Kinderlandverschickung - „Dann ist ja doch nicht bis zum Ende des Jahres der Krieg aus.“

1941 nimmt Hans mit seiner Klasse an der Kinderlandverschickung (KLV) nach Schlüsselburg im „Protektorat Böhmen und Mähren" teil. „Das war eine ganz schlimme Zeit", erinnert er sich heute. Die Klasse fährt zwar geschlossen dorthin, aber keiner der gewohnten Lehrer begleitet die Jungen. Vielmehr sind ihre neuen Betreuer und Lehrer „ganz schreckliche Nazis" von der Essener Luisenschule. Der Lagerleiter ist ein SS-Mann, der nur in Uniform herumläuft und sein Stellvertreter ein promovierter „Mini-Goebbels", der als Strafe zum Beispiel gern den Wehrmachtsbericht zum Auswendiglernen verteilt.

„Wir wohnten in einem wunderschönen Schloss, ein herrliches Schloss", berichtet Hans Währisch über die Unterbringung, aber die sanitären Anlagen seien überhaupt nicht für drei oder vier Klassen ausgelegt gewesen. „Die Folge war, dass das schon nach einer Woche alles schwamm." Die Jungen werden von tschechischem Personal bedient und, da im Schloss selbst kein Raum dafür ist, in der Schule des Ortes unterrichtet, die zu diesem Zweck einfach für die landverschickten deutschen Kinder beschlagnahmt worden ist.

Der Tagesablauf in der KLV ist straff durchorganisiert und für die Jungen sehr anstrengend. Die Nachricht vom Angriff auf die Sowjetunion erreicht sie im Juni 1941 über die Lautsprecher auf dem Schulhof. „Und dann hat's uns natürlich geblubbert, weil wir dachten, jetzt ist ja doch nicht bis zum Ende des Jahres der Krieg aus."

An den freien Nachmittagen gehen die Jungen in die benachbarte Kreisstadt und wundern sich vor allem, was es hier im „Reichsprotektorat" noch alles zu kaufen gibt, während im Reichsgebiet selbst schon alles rationiert ist. „Da konnten Sie noch Persil kaufen, bei uns gab's Einheitswaschmittel." Manche der Jungen schicken ihren Eltern auch Pakete mit solchen zuhause begehrten Waren.

Die Post wird in beide Richtungen strengstens zensiert, was vor allem auf die akribische Überwachungsarbeit des Lagerleiters zurückzuführen ist. „Es ging keine Post rein, die nicht zensiert worden war von dem stellvertretenden Lagerleiter. Und wehe, wenn wir mal beim Ausgang in einen Briefkasten was warfen, das kam zurück ins KLV-Lager, und dann war die Hölle los." Einmal wird Hans morgens beim Morgenappell wegen eines Briefes an seine Eltern, in dem er ihnen auch von seinem Heimweh geschrieben hat, zum stellvertretenden Lagerleiter zitiert, der ihm ausrichtet, der Lagerleiter habe gesagt, so gehe das nicht und er müsse den Brief neu schreiben. In den Briefen, die die Jungen aus der Heimat erreichen, sind zudem oft Teile geschwärzt, so etwa Passagen über den Luftkrieg. „So waren wir kontrolliert", erinnert sich Hans Währisch.

„So was von blöd" findet Hans damals den „Klassenführer", der als HJ-Unterführer den Lagermannschaftsführer unterstützen soll. Der Junge ist mit seinen Aufgaben offenbar maßlos überfordert, so dass die Schüler mit ihm machen konnten, „was wir wollten", auch wenn sie letztlich seinen Anweisungen doch Folge leisten müssen. In seiner ersten Pfarrstelle nach dem Krieg wird Hans Währisch dann mit Erschrecken feststellen müssen, dass am dortigen Gymnasium genau dieser ehemalige, für ihn so unfähige ehemalige „Klassenleiter" nunmehr als Lehrer unterrichtet.

Die Menschen in Böhmen dagegen sind freundlich zu den deutschen Jungen und lassen sich nicht anmerken, dass sie sicherlich nicht gerade angetan sind von den ungebetenen „Besuchern". Im Herbst 1941 kehrt Hans Währisch nach Essen zurück. Später, lange nach dem Krieg, wird er das Schloss und die Gegend noch einmal besuchen.