„Hoffen und Harren sind der Weg zum Grabe“ – Die DPSG in Essen

Als mit der NS-Machtübernahme 1933 auch die Hitlerjugend einen steilen Aufstieg erlebte, befand sich auch die „Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg" (DPSG) insbesondere in Essen in einem starken Aufwärtstrend.[1] Nachdem im Dezember 1930 in Frohnhausen, Holsterhausen und Huttrop die ersten drei Stämme gegründet worden waren, folgten im Laufe des Jahres 1932 fünf weitere Neugründungen. Einen regelrechten „Boom" erlebte die lokale DPSG mit acht Stammesgründungen dann im Jahr 1933, während 1934 und 1935 jeweils nur noch ein Stamm hinzutrat. Spätestens seit 1932 war die DPSG somit im Spektrum der sehr aktiven katholischen Jugendverbände in Essen zu einer festen und beachtenswerten Größe geworden. 1936 zählte die DPSG im Gau Essen rund 700 Mitglieder.

Umso härter traf die NS-Machtübernahme den aufstrebenden Verband, dessen Attraktivität für die Jugendlichen sich nicht zuletzt auch über das äußere Erscheinungsbild definierte. So ließen sich viele der Essener DPSG-Pfadfinder auch nicht durch das seitens des Düsseldorfer Regierungspräsidenten erstmals am 7. Februar 1934 verhängte Verbot zum Tragen einer Kluft beeindrucken. Angehörige der Essener Stämme, die in ihrer Mehrzahl ja erst unter den Bedingungen des totalitären NS-Regimes ins Leben gerufen worden waren, entwickelten einen erheblichen Widerspruchsgeist und traten in vielen nachweisbaren Fällen weiterhin und zumeist wohl unbekümmert-selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf.

Hierin wurden die Jungen zunächst auch von der Führung der Essener DPSG unterstützt. DPSG-Gaufeldmeister Heinrich Krekeler etwa versuchte den Beharrungs- und Widerstandswillen der DPSGler zum Jahresbeginn 1935 mittels des Gaurundbriefs zu festigen, in dem es unter anderem hieß: „Das vergangene Jahr hat uns gezeigt, dass Hoffen und Harren der Weg zum Grabe sind. Wenn schon in die Enge getrieben, dann aber auch wissen, was tun. Erschüttern kann uns gar nichts mehr." Und im März 1935 schrieb Krekeler in nächsten Rundbrief: „Nichts aber ist Jungen im Grunde ihres Herzens so zuwider, als Zwang und Rechtlosigkeit. Soll ich Euch all das aufzählen, was uns zu Unrecht trifft, was wir tragen und erdulden um der gerechten Sache willen. Soll ich sprechen von den Opfern eurer Jungführer, die sie euretwillen in Beruf und Familie bringen, erzählen von den vielen Bekennern, die Beruf und Existenz verloren haben, weil sie ihre Überzeugung offen vertraten!"[2]

Solche Äußerungen zeigen jedoch auch das Dilemma, mit dem sich die DPSG-Verantwortlichen konfrontiert sahen. Ein mutiges und sichtbares Bekenntnis zur katholisch-jugendbewegten Sache wurde, da in die Nähe eines Straftatbestandes erhoben, zunehmend gefährlicher und konnte perspektivisch den gesamten Verband gefährden. So sah sich die Essener DPSG-Gauführung etwa anlässlich einer Gaufeierstunde im Februar 1935 veranlasst, die Jugendlichen darauf hinzuweisen, die in der Öffentlichkeit verbotene Kluft erst am Versammlungsort anzulegen. „Bannerträger kommen in Uniform" hieß es zwar, aber der Zusatz „erst in der Kirche anziehen" wird vielen der zu diesem Zeitpunkt wohl noch durchaus kampfbereiten Jungen ebenso nicht gefallen haben wie die Anweisung der Gauführung anlässlich eines Sängerwettstreits im Mai 1935. „Nun hört, keiner von Euch kommt in Uniform oder Uniformstücken", ließ die Essener Gauführung verlautbaren. „Wenn wir Knickerbocker und dazu ein offenes Hemd tragen, sehen wir auch darin recht aus, wenn wir Pfadfinder sind!" Sie hatte unter dem Eindruck bereits ausgesprochener und weiterer drohender Verbote sowie mit Blick auf die Bestimmungen des Reichskonkordats offenbar bereits einen Kurs der Anpassung eingeschlagen: „Diese Anordnung sichert uns dass Gelingen des Tages. Wir wollen den Kameraden der HJ kein Ärgernis geben."

In solchen Punkten drohte sich das von Vielen sicherlich so empfundene Glück, als konfessioneller Jugendverband unter dem Schutz des Reichskonkordats leben zu können, perspektivisch in ein schwerwiegendes, die Grundlagen der Verbandsarbeit tangierendes Problem zu verwandeln: Das Denken und die Programme der DPSG wurden zunehmend auf den Horizont der Sakristei eingeengt, eine Entwicklung, die dann ab Frühjahr 1936 mit Blick auf die Jugendarbeit ohnehin zur offiziellen Linie der Amtskirche werden sollte.

Zunächst versuchte man in Essen jedoch, das eigene Profil selbstbewusst zu verteidigen. So wurde seitens der Gestapo bei einer Ende Oktober 1936 abgehaltenen „Führerwerkwoche" der Essener DPSG weiterhin eine „revolutionäre zentrümliche Tendenz" ausgemacht, die nicht zuletzt aus dem „bündischen" Auftreten von Gaufeldmeister Ludger Scheidgen abgeleitet wurde. Insgesamt war diese von rund 80 DPSG-Mitgliedern besuchte Tagung jedoch selbst in den Augen der NS-Überwachungsinstanzen bereits eindeutig von religiösen Themen und Vorträgen bestimmt. Auch der Vortrag des Kölner Diözesanjugendseelsorgers für die männliche Jugend Augustinus Frotz zum Thema „Die Bedeutung der Richtlinien für die katholische Jugendseelsorge" bot erwartungsgemäß „keine Handhabe zur Beanstandung", obwohl der Beobachter glaubte, aus ihm die indirekte Aufforderung „zum Wandern und zur Fahrt" als „schöne Tugenden der Pfadfinder" herausgehört zu haben. „Damit hat er durchblicken lassen, dass Verbote umgangen werden könnten", wodurch solche formal religiösen Zusammenkünfte durchaus geeignet seien, „die katholische Jugend von der HJ und den NS-Organisationen fern zu halten".

Es waren sicherlich auch in Essen nicht wenige DPSG-Mitglieder, die unter immer schwieriger werdenden Verhältnissen versuchten, den Eigenwert der pfadfinderischen Arbeit weiterhin hochzuhalten und gegen die absoluten NS-Ansprüche zu sichern. Der definierte sich als Leben aus dem Glauben heraus, das seinen Ausdruck unter anderem im einfachen, natürlichen Leben während Fahrt und Lager sowie in der Bewährung des einzelnen in der Gemeinschaft der Pfadfinder - nicht zuletzt auf internationaler Ebene - fand. Dabei musste das „Unterwegs-Sein" als bestimmende Lebensform des Pfadfindertums zwangsläufig mit den weitreichenden Formierungsansprüchen der HJ kollidieren. Als Gaufeldmeister Ludger Scheidgen in einem Gestapoverhör noch im Januar 1937 einräumen musste, dass zumindest die Essener DPSG weiterhin wünsche, „dass unsere Jungen einzeln oder zu zweien auf Fahrt gehen", musste das als Affront gegen die straff organisierten Massenveranstaltungen der HJ verstanden werden. Und es ist durchaus bemerkenswert, dass trotz offiziellen Verbots im gleichen Jahr auch DPSG-Pfadfinder aus Essen am Jamboree in Vogelenzang in den Niederlanden teilnahmen.

Mit solchem Tun fanden sie sich zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr im Einklang sowohl mit Amtskirche als auch mit den Verantwortlichen des Katholischen Jungmännerverbandes. So berichtete ein Essener Gestapobeamter im Mai 1936, dass zumindest ein Teil der Essener katholischen Geistlichen „es gerne sähe, wenn die St. Georgs-Pfadfinder verboten würden, weil sie der geistlichen Führung vollkommen entglitten seien und nur noch den bündischen Anordnungen folgten". Die kamen zu diesem Zeitpunkt aber wohl längst nicht mehr aus dem Düsseldorfer Jugendhaus, denn es war der KJMV-Generalpräses Ludwig Wolker, der am 11. Oktober 1936 in einem Vortrag zu den „Richtlinien der katholischen Jugendseelsorge", den er im Frauenbundhaus in Essen-West hielt, in dieser Hinsicht deutliche Worte der Abgrenzung fand. Die neuen „Kernscharen" der konfessionellen Vereine dürften keine „Traditionspuppen" sein, denn „die Bünde von früher seien fertig und hätten keinen Sinn mehr". Besonders kritisch im Blick hatte der so einflussreiche wie beliebte Wolker dabei insbesondere „gewisse Pfadfinder- und Sturmscharengruppen", „die er nur als Grüppchen verärgerter Spießer und Romantiker in Wolkenkuckucksheimen bezeichnete". Da der Vortrag in essen gehalten wurde, darf man annehmen, dass der KJMV-Präses hierbei sicherlich auch örtliche Gruppierungen im Blick hatte.

Leider liegt die weitere Geschichte der Essener DPSG aufgrund fehlender Quellen weitgehend im Dunkeln. Ab 1937 liegen praktisch keine Informationen mehr vor, wobei jedoch gesichert ist, dass eine - wenn auch kleine - Schar versuchte, das Verbandsleben trotz aller Repressionen in rudimentären Zügen aufrechtzuerhalten. Dass es hierbei durchaus auch zu Verirrungen und Verwirrungen kam, die auch in zumeist recht unreflektierten Annäherungen an die NS-Ideologie und in einer - in jugendbewegtem Kreisen damals recht verbreiteten - Anlehnung an deren „Führer"-Bewunderung zum Ausdruck kamen, sollte nicht verschwiegen und künftig noch näher untersucht werden. Insgesamt jedoch vermittelt die DPSG des Gaues Essen während der NS-Zeit durchaus ein Bild weitgehender Geschlossenheit.

Fußnoten

[1] Sofern nicht anders an gemerkt, folgt die Darstellung Johannes Wielgoß: Schicksalsjahre der Essener DPSG in der NS-Zeit, Essen 2007
[2] Zitat nach Wielgoß: Katholische Jugend, S. 468. Die Essener DPSG-Gaurundbriefe, die vollständig vorlagen, gelten im Augenblick leider als verschollen.