Dieses Tagebuch wurde von Anton Roos verfasst. Es umfasst den ersten Teil der Zeit, die er seit Juli 1940 als Angehöriger der „Organisation Todt“ am „Atlantikwall“ an der nordfranzösischen Kanalküste verbrachte. Wann genau Anto Roos dieses Fragment verfasste, ist nicht überliefert. Es dürfte aber wohl noch in Frankreich, also vor seiner Zeit in Polen und der Ukraine entstanden sein, die sich im Herbst 1941 anschließen sollte, ehe Roos wieder nach Frankreich versetzt wurde.
Das kurze Dokument lässt erahnen, wie Angehörige der deutschen Besatzungsmacht in Belgien und Frankreich auftraten. Sie sahen das besetzte Gebiet als eine Art Selbstbedienungsladen, gebärdeten sich als Besatzer und fühlten sich – auch kulturell - überlegen. Zudem ist das Tagebuch voller sexueller Anzüglichkeiten.
Es entspricht in vielem wohl der auf Genuss ausgerichteten Lebenseinstellung seines Verfassers. Zugleich ist anzunehmen, dass Anton Roos mit seinen Schilderungen, die er auch in Briefen fortsetzte, nicht ohne Einfluss auf seine Söhne Gustav und Günther geblieben ist. Von letzterem findet sich hier auch eine ausführliche Lebensgeschichte wie hier ohnehin verschiedene Tagebücher und die umfangreiche Feldpost-Korrespondenz der Familie Roos eingesehen werden können.
Günther Roos skizzierte 1989 kurz den weiteren Aufenthalt seines Vaters in Frankreich. Er schrieb u.a.: „Vater zog also in das Haus von Madam Malliot, und ich bin sicher, es blieb nicht bei dem Verhältnis Vermieter zu Mieter.“ Die Zeit mit Madam Malliot habe seinen Vater stark verändert und dessen schon zuvor existente „Faible für Frankreich und die französische Lebensart“ massiv verstärkt. „So verwandelte er sich nun in einen kompletten Franzosen, ja, er wurde noch französischer als die Franzosen. Er ließ sich einen Schnurrbart wachsen, kleidete sich extravagant, und lief nur noch mit Baskenmütze herum. Diese Marotte hielt er sein Leben lang bei.“ Aber auch die Folgen für die in Brühl wohnende Familie verschwieg Günther Roos nicht: „Während dieser Zeit versorgte er uns aber auch mit den Segnungen Frankreichs. Teils mit Päckchen, teils durch Kuriere trafen die herrlichsten Sachen in Brühl ein. Neben Kleidung und Schuhen und Wäsche konnten wir in französische Delikatessen schwelgen, hatten reichlich Butter, französischen Spirituosen und englischen Beutezigaretten.“ Dieses „herrliche Leben“ habe dann im Juni 1941 ein Ende gefunden, als sein Vater mit seiner Dienststelle nach Polen versetzt worden sei. Mit viel Geschick sei es ihm dann aber gelungen wieder nach Frankreich zurückversetzt zu werden – zunächst nach St. Malo in der Bretagne und dann nach einem Intermezzo als Werkschutzleiter in Magdeburg nach Paris, wo er bis September 1944 blieb.
Das Tagebuch wird wie der gesamte Nachlass von Günther Roos unter der Signatur Best. 237 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln aufbewahrt.
24. Juli 1940. Lamour, Heuffs, Schiefenbusch, Vatter u. meine Wenigkeit zum letzten Kameradschaftsabend mit den Jungfrauen des Inselkaufhauses Trier im Hotel Schu angetreten. Mein Sohn Günther sowie etliche Bauunternehmer als Gäste anwesend.
Gegen 23 Uhr war die Stimmung bei Musik u. Tanz in großer Form. Alkoholika wurden in rauhen Mengen angefahren. Herr Langenbach von der Firma Eigen hatte bereits in Folge alkoholisierter Umnachtung einen Sturzflug von der Treppe in den Hof überstanden, u. lag mit starker Schlagseite auf einem Fremdenzimmer. Da Wiederbelebungsversuche trotz starkem Kaffee erfolglos blieben, wurde er von der Liste der Lebenden gestrichen, u. nachdem die rituellen Sterbegebete verrichtet waren, wurde er Morpheus überlassen.
Zwischendurch ging im Moselsälchen die Sache programmmäßig weiter. Mein Sohn Günther, der tapfer durchgehalten hatte, war plötzlich verschwunden. Da dies sein erster alkoholischer Abend war, fand ich es nett von ihm, sich zu verdrücken, wenn der Kanal voll ist. Ich wollte es aber nicht versäumen, ihm noch einen Vortrag über die Gefährlichkeit des flüssigen Brotes zu halten. Nachdem ich mir einen kleinen passenden Vortrag zurechtgelegt hatte, ging ich zu seinen Zimmer, welches ich jedoch zu meinem größten Erstaunen leer fand. Da sah ich in meinem Zimmer Licht, u. hörte daß sich mehrere Volksgenossen u. -genossinen dort aufhalten mußten.
Bei meinem Eintritt allgemeines Hallo, daß mir die Sprache wegblieb. Mein Sohn Günther mit meinem Chef Lamour u. mit Lotte u. Edith verkonsumierte meinen Sekt. Lamour drückte mir ein Wasserglas mit dem prickelnden Zeug in die Hand, u. nachdem wir auf die Damen getrunken hatten, klärte er mich dahin auf, daß Günther sie freundlich eingeladen hätte, mal etwas anständiges zu trinken. Der Junge sei 100 prozentig in Ordnung u. der genaue Abklatsch seines Alten. Mahlzeit. Da ich das Gegenteil nicht beweisen konnte, machte ich gute Miene zum feuchtfröhlichen Spiel u. machte mit.
Nach einer Stunde, u. nachdem wir fünf Flaschen den Hals herumgedreht hatten, begaben wir uns wieder nach unten, wo man inzwischen auch beim Schaumwein angekommen war. Hier u. da hatten sich schon Paare gebildet, die eng umschlungen beisammen saßen u. sich verliebt in die Pupillen schauten. Es wurde geküßt u. es wurde geknutscht, die Stimmung stieg. Hier u. da verkrümelte sich ein Pärchen zum Buffet im Nebenraum, um in einer Ecke bei einem Likör in Volksgemeinschaft zu machen.
2 Uhr nachts. Die ersten Sektleichen torkelten durch den Raum, suchten in stillen Winkeln Erleichterung, um alsdann mit bleichen Wangen zu ihren Plätzen zurückzukommen. Die armen Mädels; die, wie ich nachher gewahr wurde, nicht zu Abends gegessen hatten, hielten sich tapfer, um nachher um so schlimmer abzusacken.
In der Küche entdeckte ich Lotte vor einem Eimer, von meinem Sohn betreut, welcher ihr gute Ermahnungen erteilte: „Hupp, Du mußt das nicht tragisch nehmen, Lottchen. Das is ein ganz natürlicher Vorgang. Wenn Du die Bröckelchen alle los bist, hört es von selbst auf, Hupp. Du darfst nicht weinen. Hupp, schön in das kleine Eimerchen machen, nicht das süße Kleidchen vollmachen, Hupp. Immer heraus damit, Lottchen, aber wenn Du im Hals ein Knötchen spürst, - dann mußt Du aufhören, dann kommt der Magen, Hupp[“] u. schon brachte Lottchen erneut der Natur ein Opfer. Der verdammte Lümmel, dachte ich mir, wo hat er das her? Aber stille zog ich mich zurück, denn warum darüber nachdenken? Der Apfel fällt nicht weit vom Roos.
Gegen 4 Uhr war alles sterngranatenvoll, die Mädchen heulten oder lachten, die Kameraden markierten Leichen, sangen, brüllten oder krakelten. Ein wahrer Hexenkessel. Indem ich meinen Herren Sohn bei den Ohren nahm zog ich mich auf
mein Zimmer zurück. Denn um 6 Uhr früh mußte ich mich bei der Dienststelle melden zur Fahrt in den neuen Einsatz, besetztes Gebiet, Kanalküste.
5 3/4 Uhr weckte mich Günther. Schnell rasiert u. gewaschen, Koffer gefaßt u. auf zur Dienststelle Triererweg 49. Schon von weitem hörte ich Verwaltungsführer Müller I toben: „Wo steckt denn die Saubande? 6 1/2 Uhr, u. die Hälfte fehlt! Scheißladen, Disziplinlosigkeit u.s.w., alles bekannte Worte, die erregt dem Gehege seiner Zähne entschlüpften.
Ordnungsgemäß meldete ich mich zur Stelle mit den Worten: „Hauptgruppenleiter Roos verspätet zur Stelle. Gestern gesoffen.“ Gott sei Dank, mal wieder einer sagte Müller I, such Dir einen Platz in einem Wagen. Nachdem ich mein Gepäck verstaut hatte haben wir noch bis 7 Uhr gewartet, aber es kam niemand mehr.
Bis zur Abfahrt gab ich Günther noch gute Ermahnungen u. 25,- Rm, von welchen er 10,- seinem Bruder Gustav nach Hannover schicken sollte. Freitag sollte er dann nach Brühl zurückfahren. Wie ich später gewahr wurde ist der Bengel erst Montag gefahren u. hat mit den In Trier verbliebenen Kollegen zwei Züge durch die Lokale gemacht, wovon ich später berichten werde.
Um 7 Uhr setzte sich unsere Kolonne, bestehend aus 6 PKW.s in Marsch. Müller 1. an der Spitze haute wie immer in einem Schweinsgalopp ab über Luxemburg, Arlon, wo wir die ersten Zerstörungen des Krieges sahen ging die Fahrt durch das fast ganz zerstörte Sedan bis Hirson, wo wir in dem Hause eines geflüchteten Großindustriellen Mittag machten. Großes prächtiges Haus mit überladener Fasade. Große Räume, Möbel verschiedener Kunstepochen willkürlich durcheinander, gute Bilder u. Plastiken neben kitschigen Öldrucken u. Gipsfiguren. Am auffallensten war eine flämische Stube. Klinker auf Tapete gemalt, Kamin aus Holz mit Pappe. Grauenhaft mit einem Wort. Ein deutscher Industrieller
würde meiner Ansicht gemäß sich niemals eine derartige Geschmacklosigkeit leisten. Aber so geschmacklos dieses Haus war, so geschmacklos war auch die Bauart der meisten Häuser, ganz abgesehen davon, daß dieselben in vielen Fällen verfallen waren u. seit Jahrzehnten keinen Anstrich mehr erhalten hatten.
Von Hirson ging die Fahrt weiter über Cambrai nach Arras, wo noch die Reste der Panzerschlacht auf Straßen u. Feldern die Größe der französischen Niederlage klar ersichtlich machten. Vor einem 30 t Tank machten wir eine Gruppenaufnahme um alsdann über Boulogne nach Wimereux zu fahren, wo der Leiter des Einsatzes Baurat Pfisterer seinen Sitz hatte.
Um 18 Uhr kamen wir in Wimereux an bei herrlichem Wetter. Kurzer Aufenthalt von 2 Stu.en. Dann erster Hummer mit Mayonnaise Toast u. Butter mit einer Flasche Haut Sauternes zu mir genommen. Kostenpunkt zusammen 40 Frs. = 2,- Rm. Das Hotel Paul u. Vergine hatte gute Küche u. ich habe noch des öftern davon Gebrauch gemacht u. in der Folge mich köstlich amüsiert, wenn so ein Lan[d]ser an einem Hummer arbeitete u. fleißig Bier dahinterherjagte, speziell die Scheren waren für manchen ein Problem, was nicht so einfach zu lösen war.
Später wurde mir dieses Haus verleidet, da die Tochter eine ausgesprochene Deutschenhasserin war davor u. während des Krieges nur englische Offiziere in diesem Hotel verkehrten mit denen sie z. T. in engster Freundschaft gelebt haben soll.
Unser Einsatzstab hatte seinen Sitz im Strandhotel Atlantik. Während Müller 1 mit Baurat Pfisterer eine Besprechung hatte, saß ich auf der Terrasse des Nebenhauses, schaute aufs Meer u. schaute mir die Menschen an, die vorbei gingen.
Von allen Menschen aber sah ich nur eine Frau
in weißem Strandkostüm dunklen braunen Augen schwarzem Haar u. einer mädchenhaften Figur. In ihrer Begleitung befand sich eine ältere Dame. Ich weiß nicht mehr, ob ich sie derart stier od. blöd angeschaut habe, auf jeden Fall, als sich unsere Blicke begegneten warf sie verächtlich den Kopf hoch u. würdigte mich keines Blickes mehr, es war meine spätere Freu.in Raymond Mailliot.
Nach zweistündigem Aufenthalt in Wimereux ging die Fahrt weiter nach Dünkirchen-St Pol wo in einem Bürogebäude der Großraffinerie unsere Diensträume eingerichtet waren. Wohnung nahmen wir vorerst in einem Gästehaus des Unternehmens, welches mit allem Komfort eingerichtet war. Am 26.7. war ein tariflich festgesetzter Ruhetag. Die Zeit benutzten wir zu einer Besichtigung des zerstörten Dünkirchen. Es sah schauerlich aus in den Straßen des Hafenviertels. Blockweise kein Stein mehr auf dem anderen, furchtbar die Wirkung unserer Stukas. Bei den Aufräumungsarbeiten wurden noch immer Leichen von Verschütteten geborgen. Desgleichen schwemmte die See noch Anfang August ersoffene Tommys an Land. Die Oeltanks waren zu 85% vernichtet, Kessel von 20-25 m Durchmesser u. 8-12 m Höhe waren wie von Titanenfaust zusammengeschlagen, oder aber explodiert. Eisenteile bis zu 20 t waren 100 u. mehr meter weit weggeschleudert. Das aus dem Kessel laufende brennende Oel ergoss sich in die Kanäle u. brannte hier 4 Wochen lang, ganz Dünkirchen in eine schwarze Wolke hüllend. Straßen u. Felder lagen voll von weggeworfenen Stahlhelmen Gewehren Munition Mäntel Tornister u. s[onstigen] Ausrüstungsstücken. Lastwagen u. Personenwagen lagen Kolonnenweise zerschmettert oder ausgebrannt am Straßenrande. 12.000 Eisenbahnwaggons u. 500 Lokomotiven fielen unseren Truppen in die Hände. ca. 4.000 Waggons davon waren teils vernichtet oder oft ganze Züge ausgebrannt. Unheimliche Beute fiel hier in unsere Hand. In der Raffinerie war eine Fabrikhalle von 20 m Länge u. 5 m Höhe
infolge einer Explosion in die Höhe geschleudert u. war mit dem Dach zu unters auf einer danebenstehenden Halle gelandet. Von dem „siegreichen engl. Rückzug“ bekam man hier einen schaurigen Beweis. Was von Dünkirchen u. St. Pol noch an Häusern stand, machte einen verfallenen u. verkommenen Eindruck man kann mit Recht behaupten die Franzosen waren bestimmt 50-70 Jahre mit Allem im Rückstande besonders fiel dies bei dem Eisenbahnmaterial auf. Hier wurde ersichtlich daß man nur für Rüstungen gelebt u. sich selbst vergessen hatte.
Ein Gang durch die Gaststätten ließ uns erschaudern schmierige kleine Räume mit hohen Büffets welche zur Hauptsache aus Spiegeln bestanden, welche von Granatsplitter zerfetzt waren.
Ein Glas Dünnbier -,10 Pfg. ein Glas algerischer Rotwein -,05 Pfg ein Liter -,50 Pfg. Was uns am meisten interessierte war Benediktiner Chatreuse etc. welche das große Glas -,15 Pfg kosteten. Da man aber diese hochprozentigen Liquere aber nicht saufen sondern trinken muß zeigten sich die Folgen sowohl bei unseren Leuten als auch beim Militär, sodaß in den Abendstunden allerhand unliebsame Vorkommnisse an der Tagesordnung waren.
Hoch her ging es zu Anfang in einem sogenannten Kaffe Fourier in der Nähe des Bahnhofs. 5 Jungfrauen bedienten dort, von welchen aber immer 3 zwischen dem Kaffedienst, gegen Zahlung von Rm 3,- incl. Zimmer Venusdienst verrichteten. Nach 4 Wochen jedoch wurde die Liebeslaube von der Militärbehörde geschlossen, auch von unseren Leuten hatten sich verschiedene die Gieskanne verbogen u. mußten in die Heimat abgeschoben werden. Einer von uns hatte am 23.6. geheiratet auf seinem Schreibtisch ein großes Photo seiner Frau stehen u. am 2. August einen herrlichen Trio. Als er wegging, sagte ich ihm, das Bild sei bestimmt zu klein gewesen, oder seine Liebe zu groß.
Ein reizender Laden war auch der von Madam Susanne. Susanne sprach ein leidliches Deutsch, u. da sie auch genügend Verehrer hatte, war auch allerhand Grund zu Eifersuchtsszenen gegeben. Ihre Freundin Emmy, deren Mann auch vermisst war, eine hübsche Pariserin hatte allerhand Zulauf. Obwohl sie aus ihrem Deutschenhass keinen Hehl machte fand sie sich jeden Abend in den Armen eines Matrosen oder Lan[d]sers wieder, nachdem sie vorher ihren Kummer durch reichlichen Alkoholgenuss betäubt hatte. Emmy war eine bildhübsche Französin und hat mir hat die kleine Frau oft leid getan. Solange sie keinen Alkohol genossen hatte war sie unnahbar, aber mit dem kleinsten Schwips, waren alle guten Vorsätze perdu. War sie befriedigt, stellte sich unmittelbar die Ernüchterung bei ihr ein, und weinend suchte sie das Weite.
Bei unserer Ankunft in St. Pol waren wir zu 10 Kameraden u. 2 weibl. Schreibkräften, Elisabeth u. Mathilde. Alle mit Vorsicht ausgewählte Menschen die sich seit einem Jahr kannten und gute Kameradschaft hielten. Unser Obermotz Müller 1 wurde durch Amtmann Dr. Schorlemer vertreten, ein blendender Mensch, lebhaft u. gut, manchmal auch zu gut. Schorlemer, welcher Dr. der Theologie u. Dr. phil. war hatte außer seinen großen Sprachkenntnissen eine übertriebene Neigung in religiösen Dingen. So hatte er gemeinsamen Kirchgang (das heist für diejenigen die mitmachten) angeregt und um auch den Beichtbedürftigen entgegen zu kommen Dünkirchen im Radius von 40 km kreuz u. quer durchkämmt, um einen deutsch sprechenden Pastor zu finden. Als ich ihn dieserhalb einmal anpflaumte mit der Bemerkung: „Der liebe Gott versteht alle Sprachen man kann auch bei einem franz. Abbe beichten.“ war er ziemlich eingeschnappt, und hat mich längere Zeit links liegen gelassen, zumal als ich dies mit Müller besprochen hatte, der auch auf dem Standpunkt stand, daß es gleich sei, welcher
Sündenabwehrkanone man seinen Mist erzähle. Für die Fahrt nach Frankreich hatte ich mir zum Wareneinkauf 500,- Rm mitgenommen. Und so fuhren wir dann in den nächsten Tagen über Gravelin nach Calais. Da in Deutschland alles auf Bezugsschein ging, war es, besonders bei den billigen Frs-Preisen, für uns ein Vergnügen einzukaufen. Ein Paar Schuhe 3,- Rm eine Seidenkombination 5,- Rm ein Anzug prima Qualität 30,- Rm, usw. Mann war von einer regelrechten Kaufwut besessen und machte es nun gerade so wie nach dem Weltkrieg die Franzosen es im besetzten Rheinland gemacht hatten. Man sieht alles rächt sich auf Erden, man sah keinen deutschen Soldaten, der nicht Päckchen u. Pakete unter dem Arm hatte. Es war kein schlechter Witz, daß man einen englischen Spion in deutscher Hauptmanns-Uniform erwischt hatte, warum erwischt? Weil er kein Päckchen unter dem Arm hatte, war er aufgefallen.
Für die Rückfahrt nach Dünkirchen hatte Dr. Schorlemer in Gravelines bei Mademoselle Paulette ein Souper mit allen Schikanen bestellt. Dieses Haus war vor dem Krieg Verkehrs lokal der Garnisonsoffiziere und die Küche war wirklich ausgezeichnet wie auch die Weine erste Klasse. Sonderbar berürte mich nur das Pisoir welches ohne jede Trennwand in ein Meter Abstand neben dem Herd der Spülküche stand. Die Küchenfeen liesen sich durch unser Pinkeln absolut nicht stören, typisch französisch.
Wie schon gesagt hatten wir unser Büro in dem Hauptverwaltungsgebäude der Raffinerie aufgeschlagen. Eines Tages sausten engl. Bomber über uns her. Ehe wir begriffen hatten was los war, war der Spuk vorüber. Peinlich jedoch wäre die Angelegenheit für uns geworden wenn der Tommy Bomben geworfen hätte, denn vor dem Gebäude standen ca. 20 mit Benzin gefüllte Tankwaggons u. hinter dem Bürohaus ein mit Munition geladener belg. Eisenbahnzug.
Heiliger Brama, da haben wir das Gruseln gelernt. Am 2. September wurde ich von Dünkirchen zum Stab nach Audingham auf Cap Grinez versetzt. Ich habe St. Pol keine Träne nachgeweint zumal die Mückenplage fürchterlich war.
Audingham ist dem Anscheine nach eine normannische Gründung. Um eine massiv gebaute unverhältnismäßig große Kirche gruppieren sich ca. 70 Häuser welche auf ein hohes Alter schließen lassen und mit Ausnahme von drei Gutshöfen u. dem einzigen modernen Haus des Bäckermeisters, alle als Parterrewohnungen mit Bodenkammer anzusprechen sind. Die kleinen Häuser, die sich in einem fürchterlichen Zustand befanden, wurden von der O.T. nach Evakuierung der Bewohner in bewohnbaren Zustand versetzt. Die Kirche, welche verschiedene Einschläge von engl. Granaten aufwies ist in ihrer Innenausstattung barock und abgesehen von einigen später hinzugefügten Gipsheiligen als schön anzusprechen besonders die Holzgeschnitzte Kanzel entzückt den Kunstfreund. Auch die Altarbilder sowie die überlebensgrossen Bilder der 4 Evangelisten sind über dem Durchschnitt u. wahrscheinlich Stiftungen der früher hier ansäßigen Adligen. Ich werde in dieser Ansicht bestärkt durch die bauliche Einrichtung der Gutshäuser welche den in Städten lebenden Besitzer als Sommeraufenthalt gedient haben werden. Aus eigenen Mitteln hätte die kleine Gemeinde eine derartige Ausstattung niemals zustande bringen können. Die Kirche selbst ist in Kreuzform gebaut, welche von einem verhältnismäßig kurzen aber wuchtigen 8 eckigen Turm in der Mitte überragt wird. Da von dem Turm aus der Kanal zu übersehen ist liegt der Gedanke nah daß er ursprünglich als Wachturm Dienst getan hat.
Bei meiner Ankunft in Audingham hatte ich ein großes Glück, daß alle verfügbaren Zimmer belegt waren. Kameraden rieten mir in dem 12 km entfernten Wimereux Wohnung zu nehmen, welches
4 km vor Boulogne liegt. Da ich wie bereits erwänt schon dort war und der schöne Strand und wenn auch Krieg, der Badebetrieb für mich etwas Neues war, begab ich mich sofort hin. Der Zufall führte mich mit dem Inhaber der Baufirma Eigen aus Dortmund, Herrn Offermann Dipl. Ing zusammen, welcher mir bis ich eine anständige Bude gefunden, eines seiner Fremdenzimmer zur Verfügung stellte. Das Zimmer war zwar nicht pompös eingerichtet aber sauber und luftig mit Ausblick auf die See. Ich wurde zum Abendessen eingeladen mit anschließend gemütlichem Beisammensein. Da die Herren Ingenieure und Büromenschen mir z.T. vom Westwall bekannt waren, hatte ich mich schnell eingefunden. Ein Klavierspieler sorgte für Unterhaltung und kräftige Seemanns- und Kampfzeitlieder brachten Stimmung in die Bude. Liqueure u. Champagner sorgten dafür daß die Stimmung gesteigert wurde. Herr Offermann u. Heinz Servos frotzelten den Oberbürokraten Nowak an, welcher als dankbares Objekt der geeignete Mann war. Da immer viel Besuch im „Mon Caprice“ war reihte sich Fête an Fête. Nach 3 Tagen als ich abends in den Gesellschaftsraum kam, große Tafel war gedeckt, Kerzenlicht gab dem Ganzen einen feierlichen Ton, wurde ich von Herrn Offermann gebeten, meine Wohnung im Hause beizubehalten, alle Hausgenossen seien sich darüber einig, daß ein derartig kameradschaftlicher u. fideler Volks- u. Parteigenosse noch im „Mon Caprice“ gefehlt habe usw. Ein dreifaches „Sieg Heil“ auf den Fremden und so blieb ich unter guten Freunden. Alle trugen zur Gemütlichkeit bei und wenn es auch manchmal 4 oder 6 Uhr früh wurde, gelacht wurde immer auch wenn der Ton manchmal rauh war. Als Mitte Oktober die Engländer mit ihren ziellosen Bombenabwürfen auf Boulogne begannen die keinerlei strategischen Wert hatten aber dauernd Opfer unter der franz. Zivilbevölkerung
forderten, war Herr Offermann bemüht mit Rücksicht auf die Damen der Firma die Knallerei unhörbar zu machen. Ging das Böllern los, wurde auf den inzwischen angeschafften 3 Pianos forte fortissimo gespielt und das schöne Lied von Isabella von Kastilien, mit den Schenkeln weiß wie Lilien, oder sonst ein Landsknechtlied „gesungen“. Dies alsdann mit wachsender Begeisterung solange bis wieder Ruhe war. Nun kam es aber auch vor, daß der böse Feind unangemeldet zu Nachtschlafender Zeit sich einstellte. Alles blieb natürlich in den Betten, nur der Oberbürokrat der Fa. Herr Nowak machte hierbei eine Ausnahme. Beim ersten Schuss sauste er aus dem Bett und weckte diejenigen die nicht geweckt werden wollten. Während einer Nacht war er so 3x auf meinem Zimmer u. wollte mich bewegen mit in den Keller zu gehen. Als ich anderen Tags dies Freund Servos erzählte ging die Flaxerei los. Ein Bauführer Ernst hat dann später diese Angelegenheit in Versform gefügt der Schlußvers lautete:
Und fallen Bomben u. böllert die Flack
Nur mutig in den Keller Nowack.
Doch wende im Hemde
Dich niemals an Fremde.
Von dem Tage an wurde ich offiziell „Der Fremde“ genannt u. jedesmal erfolgte anschließend bei Neuen Gästen eine Erklärung wie ich zu diesem Namen gekommen sei, zum Ärger von Nowak, welcher hierbei jedesmal vor Wut kochte und sich verdrückte, was auch der Zweck der Übung war.
Der Herbst in Wimereux war schön u. warm, sodaß ich noch etwas von der See hatte. Samstags u. Sonntags führen wir nach de Panne woselbst große Einkäufe gemacht wurden in Kleider Wäsche Schuhe Bademäntel etc., sowie auch um mal anständig zu essen. 12 Austern 1,80, ein Wiener Schnitzel 1,20, Omelett mit Champignon 1,-
und vor Allem um ein original Spatenbräu im Hotel „Bon Auberge“ bei Frau Wiedschwengel zu trinken.
Frau Wiedschwengel war eine hübche blonde Flämin die ihren Laden zu führen verstand und die ihren im übrigen auch hübschen Mann, der als Koch Spitzenleistungen vollbrachte, fest an der Kandare hatte. Ihr Mann der vor der Ehe von Beruf müde war und keinerlei Tätigkeit ausübte, hatte sie gegen den Willen ihres Vaters geheiratet und aus dem Stückchen Faulheit einen brauchbaren Menschen gemacht. Sie hat hierdurch den Beweis erbracht, daß der Mann so wird, wie er von einer klugen Frau geleitet wird. Es gibt auch Fälle, wo ein fleißiger u. sauberer Mann unter dem Einfluß einer Frau ein Luderjahn u. Schmierfink werden kann.
Frau Wiedschwengel erzählte mir eines guten Tages was sich ab 10. Mai, bei Kriegsausbruch in de Panne ereignet habe. Am 10. bei 2 Uhr Nachts seien sie zu Bett gegangen jedoch schon um 5 ½ Uhr durch Pochen an der Haustür u. Autohupen geweckt worden. Die ganze Strandpromenade habe voller Luxusautomobile gestanden, deren Insassen Einlass begehrt hätten. Auf die Frage was denn los sei habe sie vom Ausbruch des Krieges Kenntnis erhalten. Es sei ein Betrieb gewesen, wie in der Hochsaison aber direkt sei ihr aufgefallen, daß die überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge Juden gewesen seien. Während die Männer Kaffee tranken seien die Weiber losgezogen Delikatessen u. Konserven einzukaufen. Es sei an dem Morgen des 10.5. ein Kommen u. Gehen gewesen, gegen Abend seien die Luxusautos von Tourenwagen abgelöst worden und gleichzeitig sei die Kunde gekommen, daß die franz. Grenze gesperrt sei. Benzin sei schon das Liter mit 5 belg. frs bezahlt worden. 10.000 frs seien Schmugglern geboten worden, die Wagen mit Insassen nach Frankreich zu bringen. Am 11/5 hatten Lebensmittelgeschäfte ausverkauft, für
Brot wurden Phantasiepreise gezahlt. Für Menschenschmuggel nach Frankreich wurden schon 10.000-20.000 frs plus Auto gezahlt, da die meisten Wagen keinen Brennstoff mehr hatten. Am 11/5 gegen Abend trafen Kleinwagen u. sonstige Beförderungsmittel mittel ein, Pferdefuhrwerke Radfahrer etc. die Hab u. Gut mitführten. In de Panne Schluß die Grenze blieb gesperrt. Fußgänger mit Rucksäcken, Kinderwagen, Schiebekarren, Handwagen. Trinkwasser kostete schon pro Glas 1-2 frs.
Vor Hunger u. Durst schreiende Kinder, verzweifelte Mütter ein Zug des Grauens. Mann schätzte die Zahl der an der Grenze auf Übertritt in franz. Gebiet auf ca. 300.000 Menschen. Die de Panner gaben was sie hatten aber nach 2 Tagen war die Stadt ohne Lebensmittel. Am 14. 5. wurde die Grenze geöffnet der Spuk verschwand, um nun durch die zurückflutenden Truppen abgelöst zu werden. Der gloreiche engl. Rückzug begann, 100.000 de von Soldaten kampierten am Strand und warteten auf die Weiterbeförderung nach Frankreich oder England. Die ersten Stukas u. Jäger tauchten auf und warfen Bomben in die zusammengeballte Menschenmasse oder funkten mit Bordwaffen in die Knäuel. Alles buddelte sich am Strand ein um wenn die Flut kam die Sandlöcher zu räumen. Die verzweifelten Soldaten flüchteten in die Häuser. Alle Disziplin war zum Teufel. Diebstahl u. Plünderung waren an der Tagesordnung. Sinnlos besoffen sich die 2. Sieger von Zahlen war keine Rede mehr. Legte ein Schiff vor dem Strand an begann ein Wettlauf durch die See. 1.000 de ertranken, 2/3 der Schiffe fielen deutschen Bombern zum Opfer. Da das belg. Sanitätspersonal als auch die Ärzte geflohen waren, starben in den Lazaretten die Verwundeten wie die Fliegen. Erst als deutsche Ärzte u. Pflegepersonal kamen wurde dem Sterben Einhalt geboten. Alle Einwohner von de Panne waren sich über das schamlose Verhalten der belg. Ärzte einig. Nach Einzug der Deutschen blühten die Geschäfte wie nie vorher. Die
Preise stiegen zwar langsam aber sicher, denn bei Einkauf neuen Waren, war man auf den deutschen Markt angewiesen. Der Angleich war Februar 1941 vollzogen, hierdurch setzte nun auch die Rationierung ein das heißt die Warenbezugsscheine. Hinter der Hand war noch Stoff u. Schuhzeug zu kaufen, aber die geforderten Preise lagen hoch über den Deutschen u. das gros d.h. die Deutschen im besetzten Belgien fielen als Käufer aus.
Da unsere Hauptverwaltung in Calais rue de temple No. 6 ihren Sitz hatte, kam ich öfter wöchentlich dienstlich dorthin. In der kleinen Bar gegenüber dem Haupteingang zum Theater traf ich eines Tages mal Freund Servos in einer wüsten Laune. Nachdem wir einige Benediktiner getrunken hatten, fand Heinz die Sache langweilig, und schlug mir vor, bei „Madame“ Mimi rue St. Omer 72 zu essen. Haus No. 72 lag in einem kleinen Park abseits der Straße. Bei unserem Eintritt wurden wir von „Madam“ einer dunkelhaarigen Südfranzösin begrüsst, welche obwohl Mitte 40 immer noch als hübsch anzusprechen war. Ich war überrascht in ein vornehmes u. nicht überladenes Zimmer geführt zu werden. Klubsofa u. 6 Ledersessel mit schönen Rauchtischchen sowie ein Konzertflügel nebst Radio u. Grammophon vervollständigten die Einrichtung. Über dem Flügel hing in einem Goldrahmen das lebensgrosse Bild eines Negers, Gemahl von „Madame“ Mimi. Vor dem Kriege betrieb Madame eine Schokoladenfabrik. Die Rohstoffe lieferte der Herr Gemahl aus seinen Plantagen. Vom Krieg überrascht saß auch er nun in Calais und da er ein praktisch denkender Neger war, hatte er als die Rohstoffe zu Ende gingen eine Schweinezucht eingerichtet. Ob nun Mimi auf den Betrieb ihres Mannes eifersüchtig war, wer weiß wie es kam, verlegte sie sich eines Tages auf die Zucht zweibeiniger Ferkelchen, welche sie zuerst aus Calais u. als wir hinkamen aus Paris eingeführt hatte. Wir hatten uns in den Sesseln
breitgemacht. Kaffe u. Gebäck nebst Liqueur u. Cognac stand auf den Tischen, als die Tür aufging u. Mimi ihre Ware vorstellte. Junge Dinger von 16-18 Jahren. Angezogen mit breiten grauen Sporthosen im Gesäß fest anliegend und weit hinten u. vorne ausgeschnittenen Seidenblusen mit Reißverschluß. Die Mädchen sahen gut aus, und nachdem wir einige Schnäpse getrunken hatten, wurden sie so zutraulich, als ob man schon Jahre lang ein Verhältnis zusammen gehabt hätte. Im Salon mußte alles im Rahmen bleiben, gefrühstückt werden durfte nur in den Zimmern. Es war ein sehr gemütlicher Abend 8 Flaschen Sekt à Rm 4,- haben wir noch verkonsumiert, und im Anschluss daran die Zimmer besichtigt. Die kleine Susi war sehr nett und hatte eine sehr gute Figur. Aber nach all dem von mir genossenen Alkohol, war alle aufgewandte Mühe vergebens. Ich habe ausgezeichnet geschlafen. Um 6 Uhr wurde ich von Heinz geweckt und als ich um 7 Uhr in Wimereux ankam saß in meiner Manteltasche ein kleines schwarzes etwas, was sich als 5 Wochen altes Kätzchen entpuppte. Unter allgemeinem Halo wurde es Moritz getauft u. in Audingham den Damen des Sekretariats zur Pflege überlassen.
Calais war genau wie Dünkirchen baulich verfallen. Die meißten Häuser stammten aus den siebziger Jahren. Das einzig schöne in Calais ist das Rathaus, ein Renaissancebau von vollendeter Schönheit. Das Hafen- und Bahnhofviertel war genau wie auch in Dünkirchen von unseren Stukas vollständig umgelegt. Mitte Oktober fielen in 3 Meter Abstand 2 Bomben in den Hof unserer Verwaltung Calais. Sämtliche Fenster u. Türen auch im Inneren des Hauses gingen zum Teufel. Die im 2. Stockwerk schlafenden Angestellten wurden wie auch unsere Damen im Nebenhaus unter einem Wust von Splittern u. Deckenstücken hervorgeholt. Abgesehen von einigen welche von Glassplitter verletzt waren
kamen alle mit dem Schrecken davon. Unangenehmer wurde etliche Tage darauf die Sache in Pon de Cai in unserer Abrechnungsstelle Rue de Brasil. Hier schlug eine Brandgranate vor dem Schutzbunker ein und verletzte 6 unserer Leute davon 3 schwer. Einer verlor ein Bein und ein anderer die Hoden. Die ganze Belegschaft hatte drei Tage den Dünnpfiff und 6 Wochen im Keller geschlafen. Wenn eine Bombe das Haus getroffen hätte wäre aus dem „bombensicheren Keller“ kein Mensch lebend herausgekommen. Großen Dusel hatte unser Verwaltungsführer Müller I. Einen Tag, nachdem er u. die gesamte Belegschaft das Gästehaus in St. Pol verlassen hatte, landete eine Sprengbombe auf dem Balkon seines Zimmers u. zerfetzte alle Möbel. Während einer Dienstreise nach Wiesbaden schlug in seinem Zimmer in Calais eine Bombe ein die von derart vernichtender Wirkung war, daß keines seiner Kleidungsstücke heil blieb. Glück muß der Mensch haben, in beiden Fällen wäre er eine Leiche gewesen. Amtman a.D. Dr. theol. et phil. Schorlemer kurz Theophil genannt nahm während dieser Zeit 17 Pfd ab, dahingegen steigerte er den Kirchenbesuch um das Doppelte.
Die schönen Herbsttage gingen zu Ende, das Wetter wurde unbeständig. Die Gaststätten in Wimereux waren leergesoffen. Haut Sauterne Benediktiner, Sherry Chincano u. Mumm gehörten in das Reich der Fabeln. Man versammelte sich im Mon Caprice um den offenen Kamin. Zündete die Kerzen an, und der Klavierspieler leierte sein Repertoir herunter. Aus dem wohlweislich früh gekauften großen Beständen wurden dem Keller schöne trinkbare Sachen entnommen und wenn die Böllerei anfing wurden von 3 Pianos begleitet züchtige teils weniger züchtige
Lieder gesungen. Die Saufereien erreichten einen nie dagewesenen Höhepunkt. Marine- u. Fliegeroffiziere die das Haus für eine Bar gehalten hatten u. in angeheitertem Zustand mal uns in die Bude fielen, wurden in dem Glauben gelassen und kamen nach einigen Tagen nochmals u. da es nette Kerle waren bis zu ihrem Abmarsch dauernd eingeladen. Durch diese Herren bekamen wir nun auch noch Starkbier in rauhen Mengen, wodurch die Sache noch toller wurde.
Es war Mitte November, als ein regelrechter Orkan ausbrach, gegen 1 Uhr hatte ich mich in‘s Bett gelegt. Um 2 Uhr wurde ich durch ein Knistern wach und verspürte, daß mir Sandkörner ins Gesicht fielen. Das elektrische Licht versagte und so machte ich eine Kerze an. Ein Schreck befiel mich als ich sah, wie die Verbindungswand zwischen meinem u. Leutnant Gerhards Zimmer sich zu mir hin neigte. Ich ging sofort ins Zimmer von Gerhards und sah die Bescherung. Durch den Sturm war das Fenster mit Rahmen aus der Öffnung gehoben worden und der Sturm drückte die 1/2 Stein starke Wand langsam aber sicher ein. Unter der Wand schlief Gerhards den Schlaf des Gerechten, blau wie ein Veilchen. Ich weckte ihn, sofort war er nüchtern und mit affenartiger Geschwindigkeit holten wir unsere Brocken aus den Zimmern. 20 Min. später fiel die Wand ein, wir waren Heimatlos. Unter uns schlief Dr. Borchard u. Fräulein Opp. Als die Wand mit Getöse einstürzte, sausten die beiden aus den Betten in der Annahme eine Bombe sei eingeschlagen. So hatten wir auch in dieser Situation noch einen Spaß. Nun bezogen Gerhards u. ich in dem Nebenhaus aux Chrisantem gemeinsam ein Fremdenzimmer. Da ich das Zimmer nur bei Nacht sah, wäre ich auch dort wohnen geblieben, obgleich Gerhards an chronischen Blähungen litt und die ganze
Nacht pupste. Unhaltbar für mich wurde aber der Zustand, als Manfred G. einen kleinen Köter mit auf die Bude brachte welcher pisste u. schiss. So beschloss ich auszuziehen, aber wohin, da Wimereux gerade mit Militär vollgepfropft war. Heinz u. ich unterhielten uns gerade darüber als Madam Malliot die Besitzerin des Hauses Chrysantem aus der Tür trat. Madam, sagte Heinz, wissen Sie nicht ein Zimmer, welches hier in der Gegend frei ist? "Wofür? sagte Madame. Als sie hörte daß es für mich sei, sagte sie: Ich werde machen frei ein Zimmer für Monsieur Rouge. Da Heinz mich mit Herr Rouge vorgestellt hatte, nannte sie mich auch die erste Woche so, bis sie von Frl. Opp aufgeklärt wurde, daß dies ein Scherz von Heinz sei.