Bestimmender und wichtiger als schulische Probleme sind in jenen ersten Nachkriegsjahren aber eindeutig die Fragen, die um die Sicherung der eigenen Lebensgrundlage, sprich in erster Linie die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Hausbrand kreisen. Dabei geht es, wie etwa im Falle von Irmgard Coenen, nicht nur um die Sicherung des eigenen Überlebens, sondern auch um die Unterstützung von ausgebombten Verwandten und Bekannten aus den umliegenden Großstädten, vor allem aus Rheydt und Mönchengladbach. „Die mussten wir hier in Jüchen aus den Erträgen unseres Gartens oder aus dem, was mein Vater inzwischen wieder durch Tausch ‚organisierte‘, mit unterhalten. Die hatten effektiv keine anderen Möglichkeiten an Nahrungsmittel zu kommen.“ Daher habe man „ständig“ Besuch von den städtischen Verwandten gehabt, die es dann durchzufüttern gilt. Auch das geschieht zumeist nicht ohne Gegenleistung, sondern in Form unterschiedlichster Tauschgeschäfte, in deren Rahmen jeder gibt, was er hat oder kann. „Da kam eine Tante, die strickte für uns“, erinnert sich Irmgard Coenen an solche Gegenleistungen, „die andere Tante kam und bügelte den ganzen Tag. Das waren so Gegenleistungen für Lebensmittel.“
Hubert Knabben erlebt die unmittelbare Nachkriegszeit in seiner Familie sehr ähnlich. Auch die Knabbens haben zahlreiche Verwandte in Mönchengladbach, die „zu gegebener Zeit“ bereits während des Krieges, verstärkt dann nach dessen Ende immer wieder in Jüchen auftauchen. „Die luden sich dann ein und hofften, von uns etwas zu bekommen, wenn wir etwas hatten.“
Es sind aber nicht nur die Engpässe an Nahrungsmitteln, die den Alltag der ersten Nachkriegsjahre bestimmen. Irmgard Coenen erinnert sich beispielsweise noch gut an die improvisierten Schuhe aus Teilen von Gummireifen: „Und das fanden wir toll.“ Schön seien diese Schuhe beileibe nicht gewesen, „aber sie nutzten uns“. Sie kann sich allerdings nicht erinnern, dass Kinder wegen fehlender Nahrung, Kleidung, Schuhwerk oder Schulmaterialien den Unterricht nicht hätten besuchen können. Schulhefte habe ohnehin niemand besessen - „die machten wir uns aus alten Tapetenbüchern“ –, und auch sonst sei viel improvisiert worden. Sie glaube, dass es insbesondere der damalige evangelische Pastor Haarbeck gewesen sei, der für die entsprechende Unterstützung von bedürftigen Familien gesorgt habe, was dann später ganz besonders den Flüchtlingen und Vertriebenen zugutegekommen sei.
In den von schlechter Ernte, kalten Wintern, Überschwemmungen und anderen Widrigkeiten der Natur geprägten Jahren 1946/47 geht es aber auch den alteingesessenen Jüchenern schlechter. Daran erinnert sich jedenfalls Hubert Knabben sehr deutlich, denn in seinem Elternhaus gibt es in dieser Hinsicht einen zuverlässigen Gradmesser. Sein Vater arbeitet als Malermeister häufig auf Bauernhöfen, wo seine Arbeit oft in Naturalien entlohnt wird. Ist etwa ein Wohnzimmer gestrichen, erhält er ein sechs Wochen altes Ferkel, das die Knabbens dann mästen und später schlachten. Solche für beide Seiten lukrativen Tauschgeschäfte seien 1947 dann plötzlich nicht mehr möglich gewesen. „Da sagte der Bauer: ‚Ich habe das selbst nicht mehr.‘“ Durch den Wegfall dieser Form der Entlohnung sei der Lebensstandard im Elternhaus bis zur Währungsreform im Juni 1948 erheblich gesunken. Statt Fleisch oder Speck kommt in dieser Zeit dann die berüchtigte „Vollmilchwassersuppe“ auf den Tisch. „Bis 1948 dann die ‚Währung‘ kam; dann ging es ja langsam wieder nach oben.“