KLV in Tschechien –„Vielleicht wollte ich in einer ruhigeren Atmosphäre selbstständiger werden“

Je häufiger der Unterricht wegen Luftalarms ausfallen muss, desto stärker wird an der Luisenschule Propaganda für die „Erweiterte Kinderlandverschickung" (KLV) betrieben.

Deshalb entschließt sich Elsa, nicht zuletzt beeindruckt von den begeisterten Berichten anderer Schülerinnen, im Februar 1943 zur Teilnahme. „Zuvor fühlte ich mich auch noch zu sehr an das Elternhaus gebunden, um mitzufahren." Zu dieser Entscheidung beigetragen hat einerseits, dass sich die Dreizehnjährige vorher nicht vorstellen konnte, für längere Zeit von zu Hause wegzugehen, und andererseits, dass sich dort durch die Kriegsverhältnisse einiges geändert hat:„Es war nicht mehr so ein geborgenes Familienleben wie vorher." Außerdem fällt es ihr wegen der vielen Unterrichtsausfälle immer schwerer, ihre Schulleistungen aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt möglicherweise ein alterstypischer Drang nach persönlicher Entwicklung: „Vielleicht wollte ich auch einfach in einer ruhigeren Atmosphäre selbstständiger werden." Das Gemeinschaftserlebnis hat dabei auch seine Attraktivität:„Ich habe mich einfach auf das Zusammensein mit den anderen gefreut." In der Hoffnung, dass ihre Tochter so in Sicherheit gebracht wird, stimmen die Eltern zu. Dass sie umgekehrt in Essen weiterhin in großer Gefahr sind, ist Elsa damals nicht bewusst.

Geplant ist eine Kinderlandverschickung für ein halbes Jahr nach Mährisch-Weißkirchen in Tschechien, wo die Mädchen zunächst in einer landwirtschaftlichen Fachschule untergebracht werden. Elsa Sippel resümiert ihre KLV-Erfahrungen der ersten Wochen kurz und prägnant: „Es war eine Katastrophe!" Die Unterbringung ist sehr schlecht, und darüber beschweren sich die Schülerinnen. Nur durch starken Druck und strenge Regeln können die Führerinnen die Oberhand behalten. „Die Wäsche musste Kante auf Kante liegen und durfte keinen Millimeter abweichen." Auch gegen das Marschieren, „teils sogar durch Matsch", wehren sich die Mädchen. „Das wäre nicht im Sinne des Führers", rutscht es Elsa einmal heraus.

Doch mit der Zeit werden die Führerinnen umgänglicher, ihre Schützlinge finden sich in deren Ordnung ein und die Atmosphäre entspannt sich. „Die wollten sich wahrscheinlich in den ersten Tagen Respekt verschaffen", vermutet Elsa Sippel heute. Nach vier Wochen kommt es dann zu dem ersehnten Umzug, da sich auch die mitgereisten Lehrerinnen über die schlechte Ausstattung der landwirtschaftlichen Fachschule beschwert haben. Elsa und die anderen Mädchen werden in das KLV-Lager Malá Skála (Klein-Skal) im Isergebirge verlegt, „wo ich mich sehr wohl fühlte". Sie sind in einem Hotel untergebracht und dort herrscht trotz weiterhin strenger Regeln „eine herzliche Atmosphäre".

Vor allem gefällt Elsa der Schulunterricht in diesem Lager sehr und sie kann dem Stoff ohne die nächtlichen Störungen durch Bombenalarm leichter folgen.

So fühlt sie sich in der KLV zwar mittlerweile wohl, aber dennoch überkommt sie manchmal Heimweh, zumal sie sich nun doch oft Sorgen um die Daheimgebliebenen machen muss. „Man hörte ja auch immer wieder von neuen Anschlägen im Radio." Doch wenn auf Essen wieder einmal Bomben niedergegangen sind, wartet sie oft tagelang auf ein Lebenszeichen von ihren Eltern, weil der Briefverkehr nur sehr schleppend funktioniert.