde zeigten sich gegenüber den anti-bündischen Maßnahmen des NS-Staates tendenziell etwas widerstandsfähiger.[6]

Die folgenden Abschnitte geben nur einen kleinen Einblick in das vielfältige und daher kaum fassbare „bündische Leben" der Weimarer Jahre. Dabei werden einzelne Bünde beispielhaft vorgestellt und deren jeweiliges Verhältnis zur NS-Ideologie betrachtet.

Fußnoten

[1] Vgl. Krabbe, Kritische Anhänger, S. 9, 14f. und 18
[2] Vgl. Reulecke, Jugend, S. 99f.
[3] Vgl. Krabbe, Kritische Anhänger, S. 22
[4] Nach Lexikon des deutschen historischen Museums Berlin (Internet: www.dhm.de).
[5] So Krabbe, Kritische Anhänger, S. 9 und 14f.
[6] Vgl. Hellfeld, Bündische Jugend, S. 11f.

zuletzt bearbeitet am: 18.04.2016