Die Forschung
Eine Beantwortung dieser und noch zahlreicher weiterer Fragen ist durch die Geschichtswissenschaft bisher lediglich in Ansätzen erfolgt. Wenn solchen Komplexen auf den Grund gegangen wurde, dann lag der Schwerpunkt bislang zumeist eindeutig ausschließlich auf der Zeit des Nationalsozialismus. Dadurch wurden die unmittelbaren Wirkungen der Indoktrination auf die Jugendlichen zwar intensiv untersucht, die zumindest ebenso bedeutsamen Fragen nach dem Umgang einer ganzen Generation mit dieser massiven Form der Beeinflussung und die daraus resultierende Art und Weise der notwendigen Umorientierung nach Kriegsende blieben aber weitgehend unerörtert.
Der 1957 von Helmut Schelsky geprägte Begriff der „skeptischen Generation“ suggerierte das überaus wirkungsmächtige Bild einer auf Nationalsozialismus wie Krieg weitgehend einheitlich reagierenden Jugend. Erst sehr viel später setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass von einer solchen Vorstellung Abschied genommen und stattdessen das Bild einer weitaus differenzierter reagierenden und handelnden jungen Generation entwickelt werden muss.
Erste Schritte in diese Richtung unternahm Rolf Schörken, der aufbauend auf seinen – auch auf eigenen Erfahrungen beruhenden – grundlegenden Forschungsarbeiten zur Generation der Luftwaffenhelfer auf in seinem 1990 erstmals erschienen Buch „Jugend 1945 – Politisches Denken und Lebensgeschichte“ zwei zentrale Fragestellungen miteinander verband, nämlich jene, „wie tief und fest verankert der Nationalsozialismus in den Köpfen der jungen Leute saß und auf welchen Wegen – Umwege und Holzwege eingeschlossen – so etwas wie ein demokratisches Bewusstsein erlangt wurde“. Seine Forschungen basierten u.a. auf der Auswertung von Lebensläufen, die Wuppertaler Abiturienten in den Jahren 1946 und 1947 verfasst hatten sowie von Deutschaufsätzen, die dann im Rahmen der Abiturprüfungen verfasst worden waren. Anhand dieses Materials ging Schörken mehreren Fragen nach, etwa jenen, ob es in der Nachkriegsjugend einen „vorherrschenden Ton“ gegeben habe, ob „politische Grundgefühle und Urteilsstrukturen“ bei der damaligen Jugend feststellbar seien, „wie die jungen Leute den Nationalsozialismus und die Kriegserfahrung verarbeitet“ hätten und ob von einer „kollektiven Krise“ gesprochen werden könne?
In vergleichbare Richtung weisen auch die Fragestellungen, denen Friedhelm Boll in Anlehnung an den von Angela Schwarz und Gabriele Rosenthal in die Debatte eingeführten Begriff der „Gegensozialisation“ für die weitere Forschung eine zentrale Bedeutung beimisst. Dabei steht auch für ihn die Frage im Zentrum, „wie sich NS-Sozialisation und Nachkriegssozialisation zueinander verhielten“. „Kann man ohne weiteres von einer Gegensozialisation in dem Sinne sprechen, dass vorangegangene emotionale, vorbewusste, vorpolitische und bewusste Prägungen und Haltungen korrigiert wurden? Fand eine gezielte Aufarbeitung der hoch emotionalisierten ersten Sozialisation statt oder wurden Prägungen und Orientierungen der NS-Erziehung lediglich überlagert, zurückgedrängt, beiseitegeschoben?“
Allein schon diese Reihung wichtiger und zum großen Teil noch unbeantworteter Fragen zeigt, wie sinnvoll es ist, für deren Beantwortung eine möglichst breite empirische Plattform zu schaffen, die bislang weitgehend fehlt. So beklagte Arno Könne zu Beginn der 1990er Jahre, der bis dahin erreichte Forschungsstand gebe hinsichtlich der Frage, ob es für die hier im Mittelpunkt stehende Jugendgeneration eine „typische Biographie“ gegeben habe, „keine Möglichkeit zu empirisch gesicherten Antworten“, weshalb heute „die Erfahrungen und Mentalitäten junger Menschen in jenen Jahren nicht mehr exakt zu ermitteln“ seien.