Jugendbewegung
Als Jugendbewegung wird eine besonders im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einflussreiche Strömung bezeichnet, die dem von der Industrialisierung geprägten städtischen Leben eine vor allem in Kreisen der bürgerlichen Jugend sich ausbreitende Hinwendung zum Naturerleben entgegensetzte.
Sie nahm ihren Anfang in den Jahren 1899-1901 in Berlin-Steglitz, angeregt durch H. Hoffmann-Fölkersamb und K. Fischer, formell begründet 1901 mit dem „Wandervogel-Ausschuss für Schülerfahrten". Der Wandervogel, eine „antibürgerliche Bewegung bürgerlicher Jugend", sprengte die erstarrten Formen, in denen damals junge Menschen zu leben hatten. In der kleinen und intensiven Gemeinschaft der Jugendgruppe suchte der Wandervogel einen Ausweg aus der industriell bestimmten Massengesellschaft durch das Erlebnis von Landschaft und Geschichte (den romantischen Rückgriff auf hergebrachte Kulturelemente, wobei die Wiederbelebung von Volkslied, Volkstanz, Volksmusik und Brauchtum eine herausragende Rolle spielte) zu finden.
Der Wandervogel, der spontan die Jugend als eine Zeit eigenen Rechts und Werts definiert hatte, kam bald in Berührung mit der pädagogischen Reformbewegung um die Landerziehungsheime, in der Gustav Wyneken am radikalsten die Forderung nach einer „Jugendkultur" vertrat. Die Urheberschaft für diesen Begriff wie auch für den der „Jugendbewegung" ist auf den Reformpädagoge zurückzuführen. Wyneken war auch maßgeblich am Fest auf dem Hohen Meißner 1913 beteiligt, zu dem Bünde der Jugendbewegung zusammen mit der Freien Schulgemeinde aufriefen. Auf dem Meißner einigte man sich auf einen lockeren Zusammenschluss der Jugendbewegung unter dem Namen Freideutsche Jugend.
Dem Selbstverständnis nach zunächst unpolitisch, waren die verschiedenen Gruppierungen der Jugendbewegung den zeitgenössischen ideologischen Strömungen dennoch ausgesetzt und daran orientiert. Tiefe Einschnitte für die Jugendbewegung stellte zum einen der Erste Weltkrieg dar. Die Begeisterungswelle der ersten Kriegstage im August 1914 erfasste auch die Jugendlichen mit voller Wucht. Aufgrund der hohen Anzahl Jugendlicher, die sich zum Kriegsdienst meldeten, kamen die gewohnten Aktivitäten fast vollständig zum erliegen.
Nach 1918 setzten sich die Lebensformen des Wandervogels in den meisten konfessionellen, z. T. auch in politischen Jugendorganisationen durch. Impulse und Menschen der Jugendbewegung gewannen prägenden Einfluss vor allem in der Pädagogik, der Sozialarbeit und der Volksbildung. Um 1924 trat die bürgerliche Jugendbewegung durch die Synthese von Wandervogel und Pfadfindertum in eine neue Phase, die der Bündischen Jugend. Die Lebensformen der Bündischen Jugend waren straffer als die des Wandervogels; gegenüber dem beim Wandervogel geltenden Vorrang der einzelnen Gruppen stand nun der Bund im Mittelpunkt jugendlichen Lebens. Unter dem Leitbild von „Führer und Gefolgschaft" politisierte sich die Jugendbewegung.
Die Jugendorganisation des Dritten Reiches, die Hitlerjugend, bediente sich später vieler Formen der Bündischen Jugend, ohne jedoch die pädagogischen Wertvorstellungen der Jugendbewegung anzuerkennen. Mit der nationalsozialistische Machtergreifung 1933 folgte die Zwangseingliederung aller anderen Jugendverbände in die Hitlerjugend oder die Auflösung dieser. Neue Formen einer Jugendbewegung seit den 1960er Jahren lassen sich in den antiautoritären Bewegungen und in den alternativen Lebensformen erkennen.