„Ziel ist eine gesunde, leistungsfähige und wehrfähige Jugend“ – Die Wehrertüchtigung in Jungvolk und HJ

Die Wehrertüchtigung der HJ war eine vormilitärische Ausbildung der männlichen Jugendlichen, bei der die Jungen, parallel zu einer intensiven sportlichen Betätigung, eine Ausbildung im Schießen und in der Orientierung im Gelände erhielten. Dieser Teil des HJ-Dienstes fand in der Regel am Wochenende statt, meist samstags. Zusätzlich erhielten die Jungen auf den Heimabenden theoretischen Unterricht und lernten beispielsweise den Umgang mit Karte und Kompass. Hier wurden sie auch weltanschaulich geschult, um sie sowohl körperlich als auch geistig auf den Wehrdienst vorzubereiten.

Darüber hinaus entstanden mit der Marine-HJ, der Flieger-HJ, der Motor-HJ und der Nachrichten-HJ Sonderformationen, deren Aufgabe unter anderem die „Nachwuchsschulung für die Sonderwaffen der Wehrmacht" war.[1] Bis zum Krieg fand der Dienst unter der Leitung von HJ-Führern statt, die in der Regel noch keine Soldaten gewesen waren. Gleichwohl versuchte die Wehrmacht von Anfang an, Einfluss auf die Ertüchtigung der Jugend zu nehmen, und es gelang ihr dabei zunehmend, ihre Ansprüche in der Jugenderziehung geltend zu machen, bis es schließlich kurz vor Kriegsbeginn und dann vor allem in den Wehrertüchtigungslagern in den Kriegsjahren verstärkt zu Schulungslehrgängen der HJ unter Teilnahme von Offizieren der Wehrmacht kam.

Beim Aufbau der Wehrertüchtigung konnte die HJ sowohl auf die weit verbreitete Soldatenbegeisterung bei den Jugendlichen zurückgreifen als auch auf eine breite gesellschaftliche Zustimmung gegenüber der Förderung des „Wehrgedankens". Vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges, den Auseinandersetzungen um den neuen Grenzverlauf nach dem Versailler Vertrag und dem Wunsch nach einem Wiedererstarken der Nation gab es bereits seit den 1920er Jahren verschiedene Bestrebungen, die Jugendlichen vormilitärisch auszubilden; die Anfänge der Jugendmilitarisierung lassen sich bis ins Kaiserreich zurückverfolgen.

Darunter befand sich unter anderem das Reichskuratorium für Jugendertüchtigung, eine Initiative von Reichspräsident von Hindenburg, und die Geländesport-Verbände-Arbeitsgemeinschaft, die sich ab 1932 Deutscher Jungendienst nannte, und in der seit November 1932 auch die HJ Mitglied war. Der Deutsche Jungendienst wurde 1933 von der HJ aufgelöst, sein gleichnamiges Handbuch jedoch für den HJ-Dienst übernommen. Auch als ab 1934 eigene Ausbildungsvorschriften für die HJ erschienen, wurde das Buch in „Pimpf im Dienst" noch als Vorläufer erwähnt. In dem Buch findet man sämtliche Aufgabengebiete, die später zum Dienst von DJ und HJ gehörten: Ordnungsübungen, Geländedienst, Leibesübungen, Zeltlager, Kleinkaliberschießen, Heimabend etc. Ziel des Dienstes sollte es sein, die Jugendlichen auf den Einsatz ihres Lebens - „für den Bestand des Reiches, wenn die Stunde den Kampf verlangt"[2] - vorzubereiten - eine Stoßrichtung, die in den Folgejahren beibehalten wurde. So wurde es auch im Handbuch für die HJ, „HJ im Dienst", als Ziel bezeichnet, eine „gesunde, leistungsfähige und wehrfähige Jugend" zu erziehen.[3]

Die HJ griff bei ihrer Wehrertüchtigung also auf die Vorarbeit zahlreicher anderer Verbände zurück und initiierte keine grundsätzlichen Neuerungen. Sie nutzte Formen, die den Interessen vieler Jugendlicher entgegenkam, so wie Sport, Geländespiele und Schießen, die sich bereits vor 1933 zu einer bewährten Freizeitgestaltung vieler Verbände entwickelt hatten. Neu war allerdings, dass die übernommene Praxis politisiert, vereinheitlicht und ihrer Freiwilligkeit beraubt wurde. So begann eine zentral gesteuerte Jugenderziehung, die bei den männlichen Jugendlichen den „politischen Soldaten" zum Leitbild hatte.

Bei der Wehrertüchtigung sollten nicht Waffentechnik und militärischer Drill im Vordergrund stehen - obwohl es den Drill, sogar das „Schleifen" in der Praxis durchaus gab -, sondern Mittel, mit denen die Jungen für das Soldatische begeistert werden konnten. Das war eine möglicherweise sehr viel nachhaltigere Art der Ausbildung, denn sie bereitete die Jungen nicht nur körperlich und wissensmäßig auf die Wehrmacht vor, sondern vor allem auch mental, was im Begriff der „Wehrfreudigkeit" zum Ausdruck kam. Gleichzeitig wurden die negativen Facetten des Soldatentums - zumindest vor dem Krieg - weitgehend ausgeklammert, so dass den Jugendlichen im Grunde ein völlig falsches und idealisiertes Bild vom Soldatsein vermittelt wurde.

In den Ausbildungsvorschriften der HJ „Pimpf im Dienst" und „HJ im Dienst" wurde genau umrissen, woraus die „körperliche Ertüchtigung" zu bestehen habe, nämlich aus den Leibesübungen (d.h. Sport), dem Schießen und dem Geländesport. Im Einzelnen waren dies folgende Bereiche:

-- Leibesübungen (Spiele, Gymnastik, Turnen, Nahkampfübungen, Schwimmen und Leichtathletik),
-- Luftgewehr- bzw. Kleinkaliberschießen (Waffenlehre, Schießlehre, Zielübungen, Anschlagsarten, Laden, Sichern, Schulschießen, Gesetzliche Bestimmungen),
-- Ordnungsübungen (unter anderem Antrittsformen, Marschordnung, Gruß, Meldung, Hissen und Einholen der Fahne),
-- Geländeausbildung (unter anderem Geländebeschreibung, Kartenkunde, Entfernungsschätzen, Meldewesen, Geländebeurteilung und -ausnutzung),
-- Geländespiele bzw. -übungen,
-- Marsch, Fahrt und Lager sowie
-- Erste Hilfe.[4]

Überprüft wurde der Leistungsstand durch die Prüfungen, die im Rahmen des HJ-Leistungsabzeichens abzulegen waren.

Mit Kriegsbeginn wurde die Wehrertüchtigung der männlichen Jugendlichen nochmals intensiviert. Bereits wenige Wochen nach dem 1. September 1939 wurde für die 16-bis 18-jährigen Hitlerjungen eine zwölfmonatige Ausbildung im Kleinkaliberschießen und Geländedienst als Vorbereitung für den Dienst in der Wehrmacht im Rahmen des allgemeinen HJ-Dienstes obligatorisch. Hier mussten sie an zwei Wochenenden im Monat einen genau festgelegten Ausbildungsplan durchlaufen, der mit dem Erwerb des „K-Scheines der Hitler-Jugend" beendet wurde. Dafür wurde am 15. Oktober 1939 von der Reichsjugendführung die Ausbildungsvorschrift „Kriegsausbildung der Hitler-Jugend im Schieß- und Geländedienst" herausgegeben.[5] Als einer der Leitsätze wurde hier formuliert, „dass der Endzweck dieser Ausbildung die Vorbereitung für den Krieg ist."[6]

Fußnoten

[1] Vgl. Organisationsbuch der NSDAP, 1936, S. 448
[2] Deutscher Jungendienst, 1933, S. 6
[3] HJ. Im Dienst, 1940, S. 27
[4] Vgl. Pimpf im Dienst, 1938 und HJ. Im Dienst, 1940
[5] Kriegsausbildung der Hitler-Jugend im Schieß- und Geländedienst, 1939
[6] Ebd., S. 7