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"Flandern 1934" - Ein Fahrtenbuch

Im Sommer 1934 unternahmen 22 Jungen der Sturmschargruppe der Pfarrgemeinde St. Andreas in Essen-Rüttenscheid eine „Friedensfahrt" nach Flandern. Da es zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Verbote gibt, die sich gegen das gemeinsame Auftreten katholischer Jugendgruppen richten, empfinden die Sturmschärler die Fahrt auch aus diesem Grund als Abenteuer.

Während der Fahrt wird auch ein Soldatenfriedhof besucht, woraus aber nicht unreflektierte Heldenverehrung resultiert, sondern die deutlich artikulierte Erkenntnis „Nie wieder Krieg!" - Allein das war schon eine öffentliche, gegen das NS-Regime gerichtete Provokation.

Das alles wird im vorliegenden Fahrtenbuch beschrieben und bebildert. Es wurde in hoher Qualität gedruckt und anschließend verkauft, denn mit dem Erlös wollten die Jugendlichen ihre - letztlich nicht zustande gekommene - Teilnahme an der Romfahrt finanzieren, die 1.500 Sturmschärler 1935 unternehmen sollten.

Das Fahrtenbuch wurde von Hans Böing zur Verfügung gestellt. Von ihm finden Sie hier auch eine ausführliche Lebensgeschichte, in deren Rahmen er unter anderem über die Flandernfahrt erzählt. Klicken Sie hier.

FLANDERN 1934

22 DEUTSCHE JUNGEN MARSCHIEREN AN DIE GRENZE EUROPAS!!

DIE SEHNSUCHT BRENNT IN UNSEREM BLUT NACH WILDER, LOCKENDER WEITE,

DER DRANG, ZU ZWINGEN MEER UND FLUT UND STEILEN FELS MIT FRISCHEM MUT, DIE KAMERADEN ZUR SEITE.

22 deutsche, katholische Jungen hatten einen großen Plan. - Eine heilige Idee. - Am 29. Juli 1934 schnallten sie den Tornister auf und fuhren nach Flandern, als Boten des Friedens.

Die folgenden Seiten sollen das große Erlebnis wachhalten und vertiefen.

FLANDERN, ein Geschenk des Meeres.
Die üppigen Marschen, der fette Polderboden, die immer feucht gesättigte Luft und das milde Klima schenken dem Land eine reiche Vegetation. In vielen kleinen Bauernstellen ist die Landschaft aufgeteilt. Rüstern, Pappeln, Ulmen und Sträucherhecken, deren Kronen vom regelmäßigen Seewind nach Osten gebogen sind, fassen die Gehöfte ein. Das ebene flämische Land ist gut zu vergleichen mit der Marschlandschaft in Norddeutschland.

FLANDERN, alt ist deine Geschichte.
Aus reingermanischen Franken, welche um 450 n. Chr. das Gebiet bis an die Seine inne hatten, sind die Flamen hervorgegangen. Die romanische Sprachwelle, aus dem Süden kommend, stieß in dem heutigen Flandern mit der germanischen, aus dem Norden und Osten kommend, hier zusammen. 843 n. Chr. (Vertrag zu Verdun) kommt das Land zu den Westfranken unter Karl dem Kahlen und hierdurch früh unter französischen Einfluß. Aber mit großer Zähigkeit haben die Flamen bis auf den heutigen Tag ihre Eigenart bewahrt, trotz aller Romanisierungsbestrebungen Burgunds, Spaniens und Frankreichs.

FLANDERN, der Tummelplatz fremder Völker.
Furchtbare Kriege haben oft das Land schwer verwüstet. Aber die freiheits­liebenden Flamen hielten stand. 1302, als Frankreich die Hansestädte an­tasten will, kommt es zur Sporenschlacht bei Kortrijk. Hier siegen die Flamen, geführt von dem Brügger Gildemeister Pieter de Coninc und Jan Breidel, dem Löwen von Flandern. Es galt damals der Wahlspruch: „Waf walsch is, valsch is, slaet al doet." - „Was welsch ist, falsch ist, schlagt sie tot." 1328 siegen 12000 Flamen gegen 90000 Franzosen. - Nach dem letzten grauenvollen Weltkrieg, der auch in diesem Lande wütete, ist der Freiheitsdrang und die Liebe zum eigenen Volkstum wieder sehr stark ge­worden.

FLANDERN, feudales Land, stolzes Bürgertum.
Um 1150 n. Chr. zieht die Hanse in Flandern ein, mit Brügge an der Spitze. Herrliche Gilde- und Zunfthäuser, bedeutende Profanbauten (das Grafenschloß in Gent) bringen so recht den Bürgerstolz der Städte zum Ausdruck, die seinerzeit zu den mächtigsten Europas gehörten. Brügge war die Königin der flämischen Hanse. Als aber dann später Brügges Meeres­arm, die Swyn, versandete, ging das Handelsglück auf Antwerpen über. Noch heute klingen durch die Straßen und Gassen der alten Hansestädte die wundersamen Glockenspiele und künden von stolzer Vergangenheit.

FLANDERN, Land der großen Künste.
Der emsige Bienenfleiß hat die flämische Kraft bis aufs Höchste gesteigert. Die Kathedralen sind Wunderwerke mittelalterlicher Baukunst. Großartig sind die Werke in der Malerei von den Meistern Rubens, van Eyck und van Dijck. Auf vielen Gebieten wurden Kunstwerke geschaffen, deren Schön­heiten die Welt eroberten.

FLANDERN, tief religiöses Land.
Nicht nur der Zahl nach ist das flämische Volk ganz katholisch, sondern auch im religiösen Leben. Treu und gehorsam steht es zu den Bischöfen und Priestern. Das Kruzifix ist auch im öffentlichen Leben oft zu finden. Große Orden, Bruderschaften, Klöster und Begijnhöfe sind Kraftquellen des religiösen Volkes. Der Wahlspruch der flämischen Soldaten im Weltkrieg war: „Alles für Flandern, Flandern für Christus".

STARKE NERVEN.

„Hast du schon deinen Paß, Willi? Sorge, daß du einen Affen und eine Zelt­bahn bekommst. Bis Mittwoch muß das ganze Geld gezahlt sein. Wie weit ist unser Flandernbanner?" - „Alles in Ordnung, aber den Löwen mit den vielen Kurven kannst du selbst machen. Du hast gut meckern, zackige Biester." „Beruhige dich, Willi, ganz Flandern wird über dein Banner staunen. Wieviel Käppis sind fertig? Um die Hordentöpfe müssen noch Bezüge". „Hast du nicht noch mehr zu erledigen?" „Mensch, du mußt sofort zur Wechselstube Gulden besorgen. Treu Heil."

In der Zentrale, Brigittastr. 46, ist Hochbetrieb. 22 Kerle fitschen ein und aus. Einer bringt Geld, ein anderer holt „Junge Front". Auf einem Schrank sind zwanzig Hutmodelle der letzten Jahrzehnte aufgestapelt. Aus diesen Dingern entstanden nach gründlicher Renovierung unsere Käppis. - „Meine Sammeldose muß geöffnet werden, es ist was Silbernes drin." „Kann ich noch Handzettel haben?" Die Schelle steht nicht still, dauernd ist einer im Laden". Aber die Mutter der „Geschäftsstelle" behält die Ruhe.

Cd. F. und S.F. starten in Richtung Haarzopf, zur letzten Besprechung mit den Führern der Schar, mit denen wir die Fahrt gemeinsam bis nach Ant­werpen machen wollen. Sie erfahren dort nur neue Schwierigkeiten: Un­klarheit bei der belgischen Eisenbahn wegen Fahrpreisermäßigung.Wir können nicht geschlossen über die Grenze, teilt euch in kleinere Gruppen. Gegen 12 Uhr nachts surren die beiden mit etwas schwererem Herzen nach Hause. Der Tag der Abfahrt naht. Der Cd.F. hat nun doch Ferien bekommen. Noch einmal wird die Kasse überprüft.. Dieses ist nicht so einfach, denn die Reichsbanknoten haben sich in Gulden verwandelt. Hin und her wird überlegt, ob noch etwas fehlt. - Wären wir doch schon mal weg.

„HEILIGER ERZENGEL RAPHAEL BEGLEITE UNS."

Am Vortage der Fahrt sind wir mit unseren Eltern in der Kapelle bei den Schwestern. Unser Präses spricht über den Sinn der Fahrt. „Vor 20 Jahren zogen euere Väter in den grauenvollen Weltkrieg nach Flandern. Morgen zieht ihr auch nach diesem Land, aber als Boten des Friedens." - Unser Banner wird vom Priester geweiht und dann beten wir das Reisegebet der Kirche.

Vier Wochen Vorbereitung sind vorbei. Sorge, Ärger, Arbeit, Krankheit, Aufregung waren die Kennzeichen. Aber durch die eifrige Mitarbeit unserer mutigen Eltern, die uns in' die weite Welt fahren ließen, hat alles geklappt. Nun liegen Zweiundzwanzig im letzten Schlummer daheim und träumen von kommenden Tagen.

CHRISTUSJUGEND KÄMPFT FÜR DEN FRIEDEN DER VÖLKER!

PAX CHRISTI VOBIS JUVENTUS CATHO-LICA ESSENDIAE SALUTAT PER MISSOS JUVENES ET PUEROS EPISCOPOS SA-CERDOTES ET JEVENTUTEM CATHO-LICAM VLAMENSUM IN CARITÄTE XP.
SALZ, BEZIRKSPRÄSES.

Der Friede Christi sei mit Euch. Die katholische Jugend von Essen grüßt durch eine Abordnung von Jungmännern und Jungen die Bischöfe, Priester und die katholische Jugend Flanderns in der Liebe Christi.
Salz, Bezirkspräses.

Das ist der Botschaftsgruß, den wir mit nach Flandern nahmen. Ein feines Bild, welches wir den flämischen Brüdern schenkten, hängt nun im Hauptbüro der flämischen Jugendherbergen in Antwerpen. Auf dem Bilde steht: Christusjugend kämpft für den Frieden der Völker.

ESSEN - ANTWERPEN.

„Die Schar ist mit 22 angetreten", meldet der G. O. Der C. d. F. macht Musterung. Ein kurzer Abschiedsgruß von den Eltern, und fort rollen wir. Die 80 km lange Strecke bis Dahlheim halten wir Exerzitien. Keiner spricht, kein Lied erschallt, aber die Spannung und Freude wächst. Zu Fuß gehts über die Grenze nach Holland. Vier Stunden müssen wir in Vlodrop auf den Zug warten. Einige müssen etwas zu schnuppern haben, und da die Nappos hier so billig sind, holt man sich solch ein Ding. Aber es war Scharbefehl, daß im Ausland nichts privat gekauft werden sollte. Es steigt ein großer Nappoprozeß. Acht Kerle sitzen auf der Anklagebank und warten auf die kommende Hordenkeile. Das Urteil lautet aber: „Sämtliches private Geld muß abgegeben werden und kommt in die große Kasse".

„Neue Leute, neue Leute", brüllt der Zugführer, der uns einlädt, einmal seine Lokomotive, Modell 1593 n. Chr., zu besichtigen. Schön war das Pfeifen, aber noch schöner waren zwei Stunden später die herrlichen, großen Sandflächen in Belgien.

Wir alle haben nun die Kluft an, als der Zug in die riesige Halle des Antwerpener Centralbahnhofes einschnurrt. - Fremdes Land. - Zum ersten Male flattert das Banner vor unserer marschierenden Kolonne. „Mensch Jupp, haben die hier die Straßen gebohnert". - „Och, kuck mal den Schutzmann, was der sich schick gemacht hat". - Röö rrrö rrrrrö. „Haben die hier seltene Autohupen". Trambahn folgt auf Trambahn. „Willi, kuck mal die Neger da vorne, was die schwarz sind". - Durch den riesigen Verkehr marschieren wir zur Jugendherberge. Sie ist zwar klein, aber Platz genug für uns.  Bald darauf sind 22 im Schlummer.

GUMMIBROT, HAFENLEBEN, GLOCKENSPIEL UND 530 STUFEN.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, das erste Erwachen im fremden Land, weit von der Heimat. Man weiß nicht so recht, ob es Wirklichkeit ist. Aber lange soll es nicht dauern. Der Morgenkaffee war schon eine Sache für sich. Das Brot war so lose und weich, daß man es wie Gummi ziehen konnte. Die mit dem Bärenhunger bekamen eine breitgezogene und die andern eine zusammengedrückte Schnitte. Dazu gabs Bohnenkaffee, der aber aussah wie Tee. (Dalla meinte, starker Kaffee sei nicht gut für junge Leute).

Wir bummeln über breite Straßen durch die Stadt. In den vielen großartigen Bauten rechts und links wickelt sich die unerläßliche Betriebsamkeit der Weltstadt ab. Staunend stehen wir vor der Kathedrale. „Boooh wie groß". Im Inneren fallen uns sofort die vielen Stühle auf. Bänke kennt man hier nicht. Um die Größe noch besser zu erfassen, ersteigen wir den Turm. Werner will die Stufen zählen. Bei 196 fängt er an zu stottern, sodaß er das Zählen aufgibt. „Da kriegt man ja den Drehwurm". - „Ich bin oben", brüllt da einer. - „Wo oben?, da vorn gehts weiter du Dussel". - Immer gehts rund. Am Geländer gut festhaltend, steigen wir höher und höher, bis wir endlich oben sind. Hier erfahren wir, daß es nur 530 Stufen waren. 90 m hoch. Eine herrliche Sicht. Wie klein sind unten die Menschen. Wie winzig das Militär, welches durch die Straßen marschiert. Was riesige Hafenanlagen. Klotzige Seedampfer liegen am Kai. - Herrlich, man kann sich nicht satt sehen. - 530 Stufen gehts wieder herunter. Kurze Zeit später stehen wir an der Scheide. Ein Schiff soll uns zum Meer bringen. Aber alles können wir haben, nur kein Schiff. Ein Norddeutscher-Lloyd-Dampfer wird besichtigt und alles staunt, was der an Fracht verschlingt. Der I. Deckoffizier erzählt, daß sie morgen zu den kanarischen Inseln fahren. Das wäre eine Sache für uns, da mitzugondeln.

Abends hören wir mit flämischen Kameraden das Glockenspiel der Kathe­drale. Einer der Flämischen zieht mit uns durch den 500 m langen und 100 m tiefen Scheldetunnel. Heftig wird die Litanai von den 22 Paar ge­nagelten Schuhen gesungen. Ein Schutzmann fühlt sich seines Lebens nicht sicher und verbietet uns das Singen. Mit einem Schiff fahren wir über die Scheide zurück. - - Die Glocken der Kathedrale sind verstummt. In den Straßen ist es ruhiger. Auch wir schlafen bald.

WEITER GEHT DIE FAHRT.

Wenn uns ein Schiff nichf weifer bringf, na, wofür isf denn die Eisenbahn da? - Das Land, welches wir durchrasen, ist flach, von vielen Kanälen und Flüssen durchzogen. Im übrigen befinden wir uns in einem Sonder­wagen, „extra für uns". Jupp schaut aus dem Fenster und entdeckt in der Ferne den Beifried von Brügge. 30 Minuten später stehen wir vor dem 80 m hohen Koloß. Wegen des Regens, der uns stark anfeuchtet, suchen wir die Jugendherberge. Dieselbe liegt weit vor der Stadt. Also wieder kehrt. Die Herberge gehört zu einem Kloster. Freundlich werden wir auf­genommen. Die Tage vorher war Kirmes im Klosterhof und alles ist emsig am abbrechen. Ein noch stehendes Kirmeszelt gibt uns Schutz für den immer stärker werdenden Regen. Kaum haben wir uns breit gemacht, da ist auch schon das ganze Abbruchvolk bei uns und mustert uns von oben bis unten. Singen sollen wir. - Frische Jungenlieder erklingen. Für unser Singen klatschen die Leute und für unsern Hunger bringen sie Brot, Butter, Gebäck und „Kaffee". Letzterer war aber nicht wie Tee, sondern wie Teer. Die Flamen singen auch, verstehen können wir nichts. - Das Zirkuszelt erlebt nochmal tolle Attraktionen. Zwei Nationen zeigen ihr Können.

Nachmittags sehen wir uns in Brügge den Beifried und die Kirchen an. Machtvolle Bauwerke. - Dem Bischof wollen wir die Friedensbotschaft bringen. Leider ist er verreist. Aber wofür sind denn seine Sekretäre da? In schneidiger Haltung marschieren wir singend vor das Palais, treten in Linie an und singen unser Leiblied. Ungefähr zehn hohe geistliche Würden­träger begrüßen uns. Dalla zeigt ihnen die Botschaft. Freudig dankend winken sie mit den Händen. Sie wollen dem Bischof alles mitteilen. Wir singen mit erhobener Schwurhand: „CHRISTUS, HERR DER NEUEN ZEIT".

Beim Abrücken stellen wir fest, daß sich eine ansehnliche Menschenmenge angesammelt hat. Ein Schutzmann sorgt dafür, daß wir auf die Straße können. - Wieder in der Herberge angekommen, wird zuerst gelöffelt. Dann wird mit den Patres Fußball gespielt. „Meine Güte, können die aber dötschen, die machen in ihrer Klosterkutte noch „Schalke 04„ etwas vor". - Mit dem Abendgebet in der Klosterkapelle findet der Tag sein Ende. 22 Kameraden hegen bald im Schlummer.

MIT 60 km  DEM  MEERE ZU.

Beim hl. Meßopfer dürfen Leo und Werner minisfrieren. Hier wird ja latein gesprochen und nichf französisch, flämisch oder sonst etwas. „Wie weit müssen wir heute laufen? Kommen wir noch zum Meer?" „Wenn wir uns feste dran halten, werden wir die See vielleicht noch heute bei Wenduyne erreichen. Es sind 20 km." - 6 km haben wir hinter uns. Zehn Minuten Rast. Kaum liegt alles im Straßengraben, da kommt ein herrlicher großer Lieferwagen angebrummt. Wir winken - er hält. Mitfahren möchten wir. Der Fahrer versteht kein deutsch. Gegenseitig stottern wir uns etwas vor und - - mit 60 km gehts über schnurgerade Betonstraßen nach Ostende. Willi singt:

„Immer nur fahren,
Nimmer verzagen,
Immer im gleichen Tempo.
Roter Staub weht uns ins Gesicht,
Bäume stehen grau am Rand,
Keiner spricht - keiner sagt halt.
Die große Straße hat uns erfaßt."

Leuchtende Dünen grüßen in der Ferne. Der Wagen rast ihnen mit Vollgas entgegen. Ostende ist sichtbar. Der Motor hat aufgehört zu summen. 25 km sind in kurzer Zeit gefressen. Müde und hungrig marschieren wir durch die Stadt. In den Häfen liegen die Ozeanriesen am Kai. Vorbei gehts an der wiedererbauten Kathedrale. Alles ist gespannt auf die See. Am Ende der Straße gehts den Berg hinauf. Es ist der D,eich. Wir stehen oben. - Vor uns Wasser und nochmals Wasser, soweit wir blicken können. Schnell gehts den Deich   hinunter durch   das Watt, bis dahin, wo die Füße naß werden.

HIER SIND WIR AN DER GRENZE DES EUROPÄISCHEN KONTINENTS!!

Der K.B. (Küchenbulle) hat inzwischen eingekauft. Er hält eine Tischrede: „Das Wasser in dem Bach da vorne soll salzig sein. Damit ihr euch daran gewöhnt, gibt es heute zum Mittag salzigen Bückling. Guten Appetit." Ge­schmeckt haben sie, die Bücklinge, aber was bekamen wir nachher Durst. - über die Strandpromenade vorbei an vornehmen Kurhäusern, marschieren wir mitten durch das internationale Strandvolk, das uns bewundert und oft nach der Nationalität fragt, bis kurz vor Middelkerke. Hier heißt die Parole „Baden". Kurz darauf sausen die ersten in die Flut. „Boooh was Wellen". Rauf und Runter gehts. Bruno will gerade einen Freudenjauchzer von sich lassen, aber eine Welle, die in seinem Mund landet, macht daraus den Klageruf: „Bah, wie salzig". Pustend und spuckend rennt er an das Watt. Den anderen ergehts ähnlich.

In „Vlaamsch Huis" in Middelkerke schlafen wir die Nacht. Der „Stab", alle
führenden Persönlichkeiten, hat einen extra feinen Ehrenschlafplatz. Auch
unser Fahrtenschneider hat einen besonderen Platz. Er liegt neben einem
Berg aufgestapelter Strohsäcke. Gerade hat er den Motor für das Säge­
werk eingeschaltet, da verursachen liebliche Nachtgespenster ein kleines
Erdbeben und unser Willi ist von 15 großen Strohsäcken begraben.

IN DEN DÜNEN.

Heute morgen regnet es. Wir sitzen an einer schön gedeckten Tafel. Unser Alfons hat nämlich Namenstag. Nach dem Morgenkaffee schreiben wir Grüße an die Lieben daheim. - Einige gehen ans Meer. Grau ist die Luft und die Sicht schlecht. Im Watt suchen die Möven ihr Futter. Schöne Muscheln und Seesterne werden gesucht. - Andere stehen vor Massen­gräbern auf einem deutschen Soldatenfriedhof und beten für die Helden der Heimat. - Es hört auf zu regnen. Die Sonne lacht. Wir marschieren am Strand entlang den Dünen zu. Das Meer zeigt sich in den herrlichsten Farben. Es weht ein scharfer Wind. Mächtig reißt das Banner am Schaft hin und her. Wie eine Wüstenkarawane ziehen wir im Gänsemarsch durch den Dünensand. Hier und da liegen noch Betonbunker aus dem Weltkrieg. Hoch in den Dünen, in einer kleinen Mulde, schlagen wir unser Zelt auf. Heftig knallt unser Banner auf der höchsten Dünenspitze.

12 Uhr. - Wir stehen im Kreis. Der Führer sagt, daß in der Heimat jetzt die Trauerglocken läuten, als Erinnerung an den Kriegsanfang vor 20 Jahren. Wir beten für die gefallenen Helden aller Nationen, beten, daß der Herr uns den Frieden schenken möge. Dann erklingt, begleitet vom Rauschen des Meeres, das Lied vom guten Kameraden.  -  -  -

Boooh, was zwickt der Sand an den Beinen.. „Hier Alfred, schnapp den Ball". Er fängt ihn nicht und Dalla zeigt, daß er auf lange Strecken geübt ist, denn der Wind hat den Ball so einige km vor sich hergetrieben. Der Sand säuselt und fegt über den Boden, gleich einem Schneesturm. Die Wellenbaderei ist heute kurz, da es sehr kühl ist. Wir haben Flut. Mächtig branden die Wellen heran. Stark ist das Rauschen des Meeres. Herrlich ist es in den hohen Dünen. - Am Abend gehts weiter bis zur Ysermündung. Noch etwas flußaufwärts und Vlaamsch Huis in Nieuport nimmt uns freund­lich auf. Unser K.B. schleppt dicken Reis heran, der schnell von 22 Hungrigen unsichtbar gemacht wird. Gerade ist alles in den Betten, da erfahren wir durch einen deutschen Sender den Tod unseres Reichspräsidenten General Feldmarschall von Hindenburg.

AUF HOHER SEE.

Wir sind in der hl. Messe, empfangen das Brot des Lebens, singen und beten in deutscher Sprache. Nach dem hl. Opfer kommen flämische Studenten zu uns. Wir sprechen so gut es geht miteinander. - Eine Stunde später marschieren sie in ihrer Bundeskluft mit uns nach Furnes. Ein Fischauto sorgt, daß die 12 km in einigen Minuten geschafft sind. Furnes ist bekannt durch seine Prozessionen, wobei jeder ein schweres Kreuz auf der Schulter trägt. Natürlich mußten wir auch so ein Kreuz auf der Schulter getragen haben.

APPELL. - „Eine mutige Sache soll gedreht werden. Es wird dabei eine anständige Strecke marschiert. Wann es etwas zu beißen gibt, weiß ich nicht. Angst darf keiner haben." - Sechs scheiden aus. Der Chef schaut die Mutigen scharf an. „In 5 Minuten im wetterfesten Zeug und mit Banner antreten". - „Lebt wohl, Geschwister, Kameraden, lebt wohl, wir kehren wieder heim", schallt es von den 16 ins Ungewisse marschierenden. Eine schnurgerade Straße hat am Anfang ein Schild LA PANNE. Durch glühende Sonne marschieren wir im „wetterfesten Zeug", den Blick auf die herrlichen Dünen gerichtet, dahin, bis La Panne erreicht ist. Wieder stehen wir am weiten Weltenmeer, diesmal dicht an der französischen Grenze. - - - Rast - - - Dalla und Willi verschwinden. Sie kommen bald zurück und melden: „Wir stechen in See." Helle Freude bei allen. - Was werden die sechs zurückgebliebenen für dumme Gesichter machen. - Hans hatte nachher in seinem Fahrtenbuch folgendes stehen:

„Nach einem strammen Marsch gelangten wir ans Meer. Dort wurden wir von einigen Seemännern durch das seichte Wasser bis zum Schiff getragen, daß Anker gelegt hatte. Nachdem die Segel gehißt waren, stachen wir, lustige Seelieder singend, in See. Alle waren fröhlich und munter. Mächtig schaukelten die Wellen das Schiff, sodaß wir auf unseren Plätzen hin und her rutschten. Je weiter wir in See stachen, um so höher wurden die Wellen, und um so bleicher wurden die Gesichter der „mutigen Seefahrer". - Es dauerte nicht mehr lange, und schon gingen die Überreste der am Morgen eingenommenen Nudeln über Bord. Alle waren bleich wie ein Kalkeimer. Leider ging die herrliche Seefahrt viel zu schnell zu Ende. Singend und plaudernd zogen wir wieder nach Furnes zurück."

„Hans, kommst du auch in unsere Verschwörerbande?" „Was habt ihr denn vor?" „Das erfährst du heute abend in der Geheimsitzung. Wir haben schon   sechs Mitglieder, du   bist   dann   der  Siebte."    ???????

DIE SCHAR MEUTERT.

Unser neuer G. O. Heinrich er lebe hoch, hoch, hoch! Alfred, du bist ab­gesägt, oh, oh, oh! - - - Der C. d. F. hat sich gerade den Bart abge­nommen und kommt nun in diesem Lärm der Horde. „Was ist denn hier los? Was soll der Lärm?" - „Wir haben einen neuen G.O. Der alte ist abgesägt." - „So schnell geht das aber nicht, ich erwarte erstmal ein Gericht." - Einige Minuten später wird die Verhandlung eröffnet. Auf der Anklagebank sitzt der Gruppenoberst Alfred. Sein Verteidiger ist der Cd. F. Die Verschwörer klagen den G.O. an: „Er ist zu pampig - von den Führern wird er vorgezogen - wir wollen einen großen stämmigen und nicht so'n kleinen - der G.O. possiert - er kennt keine Kameradschaft - nur für sich sorgt er - mich hat er beleidigt - nie bekommt er Gruppenhiebe." - „Ruhe! Erst wird mal Kaffee getrunken." - Nach der Stärkung wird die Verhand­lung fortgesetzt. Der Angeklagte hat das Wort. Obwohl er etwas ver­schüchtert ist, vor den Anklagen verteidigt er sich tapfer. Dann muß er den Gerichtssaal verlassen. Der Verteidiger spricht. Es steigt eine große Rede, in der alle Anklagen niedergeschmettert werden. - „Alfred kann euch allen ein Vorbild sein". Es nützt nichts, die Bande will eine Abstimmung. Heinrich oder Alfred? ? ? - Ergebnis: 12 für Heinrich und nur 6 für Alfred. Die Meuterer triumphieren über den kollossalen Erfolg. Dalla hat das Wort. „Alfred wurde durch mich bestimmt. Ich bin mit ihm zufrieden. Ihr wollt einen andern und seid darum auch mit mir nicht zufrieden. Euer Wille soll durchgeführt werden. Wie weit ihr mit dem neuen G.O. auskommt, wird sich zeigen." - Traurig gibt Alfred seine Gruppenkordel ab und steht nun am Ende des Gliedes. Stumm marschiert die Schar durch die Stadt. Stumm über die Landstraßen durch die glühende Sonne. - Was ist passiert? - Keine Rast beim Marschieren. Kein Kommando vom Chef. Unordnung beim Antreten. Einige meckern. Wie eine Kuhherde latscht die Schar durch die Gegend.

Zehn Stunden währt dieser Zustand. In einem Straßengraben liegt alles, etwas entfernt der Chef. Es kommen einige zu ihm und reden von „Wieder­gutmachen". „Wir wollen den alten G.O. wieder haben". - „Seid ihr toll geworden? Warum geschah dieser ganze Quatsch? Spielt man so mit den Führern?" Scharf wird gesprochen, aber laufen geht keiner. Das Bitten wird immer dringlicher. - „Dalla, wir haben Unrecht getan, wir wollen es wieder gutmachen." - „Tut es," - - „Alfred ist unser G.O. Heil, heil IM" - Alles ist stramm angetreten. Alfred, wieder die weiße Kordel um, schreitet die Linie ab und gibt jedem den Handschlag der Treue. Singend und lachend zieht die Schar weiter, als wäre nichts geschehen.

Und die Moral von der Geschieht', „seid ihr auf Fahrt, so zankt euch nicht".

NIE WIEDER KRIEG.

NIE WIEDER KRIEG.

Vom Meer haben wir nun endlich Abschied genommen. Es geht yseraufwärts nach Dixmude. Granattrichter, zerschossene Bäume, Betonbunker und Stacheldraht, erinnern, daß die Hauptkampflinie im Weltkrieg hier verlief. Einen belgischen Unterstand „Boyau de la Mort" sehen wir uns an. In diesem Todesschlauch mußten Tausende ihr Leben lassen. - Unweit dieser Stellung steht das große flämische Kriegerehrenmal. Schweigend treten wir am Fuße des Denkmals an. Groß stehen vor uns die Worte: „Nie wieder Krieg". - Ein Gebet, daß der Herr den Gefallenen die ewige Ruhe und uns den Frieden schenken möge, steigt zum Himmel. Noch einmal erklingt das Lied vom guten Kameraden. - - Die Spitze des 50 m hohen ge­waltigen Bauwerks bildet ein wuchtiges Kreuz, auf dem die riesigen Buch­staben AVV VVK stehen.

Es heißt: ALLES FÜR FLANDERN, FLANDERN FÜR CHRISTUS. Ein herrlicher Wahlspruch. - Wir steigen auf das Ehrenmal und schauen in das weite, ebene, flämische Land. Unter uns, an der Yser, liegt eine Weide, mit Granattrichtern besät. Wie überall in Europa, so begann auch hier in Flandern vor 20 Jahren das Völkermorden. Jetzt ruft ein riesiges Baudenkmal weit  ins Land  „Nie wieder Krieg".

Ein Lieferwagen bringt uns nach Cortemarck. Da wir hier aber für die Nacht keine Unterkunft bekommen, nimmt uns der Wagen mit nach einem Bauernhof. Nach einer halbverstandenen Begrüßung fragt der Bauer, ob wir nicht bald wieder mit Gewehren kämen. Wir sagen ihm ein entschieden Nein, wir seien als Boten des Friedens gekommen. Er grinst und murmelt etwas vor sich hin. - Als wir eine Stunde später am Essen sind, kommt er zu uns und bittet, wir sollen duitsche Lieder singen, solche, wie die duitschen Soldaten gesungen haben. „Die Wacht am Rhein", „Deutschland, Deutschland über alles". - Stramm angetreten singen wir das Deutschland­lied. Nachher noch frohe Jungenlieder. Der Bauer freut sich sehr. Herrlich war die Nacht im Stroh und lustig war am nächsten Morgen der Gottesdienst in St. Josef. Fünfmal wurde gesammelt. Wer keinen Platz hatte, holte sich aus irgend einer Ecke einen Stuhl und ließ sich damit irgendwo nieder. Oft wurde mit den Stühlen großer Lärm gemacht. Von der Predigt verstanden wir nichts. Nach der hl. Messe sangen und beteten wir in unserer Muttersprache. Gemeinsam gingen wir zum Tisch des Herrn und empfingen den König aller Nationen.

WIR FAHREN  NACH GENT.

Bullig warm ist es heute und weil Sonntag ist und keine Lieferwagen fahren, müssen wir klotzen. Nur langsam kommen wir vorwärts. - Lichterfelde ist erreicht. Wohin soll es nun gehen, nach Gent oder Brüssel? Aber die Landeshauptstadt liegt ein großes Stück aus der Reiseroute, und die Franken in der Tasche des S.F. sind so la la alle. - Der Chef ist im Bahnhof. Die Schar wartet auf ihn. Sie wartet 1V2 Stunde bis er kommt und sagt: „Es klappt". „Was klappt denn?" Wir brauchen heute nicht mehr zu klotzen, wir fahren nach Gent. Ich blieb so lange, weil das Bahnhofspersonal nichts von 50% Ermäßigung kannte. Aber ich habe es ihnen beigebracht, es dauerte eben 1 V2 Stunde." - Im Zuge wurde erstmal gespeist und dann - hört, was Leo darüber schrieb:

„Hoch in Ordnung war das Schinkenkloppen im Zuge nach Gent. - Hänschen hält zuerst. Auhh. Jupp du. - Daneben, nochmal. - Aber nicht so feste. - Peng. Willi, du hast gehauen. - Richtig. - Hopp Willi, bück dich. - Klatsch. - Dalla komm, du hast geknallt. Bum. - Mensch Jupp, der Schlag war gut. Komm, halt auch mal. Aaahh, endlich der lange Jupp. - Er kann schon was vertragen und muß dafür, weil er oft daneben rät, lange halten, bis er das arme Häns­chen, das immer noch stöhnt, erwischt. Es gab kein Müdewerden. Nur, als auf einmal der Zug stand und draußen auf dem Schild groß „Gent" zu lesen war, gings heidi  bubbi raus. Schade. - - -

Mr & Mvr Maurice Van Hülle-Pagels hieß der erste Mann, der uns in Gent freundlich zur Seite stand. Das kam so: Wir standen vor der Jugend­herberge und fanden alles verschlossen. Der genannte Herr kam zum Chef und sagte ihm, er wolle ihn mit seinem Wagen zum Präsidenten der Her­berge fahren. Beide verschwinden kurz darauf in einer Limosine. Hoch beladen mit sieben Mann kommt der Wagen bald zurück. - „Wenn sie mich brauchen, ich stehe ihnen immer gern zur Verfügung," sagt der Fahrer. „Fein, danke, danke." - Darauf hatten wir gewartet, ein ständiges Auto für den Stab. In der Herberge wird sich eingerichtet. Der K. B. geht einkaufen und der Stab fährt geschäftlich im Wagen. Wie die Fürsten fühlen sie sich. Franz, der so ein bischen krank ist, wird zum Arzt gefahren. Die Behandlung dauerte 5 Minuten, aber der Onkel Doktor dachte auch, wenn die im Auto vorfahren, dann können die auch zahlen, „bitte 30 Franks". - Nach Erledigung aller Geschäfte sagt der Chauffeur: „Wenn sie mich brauchen, rufen sie mich telefonisch" und gab uns seine Visitenkarte.

WIR BUMMELN  DURCH  GENT.

- - - und da in der Herberge kein Platz für 22 war, mußten 10 in einem Privatquartier schlafen. Es soll da sehr schön gewesen sein. - - - Der Chef kommt von einem Gang nach dem Bahnhof zurück und trifft den K.B. auf dem Markt. Da gehört er auch hin. „Mensch Dalla, komm mal mit, da vorne gibt es 8 Pfd. Birnen für 12 Pfg." - Tatsächlich, da hing ein Schild, „4 kg Birnen 1 fr." Sofort wird V2 Ztr. Obst gekauft. In der Her­berge ertönt lautes Freudengeschrei.

Mit den Taschen voll Zwetschen und Birnen bummeln wir an den stolzen, alten Gildehäusern der Graslei vorbei nach St. Nicolai. Viel alte Kunst be­kommen wir hier zu sehen. Wuchtig ragt der Beifried mit seinen 52 Glocken, wovon die größte, die Rolandsglocke, nur 6050 kg wiegt, gegen den Himmel. Große Gemälde, darunter das berühmte von den Brüdern van Eick, „Das hl.Lamm", aus welchem vor kurzer Zeit zwei Tafeln gestohlen wurden, sehen wir in der Kathedrale St. Bavo. Mächtig, erhaben und reich sind alle diese Kirchen, aber es war uns manches fremd. Es ist ein großer Glaube an die eine heilige katholische Kirche, aber die Völker sind verschieden in ihrem Volkstum. Wir haben schon oft in deutschen Domen gestanden, und empfanden es hier in den flämischen Kathedralen am besten, daß es eine deutsche Eigenart gibt. - - Am Geeraard Duivelssteen vorbei über die hier noch kleine Schelde gehts zum Begijnhof. Eine kleine Stadt, still und abgeschlossen, die Bewohner fromme Frauen, mitten im Getriebe der großen Stadt. - - Katzen sind hier in Gent genau so viel wie in Antwerpen. In fast jedem Schaufenster, ganz gleich, ob Bäcker- oder Uhrmacherladen, saß solch ein graues Ungetüm.

Um 14 Uhr marschieren wir noch durch die Straßen von Gent. Um 17 Uhr ziehen wir zum zweiten Male durch den Scheidetunnel und stehen wieder vor der Kathedrale von Antwerpen. Durch den Lärm der Welthandelsstadt gehts Richtung Centralbahnhof. Hier wartet ein Reiseautobus, der uns abermals mit großer Geschwindigkeit durch flämisches Land bringt. In Lier steigen wir aus und ein langer, schwerer Marsch nimmt seinen Anfang. Sandiger Boden, müde Knochen, Bärenhunger, Staub und Durst, sind 1V2 Stunde eine Sache, die nur ganze Kerle ertragen können.

FLÄMISCHE FEIERSTUNDE.

In Nylen treffen wir uns mit den anderen Kameraden aus Essen-Haarzopf wieder. - Alle Versuche, den Bärenhunger zu stillen, scheitern, da zu wenig Material vorhanden ist. Die Hoffnung, daß die müden Knochen in kurzer Zeit Ruhe hätten, ist eine Pleite, denn schon ertönt das Kommando: „An­treten zur flämischen Feierstunde".

Um ein Feuer haben sich die Anwohner der Umgebung versammelt. Einer, in kurzer Hose und Fahrtenkittel, mit einer Pfeife im Mund, ruft uns deutschen Jungen ein „Welkom" zu. Ein zackiges „Treu-Heil" ist die Erwiderung. Flä­mische Volkslieder erschallen. Mit erhobener Hand singen sie ihr National­lied. Ein Flämischer Führer spricht in deutscher Sprache von dem Kampf der Flamen gegen die Unterdrückung des Volkstums. - -  „Durch euern Besuch haben wir uns verbrüdert. Der grauenvolle Weltkrieg ist vorbei, aber noch immer schauen sich die Nationen feindlich an. Wir Christusjugend kämpfen für den Frieden aller Völker. Die Liebe zu Christus und zur Heimat ist der Weg.

ES LEBE FLANDERN - ES LEBE DEUTSCHLAND.

Wir grüßen euch deutsche Kameraden und fühlen uns mit euch verbunden." Unser Kaplan Schäfer dankt in kurzen Worten dem flämischen Führer. -Es folgt nun eine Reihe lustiger Spiele und Tänze um das Feuer. Ein Lied haben wir von ihnen ganz besonders gut behalten. Mit einem lustigen Jungen­lied ohne besonderen Inhalt ist es zu vergleichen.

Bobian beklim die Berg so haastig en so lustig,
Bobian beklim die Berg so haastig en so lustig,
Bobian beklim die Berg om die honink te verberg
Hoera für die boer Hoera.
En je moet nie heni en je moet nie truer nie
Die stelle boschelkerels keeren weer.
Rik, tik, rikke, tikke tik hola hoepsa he.
Rik, tik, rikke, tikke tik hola hoepsa he.
Hikamalaya  -  -  -  -  -  -  -  -  - Jis.

Das gemeinsame Nachtgebet beendigt die Feierstunde und bald liegen wir im tiefen Schlummer. Es ist die letzte Nacht in Flandern, weit von der Heimat. Nur noch kurze Zeit und dann -  -  -.

WIEDER IN  DER HEIMAT.

Der Zug rattert durch belgisches und holländisches Land Deutschland zu. Kurz nach Mittag ist die deutsche Grenze überschritten und das Auto, das uns vor zehn Tagen voll Spannung von der Heimat wegbrachte, bringt uns nun mit Erlebnissen gefüllt zurück. Wie schnell sind die herrlichen Tage dahin geflogen. - Der Wagen rollt schon bei Düsseldorf über den Rhein, aber unsere Gedanken sind noch in Flandern, am weiten Meer, in den herrlichen Dünen, auf den Schlachtfeldern, bei den flämischen Kameraden, 90 m hoch auf der Kathedrale in Antwerpen, 100 m tief unter der Scheide. - - - Groß waren die zehn Tage. - - - Die Haarzopfer haben uns schon verlassen und kurz darauf stehen wir im festlich geschmückten Saal im Kreise unserer Eltern und Freunde. Groß ist ihre Freude wegen des feinen Erfolges. - In uns aber ist eine Wehmut groß, daß die Fahrt nun ihr Ende hat.

Ein großes Erlebnis ist tief in unsere Seele eingeprägt. Es waren große Tage in unserem Leben, an die wir gern zurückdenken. - Es gibt Menschen, die bringen ihr Geld ins Wirtshaus oder Kino und suchen dort Freude. Andere hocken in Stuben und verqualmen ihr weniges Geld. Wieder andere suchen in vornehmen Bädern und Palästen die echte Freude, aber sie finden sie nicht.  Es fliegt alles spurlos an  ihnen vorbei.

Wir aber ziehen auf Fahrt in die Welt. Lernen die Heimat kennen und lieben. Stählen den Körper bei frohem Spiel. Fühlen uns geborgen in der herrlichen Natur. Wachsen zu einer Gemeinschaft. Sind stolz, Deutsche zu sein, besonders bei Fahrten in fremde Länder. Vor allem sind wir auf un­seren heiligen Glauben stolz, der uns mit allen Nationen vereinigt.

Als Jungen wollen wir ganze Jungen sein, keine Puppen oder Mädchen, um dann später als ganze, deutsche, katholische Männer, stark, mutig und opferbereit im Leben zu stehen.

KAMERADEN!

„KNABEN MÜSSEN GEWAGT SEIN, DAMIT MÄNNER WERDEN." - „MIT REDEN IST NICHTS GETAN, DIE TAT IST DER WEG." BLEIBT TREU DEM KÖNIG ALLER NATIONEN!

 

ALLES FÜR DEUTSCHLAND -

              DEUTSCHLAND FÜR CHRISTUS!

DAS WAR UNSERE FLANDERNFAHRT 1934.

Möge dieses Buch
viele Jungenherzen erobern und zu gleichen Taten begeistern, allen Freunden der Jugend zeigen, wie katholische Jugend schafft und lebt.

Dieses Buch ist eine Gemeinschaffsarbeit der Jungschargruppe I von St. Andreas zu Essen-Rüttenscheid.

Als Manuskript gedruckt. - Nachdruck verboten. - 1. Dezember 1934. Druck: Joseph Hohlmann, Essen-Altenessen, Hövelstraße 136. Fernruf 26701.