Reichsarbeitsdienst 1943/44 - „Die waren froh, wenn sie ein blaues Kleid und ein rotes Kopftuch auf dem Hof hatten“

Ihr Abitur kann Helga Jungk 1943 weitgehend ungestört von Kriegsereignissen an der Luisenschule ablegen. Im folgenden Winter wird sie zum Reichsarbeitsdienst nach Hinterpommern eingezogen, was ihr durchaus gelegen kommt, da sie so dem Bombenhagel auf Essen zumindest zeitweise entkommen kann.

Helga wird mit anderen Mädchen in einem Lager untergebracht, wo sie in Zwölfergruppen auf ehemalige Zollhäuser verteilt sind. Zunächst müssen sie diese Unterkünfte für die Umnutzung als Lager herrichten und werden anschließend als Helferinnen zu den Bauern in der Umgebung geschickt. „Die waren froh, wenn sie ein blaues Kleid und ein rotes Kopftuch auf dem Hof hatten", erinnert sich Helga Jungk heute an ihre damalige Aufmachung und erläutert, dass der Status als „Arbeitsmaid" etwas Besonderes gewesen sei. Denn im Unterschied zu anderen Knechten und Mägden auf den pommerschen Höfen bekommt die Arbeitsmaid einen eigenen Teller und wird „sehr hofiert". Dass der bäuerliche Lebensstil in diesen Landstrichen sehr schlicht ist, weiß sie bereits durch ein Heftchen des VDA, des Volksbunds für das Deutschtum im Ausland, das sie vor ihrem Dienstantritt zur Information und Vorbereitung auf ihren Dienst bekommen hat.

 

Ein RAD-Tag beginnt regelmäßig mit Frühsport, gefolgt vom Fahnenappell. Anschließend trinken die Mädchen Kaffee und singen eine Stunde gemeinsam, bis sie mit den Fahrrädern in den Außendienst fahren. „Ein Teil blieb drin, musste ja nun auch gekocht werden und alles. Und nachmittags kamen wir wieder." Dass das Zusammenleben der etwa fünfzig jungen Frauen sich angenehm gestaltet, liegt sicher auch an der Lagerführerin, denn das ist „eine sehr Nette". Überhaupt behält Helga Jungk ihren Einsatz in Hinterpommern ihr Leben lang als „schöne Zeit in Erinnerung".

 

Wenn heute manchmal gesagt würde, so ärgert sich Helgas Jungk, dass der Reichsarbeitsdienst eine NS-Einrichtung gewesen sei, um die Arbeitsmaiden dafür zu instrumentalisieren, dem „Führer ein Kind zu schenken", so treffe das nicht zu. Sie stellt klar, dass in ihrem Lager sehr auf Anstand geachtet wurde. Die Mädchen hätten beispielsweise immer einen „Regelkalender" führen müssen und „unschickliches Verhalten" sei sanktioniert worden. „Wir hatten zwei dabei, die hatten sich mit der Dorfjugend eingelassen, die wurden nach Hause geschickt."

 

Nach dem offiziellen Ende des Reichsarbeitsdienstes wird die „Lagermannschaft" von Hinterpommern nach Berlin geschickt, um als Schaffnerinnen bei der dortigen Straßenbahn versetzt den neu eingeführten halbjährigen „Kriegshilfsdienst" abzuleisten. Nur eine bleibt zurück: Da Helga aus einem hochgradig luftkriegsgefährdeten Gebiet kommt und jetzt nicht - aus dem Regen in die Traufe -  in ein anderes hineingeraten möchte, verpflichtet sie sich freiwillig für ein weiteres halbes Jahr beim Reichsarbeitsdienst. Als bald darauf neue Mädchen ins Lager kommen, übernimmt sie als „Längerdienende" -später heißt es „Kameradschaftsälteste" - eine kleine Führungsrolle. Dieser „Aufstieg" hat auch finanzielle Vorteile für Helga Jungk, sie erhält nun 40 Pfennig pro Tag als „Gehalt".

Nach Ende ihrer RAD-Zeit möchte Helga ab Sommer 1944 eigentlich studieren. Wegen des großen kriegsbedingten Arbeitskräftemangels wird sie aber stattdessen sofort zum Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie - das heißt in ihrem Fall bei Krupp - verpflichtet. Zu Anfang dieser ungewollten und ungewohnten Tätigkeit kann sie noch mit der Straßenbahn ins Werk fahren, später muss sie jeden Tag einen einstündigen Fußweg absolvieren. Von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends muss sie in einem Saal mit zwanzig anderen Mädchen arbeiten, erhält aber aufgrund ihres Abiturs die privilegierte Aufgabe, elektromagnetische Messungen durchzuführen.

Ihr bleibt dabei nicht verborgen, dass in einem Keller des Kruppschen Fabrikgebäudes auch Zwangsarbeiter schuften müssen.