"Arisierung"
Unter dem Schlagwort der „Arisierung" enteigneten die Nazis jüdischen Besitz und Vermögen und schränkten die jüdischen Erwerbstätigkeit massiv ein. Als „Arier" wurden „Angehörige der nordischen Rasse" gesehen, die von den Enteignungen profitierten. Juden galten in Abgrenzung dazu als die Verkörperung der „Nicht-Arier".
Die „Arisierung" erfolgte in drei Phasen:
Von 1933 bis 1937 wurde jüdisches Eigentum ohne rechtliche Grundlage und ohne staatliche Anordnungen eingezogen. Von der Partei inszenierte Boykotte und „Volkszorn" trieben vor allem den Einzelhandel und kleinere bis mittelgroße Betriebe in den Ruin. Viele mussten ihr Eigentum weit unter dem Wert verkaufen. Am schlimmsten betroffen war die jüdische Bevölkerung in Kleinstädten und auf dem Land. Bereits seit 1933 konnten Juden mit dem so genannten „Arierparagraphen" aus dem öffentlichen Dienst und den wichtigsten freien Berufen gedrängt werden.
Jüdische Banken und Industrieunternehmen blieben in dieser ersten Phase weitgehend unbehelligt, da die Regierung das Ziel verfolgte, die marode deutsche Wirtschaft so schnell wie möglich funktionsfähig und damit kriegstauglich zu machen.
Ab 1937/1938 veränderte sich die Situation: Die „Arisierung" wurde vor dem Hintergrund des Vierjahresplans - dem Plan, Deutschland in vier Jahren kriegstauglich zu machen - und des Anschlusses Österreichs von staatlicher Seite systematisiert. Ab April 1938 musste jüdisches Vermögen über 5000 Reichsmark angemeldet werden; der Zugang der jüdischen Bürger zu ihren Bankkonten war somit eingeschränkt. Kurz darauf mussten alle jüdischen Unternehmen registriert werden und die Scheinübertragung auf nichtjüdische Teilhaber wurde unter Strafe gestellt.
Bis April 1938 waren von den 100 000 jüdischen Unternehmen im Deutschen Reich etwa 60 000 „arisiert" worden. Die jüdische Bevölkerung war verarmt und großteils arbeitslos. Eine rettende Auswanderung war für viele finanziell unmöglich geworden.
Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde die „Arisierung" bis zur entschädigungslosen staatlichen Enteignung jüdischen Vermögens radikalisiert. Das Ziel war es, das Reich „judenfrei" zu machen und allen jüdischen Besitz einzuziehen. Die Stillegung der restlichen jüdischen Betriebe wurde beschlossen und die Ausübung praktisch aller Berufe für Juden verboten. Sie verloren bei der Arbeitslosigkeit allen Anspruch auf Rente und Versicherungen. Wertgegenstände und Wertpapiere mussten zu Niedrigpreisen abgegeben werden. Ab 1941 ging das gesamte Vermögen der deportierten und ermordeten Juden auf das Reich über.
Von der „Arisierung" profitierten große Teile der deutschen Bevölkerung. Traditionelle antisemitische Neidaffekte des Mittelstandes verbanden sich mit dem Bestreben, jüdische Konkurrenten auszuschalten oder deren Geschäfte zu übernehmen. Das Reich konnte mit den Enteignungen ihre Feldzüge finanzieren. Zu den großen „Arisierungs"-Gewinnlern gehörte die Großindustrie, vor allem der IG-Farben-Konzern, die Flick-Gruppe und Großbanken.